Seehofer: „Ich lass’ es in Berlin rappeln“
MÜNCHEN/BERLIN - Seehofer allein daheim – da präsentiert er einen „Deutschland-Plan“ für die Regierung. Den Titel hat er von der SPD geklaut. Die FDP lässt ihn aber abblitzen: „Wir haben einen Koalitionsfahrplan.“
So weit ist es in der schwarz-gelben Koalition schon gekommen: CSU-Chef Horst Seehofer muss jetzt sogar bei den Roten spicken. Er will einen Neustart und kündigt einen „Deutschland-Plan“ an. Den Titel allerdings hat er von Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier kopiert. Der hatte als SPD-Kanzlerkandidat im Wahlkampfendspurt im August 2009 einen „Deutschland-Plan“ vorgelegt.
„Wir brauchen jetzt eine Gesamtlösung, einen ,Deutschland-Plan’ für die kommenden Jahre“, sagt der Ober-Bayer in einem Interview mit dem „Stern“ und warnt seine Koalitionspartner vor einem Scheitern ihres Berliner Regierungsbündnisses. Den Zeitpunkt dafür hat Seehofer offensichtlich genau kalkuliert. Die beiden sind nämlich gerade weit weg. Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht die Türkei, FDP-Chef Guido Westerwelle weilt beim G8-Treffen der Außenminister im kanadischen Ottawa. Und Horst ist allein daheim.
Man müsse alles nebeneinander legen, beschreibt er seinen neuen Kurs. „Steuern, Bildungsinvestitionen, die Zuschüsse für die Sozialversicherung und die Schuldenbremse“ – und dann politisch entscheiden, mit welcher Priorität und welchem Umfang die jeweiligen Dinge in Angriff genommen werden. Von einer Steuersenkung um jeden Preis rückt er ab. Die CSU sei zwar „eine Partei der Steuersenkung“. Dieses Ziel wolle man aber „immer in Einklang bringen mit dem Machbaren“.
Bundesjustizministerin und Bayerns FDP-Chefin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lässt ihn abblitzen: „Wir haben einen Koalitionsfahrplan. Da steht alles drin. Da brauchen wir keinen ,Deutschland-Plan’.“ Wenn Seehofers Kurs allerdings heiße, er wolle künftig „konstruktiv mitarbeiten und Söder einnorden“, so die FDP-Politikerin, „dann wäre ich bei seinem ,Deutschland-Plan’ sofort dabei“.
Doch so hat der CSU-Chef das sicherlich nicht gedacht. Erst kürzlich hatte er sich im engsten CSU-Kreis für seine Sticheleien gegen die Koalition gerechtfertigt: „Ich lass’ es in Berlin rumpeln.“ Damit wolle er den bundespolitischen Anspruch der CSU dokumentieren. „Den wollt ihr doch auch“, ging er seine Parteifreunde an.
Überrascht sind auch sie von dem „Deutschland-Plan“ ihres Parteichefs. „Im Präsidium am Montag vor einer Woche war davon nicht die Rede“, heißt es an der Parteispitze. Und auch die Landesgruppe in Berlin, die sich derzeit heiße Fehden mit Seehofer liefert, sei nicht informiert.
Dort versucht man, den „Deutschland-Plan“ herunterzuspielen. „Das muss das sein, was wir im Januar schon auf unserer Klausur in Kreuth besprochen haben“, sagt Stefan Müller, der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU in Berlin. Da habe man es noch die „Dekade der Erneuerung“ genannt: Haushaltskonsolidierung, Sicherung der Sozialsysteme, Investition in Bildung und Forschung.
Bei den Christsozialen herrscht tiefster Frust. Seehofer mache, was er wolle, und spreche nichts ab. „Wenn wir so weiter machen, können wir uns bald selbst auflösen“, sagt ein Präside. „So gewinnen wir keine Wahl.“ Seehofer selbst stilisiert sich sich im „Stern“ als Kämpfer. Im Interesse des Gesamtprojekts müsse man vieles „schlucken“: „Ohne Narben und Verwundungen geht es in der Spitzenpolitik nicht ab.“ Angela Böhm