Seehofer ganz sanft

Der Parteichef muss sich beim Haudrauf in Passau zügeln. Denn zum ersten Mal hat nicht die CSU, sondern jemand anderes das Thema gesetzt – Guido Westerwelle. Die Basis findet: Er hat Recht.
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Horst Seehofer auf dem Politischen Aschermittwoch in Passau.
AP Horst Seehofer auf dem Politischen Aschermittwoch in Passau.

PASSAU - Der Parteichef muss sich beim Haudrauf in Passau zügeln. Denn zum ersten Mal hat nicht die CSU, sondern jemand anderes das Thema gesetzt – Guido Westerwelle. Die Basis findet: Er hat Recht.

Ein fremder Geist schwebt über der Dreiländerhalle, dem Aschermittwochs-Mekka der Schwarzen. Guido Westerwelle, der FDP-Chef und Vizekanzler setzt sich mit seinen Hartz-IV-Tiraden an den Biertischen der CSU fest. Die sind ganz nach dem Geschmack der konservativen Gemeinde. Eine heikle Situation für CSU-Chef Horst Seehofer. Da kann er sich kein Duell mit „Giiido“, wie er seinen Duzfreund nennt, leisten. Beim großen Haudrauf der CSU bleibt ihm nur noch eines übrig: Ganz sanft mit Westerwelle umzuspringen und bei Hartz IV auf seinen Kurs einzuschwenken. Nur: Ein bisserl Spott ist noch erlaubt.

Seehofer lässt sich Zeit, bis er zu dem Thema kommt, auf das an diesem Aschermittwoch alle warten. Schon bei seinem Einzug braucht er für die 40 Meter bis zur Bühne fast 15 Minuten. Der CSU-Chef lässt sich auf die Schulter klopfen und klopft zurück. Er redet mit den Leuten und gibt Autogramme, als würde an diesem Tag nichts anderes auf ihn warten. Wie in einem Endlosband spielt die Stadtkapelle Passau den bayerischen Defiliermarsch gleich sechs Mal hintereinander. „Das ist rekordverdächtig“, sagt Dirigent Gottfried Wölfl. „Bei Stoiber waren es einmal fünfeinhalb Märsche.“

Doch das interessiert an diesem Tag in der Dreiländerhalle niemanden. An den Biertischen ereifern sie sich über den Sozialstaat: „Man muss sich fragen, wie das weitergehen soll“, klagt Martin Eisenreich (31), der leitende Angestellte aus Teugn bei Kehlheim. „Viele sagen: ,Ich will nicht mehr arbeiten. Ich nehm' Hartz, mach’ zwei Kinder und arbeite ein bisserl schwarz.’ Eine Generaldebatte, wie Westerwelle sie fordert, brauchen wir dringend. Die CSU ist schon sozial, doch die Frage ist, wie weit treibt man das.“ Sein Gegenüber, Tobias Grassmann (26), der selbständige Fliesenleger aus Nürnberg, pflichtet ihm bei. „Grad wenn man selbständig ist, buckelt man bis an seine Grenzen, kämpft ums Geld, und andere bekommen es zugeschoben für nichts.“ Richard Pester (50) der selbstständige Gärtner aus Aichach, stimmt zu: „Westerwelle hat die richtige Diskussion angestoßen. Den Anreiz zu arbeiten schaffe ich nur übers Geld.“

Mit 12 Leuten ist Karl-Uwe Eggert (58) vom CDU-Kreisvorstand Bielefeld nach Passau zur CSU gereist. Daheim in NRW haben sie bald Wahlen. Er sagt: „Der Westerwelle öffnet der Union die Augen, dass man nicht alles aussitzen kann.“ Seehofer kann das in Passau nicht. Er streichelt die Seele der Bayern, lobt sein Land: „Bayern ist wie ein Hormon- und ein Vitaminstoß.“ Er dankt seiner „lieben“ Frau Karin, „die mich sehr unterstützt.“ Er inszeniert sich als Horst, der Mutige und der Tapfere. „Ich halte es mit Karl Valentin: Ich habe keine Furcht, es sei denn, ich bekäme Angst.“

Vor Westerwelle hat er sie doch ein bisserl bekommen. Auch wenn er es nun ins Lächerliche zieht: „Mein Freund Giiido muss nicht sagen: ,Ich kann auch anders.' Ohha. Da wackeln ja die Alpen, da wackelt der Frankenwald, da schäumt der Chiemsee. Keine Angst, das ist kein Tsunami, das ist nur eine Westerwelle.“

Doch die reißt ihn mit. Seehofer muss über Hartz IV reden. Er sagt den 4000 in der Halle, was sie hören wollen: „Leistung muss sich lohnen. Und derjenige, der arbeitet, muss auch mehr haben, wie der, der nicht arbeitet.“ Oder: „Sozial ist das Gegenteil von Sozialismus. Sozial ist, wenn man Menschen hilft, die sich selbst nicht helfen können. Sozial ist aber nicht, wenn man Menschen hilft, die sich selbst nicht helfen wollen.“

Doch Seehofer weiß, es gibt auch noch ein dritte Gruppe: „Die, die sich helfen wollen, aber keine Chance auf dem Arbeitsmarkt finden.“ Im kleinen Kreis hatte er zuvor schon gejammert: „Die, die in Nürnberg und Fürth bei Quelle ihren Arbeitsplatz verloren haben, das sind doch auch unsere Leut'.“ In der Dreiländerhalle klagt er: „Das ist ja fast schon eine gespenstische Debatte in Deutschland.“

Als Exorzist darf sich am Ende nur CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt betätigen. „Westerwelle hat sich in Straubing vom bayerischen Defiliermarsch einspielen lassen“, vermeldet er empört. „Das ist altrömischer Cäsarenwahn.“ Kleine Genugtuung: Westerwelle hat zum Einzug nur einen einzigen Defiliermarsch gebraucht.

Angela Böhm

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