Seehofer feierte seine Abschiebung: Flüchtling (†23) erhängt sich in Kabul

Es ist der traurige Höhepunkt eines unwürdigen Wahlkampfes auf dem Rücken der Schwächsten: Einer der Flüchtlinge, deren Abschiebung Innenminister Horst Seehofer stolz verkündete, hat sich in Afghanistan das Leben genommen.
az/cel, dpa |
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Bei der Präsentation seines "Masterplans" zeigte sich Seehofer über die Abschiebung der Flüchtlinge sehr erfreut.
dpa Bei der Präsentation seines "Masterplans" zeigte sich Seehofer über die Abschiebung der Flüchtlinge sehr erfreut.

Berlin – Im Alter von 16 Jahren kam der Junge 2011 als Flüchtling aus dem Bürgerkriegsland Afghanistan nach Deutschland. Sieben Jahre später wurde der mittlerweile 23-Jährige vergangene Woche wieder nach Afghanistan abgeschoben. Aus Verzweiflung darüber hat sich der junge Mann am Dienstag erhängt. Das bestätigte das Bundesinnenministerium.

Der abgelehnte Asylbewerber aus der afghanischen Provinz Balkh war vergangene Woche zusammen mit 68 Landsleuten in einem Sammel-Abschiebeflug aus Deutschland nach Kabul gebracht worden. Nach Angaben des afghanischen Flüchtlingsministeriums wurde er am Dienstag in einer Unterkunft in Kabul erhängt aufgefunden. In Deutschland war der 23-Jährige wegen Diebstahl, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu Geldstrafen verurteilt worden, so das Innenministerium gegenüber der AZ.

Seehofer feierte Abschiebung wie ein Geburtstagsgeschenk

Horst Seehofer hatte sich am Dienstag bei der Vorstellung seines sogenannten "Masterplans Migration" höchst erfreut über die Abschiebung gezeigt. "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war", attestierte der sichtbar gut gelaunte Innenminister am Dienstag auf seiner Pressekonferenz. 

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"Vor dem Hintergrund dieses Selbstmordes wird die öffentlich geäußerte Freude Seehofers, an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben zu haben, umso widerwärtiger", sagte Ulla Jelpke, Innenpolitikerin der Linkspartei. Sie erklärte: "Wer nach Afghanistan abschiebt, tötet." Seehofer habe "ganz offenbar ein unheilbares Defizit an Mitmenschlichkeit". Es sei höchste Zeit, dass Bundeskanzlerin Angela "Merkel den Mann rausschmeißt".

Kevin Kühnert, Vorsitzender der JuSos, bezeichnete Horst Seehofer als einen "erbärmlichen Zyniker", der seinem "Amt charakterlich nicht gewachsen" sei. In Richtung seiner Partei, die ja Teil der Großen Koalition ist, mahnte er an, dass Seehofers "Rücktritt überfällig" sei.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt mahnte: "Abschiebungen eignen sich nicht für Scherze." Bei Seehofer seien Entscheidungen über Menschenleben deshalb "in schlechten Händen". Unabhängig von den genauen Umständen dieses Falles sei die Verzweiflungstat eines jungen Menschen zu bedauern. "Es ist verantwortungslos, dass immer mehr Menschen nach Afghanistan in eine ungewisse Zukunft geschickt werden."

Abschiebungen betreffen nicht nur Straftäter und Gefährder

Flüchtlingsaktivisten von Pro Asyl und Bayerischem Flüchtlingsrat hatten kritisiert, dass die seit einem schweren Anschlag vor der deutschen Botschaft in Kabul geltende Selbstverpflichtung, nur Straftäter, terroristische Gefährder und sogenannte Identitätstäuscher abzuschieben, weggefallen sei.

Dem Bayerische Flüchtlingsrat zufolge standen beim jüngsten Flug auch Auszubildende, darunter ein Bäcker-Azubi, Berufsschüler und ein Mann in einem festen Arbeitsverhältnis auf der Abschiebeliste. Bei der Ankunft in Kabul hatte Ahmed Hussain (28) aus der unsicheren Provinz Wardak erzählt, er habe sechs Jahre lang in Deutschland als Wächter und in Pizzarestaurants gearbeitet und Steuern gezahlt.

Die Organisation Pro Asyl ließ verlauten, der Tod des Mannes werfe "ein Schlaglicht auf die Brutalität" der Abschiebungspraxis. "Durch die Abschiebung in eine perspektivlose Lage und in ein Land, dessen Realität er kaum noch kennt, wurde der junge Mann offenbar in eine Lage getrieben, in der er keinen Ausweg mehr sah."

Die Abschiebungen sind wegen der sich rasant verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan umstritten. Die radikalislamischen Taliban lehnen Friedens- und Waffenstillstandsangebote ab und verschärfen ihre Angriffe auf Regierung, Sicherheitskräfte, Bezirks- und Provinzzentren. Sie kontrollieren nach Militärangaben mehr als 14 Prozent des Landes und kämpfen um weitere 30 Prozent. Die Terrormiliz Islamischer Staat verübt zudem immer wieder schwere Anschläge in urbanen Zentren.

Hinweis: In einer vorherigen Fassung dieses Artikels hieß es, dass der Flüchtling acht Jahre in Deutschland gelebt habe. Diese Zahl hat das Innenministerium nun auf sieben Jahre korrigiert.


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