Seehofer: Der große Stratege hat sich verirrt

„Immer ein paar Züge vorausdenken“, sagt CSU-Chef Horst Seehofer, der sich gerne als Schachspieler der Politik sieht. Doch im Endspiel um die Macht unterlaufen ihm unerklärliche Fehler.
von  Abendzeitung
Nachdenklich: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer
Nachdenklich: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer © dpa

MÜNCHEN - „Immer ein paar Züge vorausdenken“, sagt CSU-Chef Horst Seehofer, der sich gerne als Schachspieler der Politik sieht. Doch im Endspiel um die Macht unterlaufen ihm unerklärliche Fehler.

Er wollte es auf die Spitze treiben, die FDP in Bayern kaputt machen, die schwarz-gelbe Koalition, die den Freistaat regiert, scheitern lassen: Horst Seehofers Plan stand fest. Gegen das Votum der FDP wollte der CSU-Ministerpräsident eine Bundesratsinitiative für die 44 000 bayerischen Milchbauern starten. „Ja, das machst“, stachelte ihn sein Vorvorgänger Edmund Stoiber auch noch an. Nur Alfred Sauter, der CSU-Oberstratege und Seehofer-Freund, mischte sich ein: Seehofer müsse endlich von der FDP ablassen. „Ich mach’ das schon richtig“, fuhr er seinem einzigen Spezl in die Parade.

Ob Horst Seehofer, der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident, wirklich alles richtig gemacht hat in diesem entscheidenden Wahlkampf um die Macht in der Republik, daran zweifeln immer mehr in seiner Partei. Im Endspurt setzt er gar auf alles oder nichts: Seehofer droht, keinen Koalitionsvertrag zu unterzeichnen, wenn darin nicht eine Steuersenkung für 2011 und 2012 festgeschrieben wird. Er verspricht ein Milliarden-Steuergeschenk, satte Investitionen und keine Kürzungen des Sozialetats. Nur wo das Geld herkommen soll, sagt er nicht.

Seehofers Nerven liegen blank. Von Stunde zu Stunde wächst die Panik, dass es auch diesmal am Ende wieder schief gehen wird, so wie 2002 und 2005, und für das ersehnte schwarz-gelbe Bündnis im Zieldurchgang wieder der letzte Atem fehlt. Es steht auf Messers Schneide.

Während Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel in heiklen Situationen ihre Mundwinkel hängen lässt, spannt Seehofer die seinen derzeit zu einem provokativen Lächeln. Dann legt er eine Schweigeminute ein, um anschließend mit seinen Künsten als Schachspieler zu prahlen: „Man muss immer ein paar Züge vorausdenken.“ Doch welche Strategie der CSU-Chef im Wahlkampf verfolgte, welche Züge er vorausgedacht hatte, um die große Koalition Schachmatt zu setzen und Schwarz-Gelb als siegreicher König dastehen zu lassen, kapiert nicht mal mehr seine eigene Partei. Denn in Wirklichkeit hat der große Stratege überhaupt keine Strategie. Der Ingolstädter verlässt sich auf sein Bauchgefühl: das aber trügt und sorgt eher für Konfusion – wie der CSU-Wahlkampf zeigte.

Mit seinem großen Steuergeschenk für die Wähler legte Seehofer schon im Frühjahr einen furiosen Auftakt hin. Wochenlang lieferte er sich einen Operettenkrieg mit Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel, um ein Datum für die Steuersenkung im gemeinsamen Wahlprogramm festzuschreiben. Die Kanzlerin weigerte sich. Angesichts der Wirtschaftskrise wollte sie sich von der kleinen Schwesterpartei nicht festnageln lassen. Die Luft war raus. Bei den Wählern kam die Steuer-Großzügigkeit eh nicht an. Wer glaubt schon an Seehofers Goldesel, dass der Staat in schlechten Zeiten auch noch viel zu verschenken habe ohne es anderswo brutal einzusparen.

So stürzte sich der CSU-Chef auf ein anderes Thema: Nach der Europawahl forcierte er den Streit über das Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag. Seehofer setzte auf eine Anti-Europa-Stimmung. Doch sein EU-Gestichel als wahlkampftaktisches Manöver interessierte die Wähler überhaupt nicht.

Querbeet probierte Seehofer einfach alles aus. Hauptsache, er erregte damit Aufmerksamkeit um jeden Preis. Er vollzog eine Ökowende für Bayern als Gen-freie-Zone, schlüpfte in sein Robin-Hood-Mäntelchen, um den Quellekatalog zu retten und stürzte sich schließlich mit all seiner Energie in den Kampf gegen die FDP.

In Bayern verteufelte er die Liberalen in seiner bayerischen Regierungskoalition, geißelte sie als unfähig. Im Bund dagegen will er auf Teufel komm raus gemeinsam mit Westerwelle & Co. an die Macht. In Bayern verkündet Seehofer den „Tod des neoliberalen Zeitgeistes“. Die Zukunft Deutschland aber will er mit der einzigen neoliberalen Partei gestalten. Wer soll diese Strategie noch durchblicken? Ein CSU-Vorstandsmitglied zur AZ: „Das FDP-Bashing hat uns mehr geschadet.“ Bayerns FDP-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger triumphiert: „Uns hat es genützt.“

Politische Strategie ist für Seehofer offensichtlich eine neue Erfahrung. Schließlich war der CSU-Chef in seinem bisherigen politischen Leben noch nie strategisch so gefordert wie jetzt. Bei seinen großen vergangenen Schlachten ging es lediglich um Fachfragen. Ob als Bundesgesundheitsminister oder als Chef des Landwirtschafts- und Verbraucherressorts, er arbeitete sich in die Details besser ein als alle anderen. Das brachte ihm den Erfolg.

Doch was bringt der CSU und der Union am Sonntag den Erfolg? Visionen, wie das Land aus der Krise geführt werden kann, hat keine Partei. So kehrte Horst Seehofer für seine Schlussoffensive einfach auf Start zurück: auf das Steuergeschenk. Aufgepeppt mit seiner Drohung, er werde ohne vertragliche Festlegung auf ein Datum keinen Koalitionsvertrag unterzeichnen.

Nun kann man dem CSU-Chef eines ganz sicher nicht nachsagen: dass er bei seiner Meinung bleibt. Die ändert er bekanntlich so schnell, dass der frühere Bundeswirtschaftsminister Michael Glos lästerte, er wisse nicht, ob am Nachmittag noch das gelte, was in der CSU morgens gesagt wurde.

Natürlich wird er einen Koalitionsvertrag auch ohne Datum für eine Steuersenkung unterschreiben. Genau so, wie er in Sachen FDP doch noch zurückgeschraubt und die Koalition in Bayern wegen der 40000 Milchbauern selbstverständlich nicht riskiert hat.

Aber egal, was der CSU-Chef auch anstellte, in den Umfragen blieb seine Partei in einem 47-Prozent-Loch hängen. Und das trotz Guttenberg-Bonus. „Wo wären wir mit Seehofer, wenn wir den Karl-Theodor nicht hätten?“, fragt ein CSU-Präside fast verzweifelt. Dabei hat Seehofer nach der Europawahl, bei der die CSU 48,1 Prozent erreichte, noch groß getönt: „Das ist ein guter Schritt, jetzt legen wir noch drauf.“ Schließlich gibt’s bei der Bundestagswahl keine Freien Wähler, keine Monika Hohlmeier als Schreckgespenst, und die Beckstein-Schmerzen bei den Franken lassen nach. Die haben jetzt ja ihren schwarzen Baron.

Der spielte im CSU-Wahlkampf Seehofers Gegenpart. Steuersenkungen kamen Karl-Theodor zu Guttenberg bei seinen Auftritten nicht über die Lippen. Im Gegenteil, er bereitete die Menschen auf schwierige Zeiten vor. Aber auf Doppelstrategie hat die CSU ja schon immer gesetzt. Seit Franz Josef Strauß. Nur: Seehofer ist nicht Strauß, auch wenn er ihm viel abgeschaut hat. Ein CSU-Spitzenpolitiker erklärt den Unterschied knallhart: „Strauß hat polarisiert. Die einen haben ihn gehasst, die anderen geliebt. Denen konnte er alles erzählen. Stoiber wurde gewählt, weil er Leistung gebracht hat. Als die fehlte, musste er gehen. Aber Seehofer glauben die Menschen inzwischen nichts mehr.“

Solche Kritik lässt der CSU-Chef abprallen. Er ist sich sicher: „Mir kann eh keiner was.“ Egal, wie die CSU am Sonntag auch abschneiden wird – ob 43, 47 oder 49 Prozent. Seine innerparteilichen Kritiker hält er für zu schwach. Eine Revolte gegen den Ministerpräsidenten wird es nicht geben. Und gegen den CSU- Chef auch nicht. Bei Karl-Theodor zu Guttenberg, dem Einzigen, der ihm auf diesen Posten gefährlich werden könnte, setzt Seehofer auf dessen vornehme Zurückhaltung. In der CSU ist man da schon gespannt, was der schwarze Baron und Superstar für eine Strategie hat.

Angela Böhm

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