Seehofer: Den Neuen im Nacken

MÜNCHEN - Die CSU gibt ihrem Parteichef Horst Seehofer noch eine Chance. Eine Personaldebatte vermeidet sie. Erst auf dem Parteitag 2011 wird neu gewählt. Bis dahin muss die Partei auf Guttenberg warten.
Er zieht sein weißes Tuch aus der Hosentasche, wischt sich die Schweißperlen von der Stirn, atmet tief durch. Horst Seehofer kann wieder Luft holen. Er hat das Allerheiligen-Wochenende überstanden. Seine Partei will es weiter mit ihm versuchen – für ein Jahr. Nun muss er einen bitteren Kreuzweg antreten: Im Januar Kreuth, wo die CSU einst Edmund Stoiber politisch kreuzigte. Im März Baden-Württemberg, wo die Wähler mit ihrem Kreuz Schwarz-Gelb vertreiben können. Was auch in der CSU zu Panikattacken führt. Und bei allem sitzt ihm der neue Heilsbringer im Nacken – Karl-Theodor zu Guttenberg.
In der zweiten Reihe, gleich hinter Seehofer, haben sie ihn auf dem Parteitag in der tristen C-Halle der Münchner Messe platziert. Den „Messias“, der für viele in der CSU schon die „Heilige Dreifaltigkeit“ ist: Kanzler, Parteichef und Ministerpräsident in einer Person. Der sie erlösen soll von allem Übel.
Diese Last, die ihm da aufgebürdet wird, zeigt auch bei dem jungen Baron, der am 5.Dezember 39 Jahre alt wird, Wirkung. Tiefe Sorgenfalten bilden sich auf seiner Stirn. Zwischen den Brauen erscheint ein runder Schatten. Das höchste Alarmzeichen: Jetzt bloß keinen Fehler machen. Noch ist seine Zeit nicht gekommen. So laviert sich Guttenberg durch den Parteitag, demonstriert Schulterschluss, hangelt sich mit einem perfekten „Sowohl als auch“ durch den Glaubenskrieg um die Frauenquote, als noch nicht klar ist, wer siegen wird.
Bei der Nachfolge-Debatte greift er zu deftigen Worten. „Deppert“ sei die. „Quatsch!“ „Ganz tief in der zu Eis werdenden Erde“ möchte er sie vergraben. Ihr die Luft nehmen, wo ihm selber die Luft fast wegbleibt. „Das bei Plasberg war doch der Höhepunkt“, echauffiert er sich. Adelige hatte die ARD bei „Hart aber fair“ über Guttenberg diskutieren lassen, ob er Politik „adeln“ könne. „Popularität kann in Sekunden weg sein“, sagt Guttenberg, als wolle er sich selber warnen.
Doch zwischendrin, ganz unerwartet, flackert das Duell zwischen ihm und Seehofer doch auf und fliegen die Funken. „Gutti, Gutti, Gutti, der ist auch noch nicht da“, giftet der CSU-Chef am Samstagmorgen, als der Parteitag einfach nicht anlaufen will. Guttenberg zischt irgendwo in der Tagungshalle, als er gefragt wird, ob es denn stimme, was Seehofer über ihn sage, dass auch seine Sympathiewerte sinken werden, wenn er einmal über HartzIV und andere Dinge reden müsse: „In meinen letzten Reden habe ich über viele Themen, auch über die demografische Entwicklung geredet.“ Peng! Hatte doch Seehofer die Rente mit 67 in Frage gestellt.
Am Abend vor seinem großen Auftritt war der Parteichef früh nach Hause gefahren. Die Disco, die es erstmals auf einem CSU-Parteitag ab Mitternacht gibt, spart er sich. Zwischen CSU-blauen Leuchtstoffröhren wabert Rauch. Elektro-Sound scheppert in den halbleeren Raum. „Elektro – wie Strom“, erklärt eine aus dem CSU-Nachwuchs. Aber unter Strom steht Seehofer ja schon. „Weil im Leben nichts so schnell verblasst wie die Vergangenheit“, beginnt er seine 90-minütige Rede und zieht Bilanz. Mit kraftloser, monotoner Stimme streichelt er die schwarze Seele.
Nur schwach kommt seine Leidenschaft zurück, als er die Partei beschwört: „Die CSU ist lebendig, strotzt vor Kraft. Hört auf, euch selber anzuklagen, euch selber zu geißeln.“ Dafür gibt’s minutenlangen Applaus. Die Basis ist zufrieden. Die Stimmung aber hat Seehofer nicht gedreht. Ein CSU-Vorstand zur AZ: „Das war eine Trauer- und Abschiedsrede.“ Wie lange er noch Parteichef ist? „Lange“, sagt Guttenberg schnippisch. Darum kann Seehofer nur noch beten. Angela Böhm