Seehofer bremst bei der Stromautobahn

Seehofer beteuert im Landtag: Bei Energiewende ist alles im grünen Bereich. Dabei bremst er nach Kräften - aus Angst vor dem Wähler
München – „Herrgottzah“, Horst Seehofer flucht. Und das nicht nur ein Mal an diesem Mittwoch im Landtag. „Harr“, fletscht er seine Zähne wie ein Pittbull, der gleich zubeißen wird. Angriffslustig schüttelt er den Kopf: „Ich versteh die Welt nicht mehr.“ Dann knurrt er: Grrr! Und schimpft: „Wir sind hier nicht in der Kita. Wir sind ein Teil der Politik.“ Der Alleinherrscher Bayerns hat sich verheddert mit seinen vielen Wenden im Dschungel der Energiewende. Er will sie unbedingt vorantreiben - leistet aber gleichzeitig erbitterten Widerstand.
Seehofer stoppte das Pumpspeicherkraftwerk am Jochberg, bremste die Windräder und zog jetzt den Stecker bei der Stromautobahn. Die soll mit 450 Kilometer Länge von Halle in Sachsen-Anhalt bis Meitingen bei Augsburg den Freistaat mit Energie versorgen, wenn 2022 das letzte bayerische Kernkraftwerk abgestellt wird. „Bayern steht nicht auf der Bremse, wir geben Gas“, erklärt Seehofer am Nachmittag trotzig vor dem Landtag.
2011 hatte er dort beim Start der Energiewende noch erklärt: „Der Umstieg wird von uns allen große Anstrengungen verlangen.“ Doch inzwischen will der den Bürgern gar nichts mehr zumuten. Die wollen zwar weg von der Atomenergie, aber bitte ohne Nachteile vor der eigenen Tür. Beim geringsten Bürgerprotest knickt Seehofer ein. Er will der Liebling aller sein. Seine „Koalition mit den Bürgern“, beschwört er immer wieder. Vor allem jetzt, ein paar Wochen vor den Kommunalwahlen. Da stellte er auch die geplante Stromautobahn infrage, der die bayerische Staatsregierung noch im vergangenen Jahr im Bundesrat zugestimmt hat. Und die sie immer wieder gefordert hat – und zwar schnell.
Feigheit vor dem Wähler könnte man das nennen. HoSeehofer erklärt seiner CSU-Fraktion am Morgen, dass das „Klugheit“ sei. „Und nach der Wahl sind wir noch klüger“, lästert ein CSU-Abgeordneter hinter vorgehaltener Hand.
Seine Gegner sieht Seehofer längst nicht mehr in der Opposition, die er in Bayern verzwergt hat. Bei jeder Gelegenheit sucht er nun die Auseinandersetzung mit den Journalisten. Er äfft vor, dass sie nur noch schreiben würden: „Dieser ständig orientierungslose Ministerpräsident.“
Den CSU-Abgeordneten trichtert er ein, dass sie ihm vertrauen sollen und nicht den Medien. Die wollten die CSU nur spalten. „Er erweckte den Eindruck, als habe er nie etwas anderes gesagt“, heiß es aus der Fraktionssitzung. Schon kürzlich hatte sich ein CSU-Mann mit dem Satz zitieren lassen: „Seehofer glaubt, er kann übers Wasser gehen.“ Der Ministerpräsident doziert:„Ich will eine sinnvolle Energiewende durchsetzen.“ Wie die aussehen soll, weiß er aber offenbar selber nicht.
Im Landtag versucht Seehofer zu erklären: „Weil alles durcheinander gewürfelt wird.“ Aus der Opposition ruft einer dazwischen: „Von wem?“ Dann stört ihn Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger mit einer Bemerkung. Seehofer keift zurück: „Die lautesten Kühe geben die wenigste Milch.“ Der Ministerpräsident fasst lieber zusammen: „Wir sind an der Spitze der Energiewende, wir Bayern.“
Als nächster tritt Thorsten Glauber von den Freien Wählern ans Rednerpult. Er belehrt Seehofer: „Mit Herrn Aiwanger haben sie einen Stier oder Ochsen vor sich. Und die geben bekanntlich keine Milch.“ Dann geht er den Ministerpräsidenten an: „Die denken, wir sind in Bayern inzwischen schizophren. Wir führen eine Bananenrepublik ein.“ Seehofer läuft auf seinem Sessel tomatenrot an – und lächelt.