Sebastian Kurz: Messias, Kanzlerkandidat und Kunstfigur
Vor dem bekanntesten Gesicht Österreichs gibt es kein Entrinnen. Überall, selbst in entlegenen Bergdörfern, lächelt einem alle paar hundert Meter Sebastian Kurz (31) entgegen. Er ist bei den anstehenden Nationalratswahlen nicht nur das Gesicht seiner Partei ÖVP, er ist schlechthin das Gesicht Österreichs. Das Gesicht der Zukunft, glauben seine zahlreichen Anhänger, so einer täte auch Deutschland gut. Mehr geht eigentlich nicht.
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Es ist kein Männergesicht, das von den Wahlplakaten lächelt. Seine Züge sind weich, fast kindlich. Das Kantige fehlt völlig, die Wangen glänzen stets rosig, auch in natura. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie dieses Gesicht in 30, 40 Jahre aussehen könnte: Vielleicht - und davor möge ihn der Himmel oder sonst wer bewahren - wie "Mörtel", das zweitbekannteste Gesicht Österreichs: Richard Lugner, der seit 85 Jahren lächelt, dessen Wangen seit 85 Jahren rosig glänzen?
Sebastian Kurz könnte dem ersten (täuschenden) Eindruck nach 20 sein. Er ist aber schon 31. Nun schickt er sich an, der jüngste Bundeskanzler in der Geschichte Österreichs, ach was: in der Geschichte Europas, zu werden.
Höchst auffällig
Bei allen Weichzeichnungen - Sebastian Kurz "ist eine höchst auffällige Figur", sagt der österreichische Karikaturist Gerhard Haderer, dessen bissige Bildgeschichten über 20 Jahre lang im "Stern" erschienen sind. Kurz sei "ein sehr talentierter Redner, eine telegene Lichtgestalt. Er wird im Augenblick gefeiert wie ein Messias... Klugheit würde ich ihm unterstellen, Authentizität nicht. Das fehlt mir. Er ist eine Kunstfigur."
Ist er wirklich "so neu, so frisch, so aalglatt", wie ihn bezeichnenderweise und seltsam sanft die kommunistische "UZ", das Organ der DKP bezeichnete? Nach einem der unzähligen TV-Duelle, die nur eines schlüssig bewiesen haben, dass nämlich der sprichwörtliche österreichische Charme auch in abstoßenden Schlammschlachten eine scharfe Waffe sein kann, urteilte die "Welt": "Kurz scheint mit seinen 31 Jahren ohnehin nie etwas anderes als ,staatsmännisch' gewesen zu sein. Man kann ihn sich sogar vorstellen, wie er bereits in der Sandkiste mit vor der Brust verschränkten Armen dastand. Wo wenig Inhalt ist, da muss der Körper analysiert werden. Also sprach ein ,Experte': Sieger nach Punkten: Sebastian Kurz, weil er auch mal mit der Handkante vor dem Moderator auf den Tisch haute."
"Feschak" sagt man in Österreich zu attraktiven Typen wie ihm. Seit über einem Jahr führt er mit diesem Image die Rankings der beliebtesten Politiker an. Und im amerikanischen Nachrichtenmagazin "Time" wurde Kurz 2017 zu einem von zehn "Next Generation Leaders" gekürt. Ein Ausnahme-Talent im drögen, verlogenen Politikbetrieb, der den meisten jungen Leuten so überdrüssig ist?
Das Wunderkind
"Die äußere Geschichte des Aufstiegs von Sebastian Kurz ist leicht zu erzählen", schreibt das Politmagazin "Cicero": "Ein sehr junger Mann beschließt, Berufspolitiker zu werden. Er überlebt mühelos das innerparteiliche Geklüngel, wird mit 24 Jahren Abgeordneter, mit 25 Staatssekretär, mit 27 jüngster Außenminister der österreichischen Geschichte - ein politisches Wunderkind also. Mit sicherem Instinkt wählt er die brennendsten Gegenwartsfragen zu seiner Agenda: Migration, Integrationsprobleme, Kampf der Kulturen, Flüchtlingskrise."
Manchmal wirkt Sebastian Kurz wie aus der Zeit gefallen: Chic, jung, dynamisch - die Attribute der Popper, einer Jugendkultur aus den 80ern, die er mühelos verkörpert. Wer ihn zum ersten Mal sieht, assoziiert einen plakativen Hedonismus mit Kaschmir-Pulli, Lacoste-Hemd und Porsche-Cabrio, rein äußerliche Merkmale eines jugendlichen Wertkonservativismus.
Doch diesem Bild und dem damit verbundenen Image des Schnösels aus reichem Elternhaus mit exklusiver Bildung entspricht Kurz' Vita mitnichten. Er stammt aus dem 12. Wiener Gemeindebezirk Meidling, einem Arbeiterviertel. Sein Vater ist Ingenieur, die Mutter Lehrerin. Seine aktuelle Wohnung befindet sich ebenfalls in Meidling, verkehrsgünstig zwischen zwei U-Bahn-Stationen, der berühmte Schlosspark von Schönbrunn ist nicht weit.
Er war früh interessiert
Als Schüler ist er nur aufgefallen, als die Gymnasiasten im Wahlfach Wirtschaftskunde eine Firma gründeten. Unter dem Namen "Kids and the City" betreuten sie Grundschulkinder gegen Honorar. Sebastian Kurz war Geschäftsführer und Marketingleiter.
Die Politik hat ihn früh interessiert, man darf vermuten, dass es weniger die Inhalte waren, sondern eher die Karrieremöglichkeiten, die sich einem gewitzten und charmanten jungen Mann wie ihm boten.
Heute beweist er seine umjubelten Fähigkeiten als politischer Entertainer, wenn er die Geschichte erzählt, wie er als 16-Jähriger in die ÖVP eintreten wollte: "Als ich die Junge Volkspartei in Meidling angerufen habe, sagte mir jemand, ich sei zu jung. Das macht nichts, habe ich gesagt, mein Problem wird mit jedem Tag kleiner. Sie seien auch sehr wenige, hieß es dann. Macht nichts, habe ich geantwortet, ich bringe meine Freunde mit. Aber sie treffen sich eigentlich nie, weil es sich nicht auszahlt, hieß es. Dann habe ich es sein lassen und mich wieder auf Schule, Partys und Tennis konzentriert."
Er hat natürlich nicht klein beigegeben. Nach dem Abitur und dem Beginn des Jurastudiums (abgebrochen) stand die Politik bei ihm an erster Stelle. Dabei ließ und lässt der "Freund der Klarheit", so die Selbstbeschreibung auf seiner Facebook-Seite (mehr als 700.000 Abonnenten), auch gern seine Fantasie schweifen.
"Schwarz macht geil"
Denkwürdig ist seine Kampagne als Chef der Jungen ÖVP im Wiener Kommunalwahlkampf 2010. In Anlehnung an die Parteifarbe Schwarz kreierte Kurz den Slogan "Schwarz macht geil". Er bretterte mit einem schwarzen "Geil-o-Mobil" vom Typ Hummer durch die Hauptstadt. Auf der Kühlerhaube des Luxusgeländewagens rekelten sich ein paar leicht bekleidete junge Frauen in Hot Pants, die "Geilmacherinnen", zur Kurz-Botschaft: "Schwarz macht geile Politik. Schwarz macht geile Partys. Schwarz macht Wien geil."
Ein weiterer Teil der Kurz-Kampagne war die Forderung nach einem durchgängigen Betrieb der Wiener U-Bahn in Wien. Auf Bildern war ein junges Paar zu sehen - mit dem Slogan: "Wenn wir unseren Verkehr so planen, kommen wir nie in Fahrt." Bei der Gelegenheit verriet Kurz auch, dass er im Alter von 15 Jahren erstmals Sex hatte.
Der Außenminister Sebastian Kurz gilt als nachtragend, Fehler verzeihe er nicht, heißt es. Ständig schaut er auf sein Smartphone, wischt und schaut wieder. Die typische Gestik seiner Generation, den "Digital Natives". Doch seine Reflexe als Politiker unterscheiden sich kaum von denen anderer Berufskollegen.
Er habe kein Interesse an "medialer Präsenz", wenn es ihm nicht in den Kram passt. Und sein Privatleben sollte - bittschön! - "nicht medien-öffentlich sein", falls es mal nicht von ihm gesteuert wird. Immerhin wurde bekannt (oder ließ er streuen), dass er 17.372,50 Euro im Monat verdient plus Sonderbezüge jedes Quartal, was einem 13. und 14. Monatsgehalt entspricht. Er esse leidenschaftlich gern Eiernockerl und gehe trotz seines Stressjobs fast täglich trainieren. Seine Körpergrößte betrage 1,86 Meter, die Jahresurlaube verbringe er meistens in Südtirol beziehungsweise am Gardasee.
Sie erdet ihn
Da fährt dann seine Freundin mit, mit der er auch die Wohnung im 12. Bezirk teilt. Die zierliche blonde Wirtschaftspädagogin Susanne Thier ist als Kommissärin im Finanzministerium tätig. Er ist mit ihr schon im 13. Jahr zusammen, mit 18 hat er sich in sie verliebt. Susanne erde ihn und sei neben seinen Eltern seine wichtigste Beraterin, verriet er dem Radiosender Ö3. Er mache ihr "regelmäßig Liebeserklärungen."
Auch über die Familienplanung habe man sich schon Gedanken gemacht. Dann sagt der Mann, der mit 31 Bundeskanzler werden und ein ganzes Land führen will, allen Ernstes, dass er sich eigentlich noch zu jung für Nachwuchs halte.
Diese derart unwiderstehliche Lichtgestalt hat den Satiriker Gerhard Haderer zu einer hübschen Zeichnung inspiriert. Man sieht Kurz als Messias, im Hintergrund lauern ÖVP-Politiker der alten Garde. Sie fordern ihn auf: "Jetzt zeig mal, was du kannst. Erst gehst du übers Wasser, und dann darfst du noch ein paar Liter Wasser in Wein verwandeln, wir wollen ja auch Spaß haben."