"Schwerwiegender Fehler": Ein Jahr Bürgergeld – Bayerische Wirtschaft kritisiert SPD

Das Bürgergeld polarisiert. Experten fordern, dass sich Arbeit wieder lohnen müsse. Sie wenden sich auch an die Politik.
von  Natascha Probst
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, warnt vor fehlender Wettbewerbsfähigkeit.
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, warnt vor fehlender Wettbewerbsfähigkeit. © Matthias Balk/dpa

München – Der Plan sei nicht aufgegangen, sagt Bertram Brossardt. Das Bürgergeld sei heute, rund ein Jahr nach seiner Einführung, umstrittener denn je, findet der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw).

Wie umstritten, das merkt man auch am Mittwochabend, an dem die vbw zu einer Infoveranstaltung in das Haus der Bayerischen Wirtschaft in München einlädt. Ein Fazit will man hier ziehen. Einen Ausblick geben. Beides fällt eher negativ aus. Wohl auch, weil nur einer der Gäste, Bundestagsabgeordneter Sebastian Roloff (SPD), das Bürgergeld befürwortet.

Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft: Bürgergeld gefährde Wettbewerbsfähigkeit

"Wir als bayerische Wirtschaft halten das Bürgergeld für schwerwiegenden Fehler", sagt Brossardt zu Beginn und wiederholt, was schon oft gesagt wurde: Die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Standorts werde gefährdet und trotz konjunktureller Stagnation würden überall Arbeitskräfte gesucht. "Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, eher die Menschen, die diese Arbeit verrichten."

Statt den Menschen den Anreiz zu geben, nicht zu arbeiten, solle man schauen, wie man sie schnell wieder "eigenverantwortlich" macht. Heißt: wie man sie schnell wieder an einen Arbeitsplatz bringt. Arbeitssuchende können und sollen auch Arbeitsplätze unterhalb ihres Qualifikationslevels annehmen müssen, findet er. "Das muss nicht immer das Perfect Match sein."

Bundestagsabgeordnete von SPD und CSU streiten sich um Bürgergeld – Experte sieht zweigeteiltes Problem

Während die beiden Bundestagsabgeordneten Sebastian Roloff und Stephan Stracke (CSU) sich darüber streiten, ob die Anhebung des Bürgergeldes richtig war (Stracke: "Über 20 Prozent Steigerung wegen der Inflation. Kein anderer berufstätiger Mensch hat das", und Roloff: "Für die Inflation kann keiner was. Eine nächste Erhöhung wird es nicht geben."), erklärt Ronnie Schöb, Professor am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der FU Berlin, wo es im deutschen Sozialsystem hake.

Das größte Problem sei, dass die Grundsicherung zweigeteilt ist: in das Bürgergeld auf der einen Seite und einen Strauß aus weiteren Förderungen auf der anderen Seite – nämlich dem Wohngeld, dem Kinderzuschlag und dem Kindergeld. Für all das gebe es verschiedene Ministerien, die zuständig seien, und nichts sei aufeinander abgestimmt.

Zudem bemängelt er, dass es keine Möglichkeit gebe, transparent etwas hinzuzuverdienen. Er fordert, dass ein Zuverdienst nicht nur im Minijob möglich sein soll, sondern auch im sozialversicherungspflichtigen Bereich. Sein Fazit: Der Staat ist vielleicht selbst Schuld, wenn die Bürger nicht mehr arbeiten wollen. Selbiges gelte auch für jemanden, der nach einer Gehaltserhöhung am Ende nicht mehr netto auf dem Konto hätte.

CSU-Abgeordneter Stephan Stracke: Gesetzeslage verändere sich im "Schweinsgalopp"

Auch Stephan Stracke sagt, dass sich Arbeit und Mehrarbeit nicht mehr lohne. Abschaffen und neu aufsetzen, fordert er in Bezug auf das Bürgergeld. Das sieht Klaus Schulenburg, der für den bayerischen Landkreistag spricht, kritisch.

Er bemängelt die Geschwindigkeit, mit der sich die Gesetzeslage verändere. "Im Schweinsgalopp" werde das alles durchgeprügelt. In den Jobcentern käme man nicht mehr hinterher. Wieder etwas abschaffen und neu erfinden, sei nicht produktiv. Nach erst einem Jahr wieder an den Stellschrauben des Bürgergeldes zu drehen, den Betrag verändern zu wollen, all das bringe nichts.

Bürgergeld-Anstieg um mehr als 20 Prozent: Die SPD müsse sich besinnen

Das Bürgergeld habe die Arbeit in den Ämtern nicht leichter gemacht, sagt Schulenburg. Im Gegenteil: Viele Anträge würden gestellt von Menschen, die gar keinen Bedarf hätten. Eben wegen des Namens: Bürgergeld. Jobs seien zahlreich da in Bayern, sagt Bertram Brossardt. Es mache Unternehmer wütend, wenn sie dann niemanden für ihre Arbeit finden. "Wir brauchen eine Agenda für Leistung und Fleiß", bestätigt Stephan Stracke.

Der Ausblick von Brossardt an diesem Abend: Bis zu den Bundestagswahlen werde jetzt erstmal nichts passieren. Er rate der SPD, sich zu besinnen: Das Bürgergeld sei um mehr als 20 Prozent gestiegen. Nicht mal die Tarife im öffentlichen Dienst seien so stark gestiegen, meint er. Also dort, wo man sich so etwas leisten könnte. "Ist gar nicht bös, sondern nur nüchtern gemeint."

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