Schuldzuweisungen nach Eskalation an griechischer Grenze

Athen/Ankara/Berlin - Berichte über einen getöteten Migranten an der griechisch-türkischen Grenze haben neue Spannungen zwischen Ankara und Athen ausgelöst.
Türkische Medien hatten berichtet, durch Schüsse griechischer Grenzschützer sei ein Mann getötet worden, mehrere Migranten hätten Verletzungen erlitten. Ein griechischer Regierungssprecher dementierte das am Mittwoch entschieden und sprach von "fake news".
Auch Augenzeugen berichteten von Schüssen im griechisch-türkischen Grenzgebiet, es gibt Bilder von Verletzten aus dem Krankenhaus im türkischen Edirne. In einer Mitteilung des Gouverneursamts der türkischen Grenzprovinz Edirne hieß es, dass durch Schüsse griechischer Grenzbeamter ein Migrant getötet und fünf weitere verletzt worden seien. Der Getötete weise einen Einschuss an der Brust auf. Die Oberstaatsanwaltschaft habe Ermittlungen eingeleitet.
Eine dpa-Reporterin an der Grenze hatte am Vormittag zunächst mindestens drei, kurz darauf eine Serie weiterer Schüsse gehört. Danach sei ein Ambulanzwagen mit hohem Tempo aus dem Grenzgebiet gefahren, berichtete sie.
Griechenland sichert die EU-Außengrenze mit Härte. Sicherheitskräfte setzten mehrfach Blendgranaten und Tränengas ein, um Menschen zurückzudrängen. Menschenrechtler und Migrationsforscher kritisieren das Vorgehen scharf. Nach Angaben griechischer Sicherheitskräfte sollen auch Migranten auf der türkischen Seite mit Tränengas ausgestattet sein.
Der griechische Sender Skai berichtete, auf der türkischen Seite warteten rund 12 500 Menschen auf die Möglichkeit, die Grenze zu überwinden. Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas sprach angesichts der Zustände an der Grenze von einer organisierten, konzertierten Aktion. Die Menschen würden gezielt mit Bussen von türkischen Städten aus an die Grenze gebracht und per Kurzmitteilungen über die angeblich offene Grenze informiert.
Frontex versucht derzeit nach Angaben eines Sprechers, sich einen Überblick zu verschaffen über die Menschen, die über die griechisch-türkische Grenze gelangen wollen. "Ein vorläufiger Eindruck ist, dass viele Menschen aus Afghanistan, Pakistan und Marokko darunter sind", sagte er. Während europaweit zuletzt jeder zweite Antrag von Afghanen auf Schutz anerkannt wurde, haben Pakistaner und Marokkaner deutlich schlechtere Chancen.
Viele Flüchtlinge und Migranten versuchten indes, sich allein oder in kleinen Gruppen über den Grenzfluss Evros nach Griechenland durchzuschlagen.
Ein Schiff der griechischen Marine erreichte am Mittwoch die Insel Lesbos, um Hunderte Migranten an Bord zu nehmen. Die rund 400 Betroffenen, die seit dem 1. März die Ostägäis-Insel von der Türkei aus erreichten, sollen zunächst an Bord des Schiffes bleiben, dann in ein geschlossenes Camp auf dem Festland gebracht und anschließend in ihre Herkunftsländer ausgewiesen werden, sagte ein Offizier der Küstenwache der Deutschen Presse-Agentur. Auf Lesbos leben nach offiziellen Angaben mehr als 20 000 Flüchtlinge und Migranten.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte bei Krisengesprächen in Ankara, er habe deutlich gemacht, dass die EU von der Türkei die Einhaltung des 2016 geschlossenen Flüchtlingspakts erwarte. Er habe das Land dazu aufgefordert, Flüchtlinge nicht dazu zu ermuntern, an die türkisch-griechische Grenze zu reisen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu schrieb auf Twitter, er habe im Gespräch mit Borrell deutlich gemacht, dass die EU ihre Versprechungen gegenüber der Türkei nicht einhalte und dass Europa Verantwortung übernehmen müsse.
Die EU kündigte zusätzliche 170 Millionen Euro an Hilfsgeldern an. Das beinhalte 60 Millionen Euro, die für die humanitäre Krise in Nordwestsyrien vorgesehen seien, hieß es in einer Erklärung nach einem zweitägigen Besuch einer EU-Delegation in Ankara.
In Brüssel ging die Krisendiplomatie weiter. Am Abend wollten die EU-Innenminister Möglichkeiten ausloten, wie Athen beim Schutz der EU-Außengrenzen unterstützt werden kann. Die EU-Kommission will dort einen Sechs-Punkte-Plan zur Unterstützung Griechenlands vorlegen. Vorgesehen ist unter anderem ein neues Programm der EU-Grenzschutzagentur Frontex für schnelle Rückführungen von Menschen, die nicht in Griechenland bleiben dürfen.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich am Vortag offen für die Aufnahme von rund 5000 Kindern und Jugendlichen aus griechischen Flüchtlingslagern in Europa gezeigt. Er warb für eine "Koalition der Willigen" in der EU. Einen deutschen Alleingang werde es nicht geben, betonte ein Sprecher des Ministeriums am Mittwoch noch einmal. Deutschland will Griechenland mit 20 zusätzlichen Grenzschützern und einem seetauglichen Hubschrauber unterstützen. Bisher beteiligten sich 60 Bundespolizisten an den Frontex-Einsätzen in Griechenland.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich forderte die von CDU und Grünen regierten Länder auf, sich zur Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge aus griechischen Lagern bereit zu erklären. Alle SPD-geführten Länder hätten das am Mittwoch getan, sagte Mützenich nach einer Sonder-Fraktionssitzung. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) betonte, eine Lösung könne nur auf europäischer Ebene gelingen.
Der Deutsche Landkreistag warnte vor einem "einseitigen Vorpreschen Deutschlands bei der Flüchtlingsaufnahme". Die Integration der in den vergangenen Jahren angekommenen Menschen sei noch nicht abgeschlossen, erklärte der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes, Reinhard Sager.