Seehofer gibt Widerstand gegen Polizeistudie auf

Wie viel Rassismus steckt in der deutschen Polizei? Das werden Wissenschaftler demnächst untersuchen. Doch auch die Belastung der Beamten, die in ihrem Arbeitsalltag häufig beleidigt werden, soll unter die Lupe genommen werden.
Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
5  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Bundesinnenminister Horst Seehofer: "Es hat sich an meiner Position nichts geändert.".
Bundesinnenminister Horst Seehofer: "Es hat sich an meiner Position nichts geändert.". © Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa
Berlin

Nach monatelangem Streit in der Koalition ist Bundesinnenminister Horst Seehofer jetzt doch bereit, eine Studie zu Rassismus in der Polizei in Auftrag zu geben.

Allerdings zu seinen Bedingungen: Der CSU-Politiker besteht darauf, dass die Forscher gleichzeitig auch Schwierigkeiten und Frust im Alltag der Sicherheitsbeamten in den Blick nehmen. Damit da eine "vernünftige Balance" herrsche, sagte Seehofer in Berlin.

Nachdem rechtsextreme Chatgruppen von Polizisten in mehreren Bundesländern aufgedeckt wurden, hatte die SPD bereits eine umfassende Rassismus-Studie bei der Polizei gefordert. Grüne, FDP, Linke, alle bliesen sie ins gleiche Horn. Mehrere Landesinnenminister kündigten eigene Untersuchungen an. Nur die AfD, einige Unionspolitiker und Seehofer waren dagegen. Der Minister argumentierte, es sei falsch, sich bei der Untersuchung dieses Phänomens allein auf die Sicherheitsbehörden zu konzentrieren. Damit würde man die Polizei unter Generalverdacht stellen.

Dass die Fronten so verhärtet waren, lag auch daran, dass man sich im Bundesinnenministerium und auch bei den Polizeibehörden über eine Interview-Äußerung der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken geärgert hatte. Esken hatte Anfang Juni nach den Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA gesagt: "Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte, die durch Maßnahmen der Inneren Führung erkannt und bekämpft werden müssen."

Damit es jetzt nicht so aussieht, als sei er in der Frage der Studie eingeknickt, wie ihm die AfD jetzt vorwirft, betont Seehofer: "Es hat sich an meiner Position nichts geändert." Sein Vertrauen in die Polizei sei nach wie vor hoch. Polizisten "halten ja für uns den Kopf hin", sagt er. Dafür würden sie oft "nicht besonders gut bezahlt". In einer Stadt wie München müssten Polizisten zum Teil in Wohngemeinschaften wohnen, weil sie sich eine eigene Bleibe nicht leisten könnten. Die Polizeibeamten wiesen zudem zurecht darauf hin, "wie aggressiv der Ton inzwischen geworden ist", sagt der Minister.

In einem internen Papier zur geplanten Polizei-Studie heißt es: "Unsere Polizistinnen und Polizisten dürfen mit ihren Erfahrungen nicht alleine gelassen werden. Für Extremismus, Rassismus und Antisemitismus gibt es keine Toleranz.". Die geplante Studie solle daher untersuchen, "wie dieser Anspruch auch künftig gelebt werden kann". Gleichzeitig solle das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Polizei genauer analysiert und die "veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen" miteinbezogen werden. Dazu gehörten auch Gewalt und Hass gegen Polizeibeamte.

Wer den Auftrag für die Studie erhält, steht noch nicht fest. Im Gespräch ist wohl die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Montagabend überraschend angekündigt, dass die Bundesregierung nun doch Rassismus innerhalb der Polizei untersuchen lassen wolle. "Es wird eine Studie geben", sagte der SPD-Politiker laut WDR COSMO-Podcast "Machiavelli". "Wir überlegen noch, wie wir sie nennen." Er tausche sich dazu "jeden zweiten Tag" mit Seehofer aus.

Bewegung kam in die Sache Ende September, als die Gewerkschaft der Polizei (GdP) einen eigenen Vorschlag für eine Studie gemacht hatte. Den greift Seehofer jetzt auf. Dadurch vermeidet er auch den Eindruck, er falle den Beamten in den Rücken.

Die Gewerkschaft hatte für eine "Untersuchung des Polizeialltags" plädiert - um Belastungen zu dokumentieren. Aber auch um herausfinden, warum sich mitunter "Vorurteile gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen" bei einzelnen Beamten verfestigten, und was man dagegen tun kann. Seehofer hat jetzt angekündigt, GdP-Vize Jörg Radek werde einem Beirat angehören, der die nun geplante Untersuchung begleiten solle.

Dass Seehofer jetzt in Sachen Studie einen Kompromiss mit der SPD erzielt hat, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass sein Ministerium bei einigen Gesetzesvorhaben, die vom Koalitionspartner blockiert wurden, endlich vorankommen will. Dem Vernehmen nach sind Union und SPD jetzt auch bei der seit langer Zeit geplanten Novelle des Verfassungsschutzrechts zu einer Einigung gekommen. Streitpunkte waren hier unter anderem die sogenannte Online-Durchsuchung und die Befugnisse des Verfassungsschutzes, verschlüsselte Nachrichten mitzulesen.

© dpa-infocom, dpa:201020-99-05686/8

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
5 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • luxemburger am 21.10.2020 11:11 Uhr / Bewertung:

    Der Seehofer ist doch ein Befürworter des Polizeistaates.Siehe Bayern.

  • Ach so am 21.10.2020 08:29 Uhr / Bewertung:

    Warum ist man über diese „Drehung“ nicht verwundert, passt es doch zu all seinen Aussagen, die er innerhalb kürzester Zeit bei dem kleinsten Widerstand wieder fallen lässt. Was hat er nicht bereits alles angekündigt, um es dann ganz schnell wieder zurückzunehmen. Hier wird jetzt ein ganzer Berufsstand, der sich beleidigen, beschimpfen, verletzen lassen muss (einfach mal so ins Genick springen lassen, ins Wachkoma schießen lassen, die täglichen Angriffe, öffentlichen Missachtungen) an den Pranger gestellt, während man bei anderen Täten immer sofort von nur Einzeltaten spricht, die man ja nicht verallgemeinernd auf die ganze Gruppe übertragen darf. Irgendwann will niemand mehr diesen Beruf ausüben, den man öffentlich und konsequenzlos auf den Müll verorten darf, um gleich darauf dann aber deren Personenschutz anzufordern. Die Zeit, als Polizisten noch als Respektspersonen betrachtet wurden, scheint vorbei zu sein. Sie sind zum Prügelknaben mutiert.

  • am 21.10.2020 07:00 Uhr / Bewertung:

    So lange eine Journalistin die Polizei ungestraft auf den Müll wünschen darf, haftet der Polizei ein gewisser Ruf an. Dagegen hätte man schon vorgehen müssen aber Seehofer dürfte ja nicht.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.