Schöngeist gegen Sonnenkönig
Sie kämpfen am Sonntag um das Bürgermeisteramt in der Hansestadt: Michael Naumann, der weltmännische Quereinsteiger, und Ole von Beust, der lässige und machtbewusste Hanseat. Was sie trennt, worin sie einander ähnlich sind - ein AZ-Porträt über den diskreten Charme der Kandidaten.
Michael Naumann ist ein vielsprachiger, klug parlierender Mann. Ein Intellektueller, ein Schöngeist: In Marburg und München hat er politische Philosophie studiert, in Oxford geforscht. Er war Chef des Rowohlt- Verlags, Gerhard Schröders Kulturstaatsminister und zuletzt Chefredakteur und Herausgeber der „Zeit“.
Und dann das: Eine Stunde lang hat der 66-Jährige, der am Sonntag nächster Hamburger SPD-Bürgermeister werden will, dem CDU-Alleinregenten Ole von Beust im TV-Duell wacker Paroli geboten. Dann soll der Neuling in der hanseatischen Landespolitik noch ein kurzes, persönliches Statement an die Bürger richten – und erlebt einen Total- Blackout. Bei der Formulierung „Stundenpläne entrümpeln“ verhaspelt sich Naumann, stammelt etwas von „Studien...äh..Schulplänen“ und gerät völlig aus dem Konzept.
Zu Beginn eine hoffnungslose Mission
„Am Ende war mein Herz zu voll und die Zeit war zu knapp“, japst der Kandidat selbstironisch, als er seine Fassung wiedergefunden hatte.
Als Naumann vor knapp einem Jahr zum SPD-Spitzenkandidaten gekürt wurde, galt seine Mission als hoffnungslos, die Hamburger SPD lag am Boden. Die Umfragewerte waren desaströs und die Granden zerstritten, seit bei der Mitgliederbefragung über einen Spitzenkandidaten tausend Stimmzettel gestohlen worden waren.
Der Leitartikler in der Realität
Naumann schwebte wie ein deus ex machina aus den Höhen der „Zeit“ hinab in die Niederungen der Kommunal- und Landespolitik. Ein Mann trommelt für den Mindestlohn und gegen Studiengebühren, der in den USA eine Yacht liegen hat und der mit der Bankierstochter Marie Warburg verheiratet ist. Der die sozialen Brennpunkte seiner Stadt bislang aus schwergewichtigen „Zeit“-Dossiers kannte. Er habe nicht gewusst, wie vielen Leuten es in der reichen Hansestadt dreckig gehe, entfuhr es ihm. Der Leitartikler in der Realität.
Michael Naumann will in die Fußstapfen von Genossen treten, die ihre Nase gerne recht hoch getragen haben. Auch Hans-Ulrich Klose, Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau entstammten dem Großbürgertum: Die „taz“ hat den Typus des Hamburger SPD-Bürgermeisters als „eine Mischung aus Buddenbrook und Bebel“ beschrieben, der „die stolzen Hamburger Kaufleute mit der Malocher- SPD“ versöhnt habe.
"Der kniet sich ohne Ende rein"
Aus eben diesem Antrieb quält sich Naumann seit einem Jahr jeden Morgen um halb sieben aus dem Bett, lässt sich in einem knallroten VW-Golf durch die Hamburger Bezirke kutschieren, schüttelt Hände und verteilt rote Rosen. „Der Typ kniet sich wirklich rein ohne Ende“, sagt ein Spitzen-SPDler aus Hamburg, als hätte er das nie und nimmer für möglich gehalten.
Jeder Fehler, den Naumann im Wahlkampf gemacht hat, jeder falsche Name und jeder Zahlendreher wurde tags darauf von der CDU-freundlichen „Springer“-Presse ausgebreitet – und die hat auf dem Hamburger Zeitungsmarkt ein Quasi-Monopol. Egal: Naumann steigerte die Umfragewerte der SPD von 29 auf 35 Prozent, die CDU fiel auf 39.
Die Genossen wittern Morgenluft. Der Kontrahent des weltmännischen Quereinsteigers ist ein waschechter Hamburger, der auf der ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnte: Rechtsanwalt Ole von Beust (52) hat in seinem Leben fast nur Politik gemacht und seine Heimatstadt nie verlassen. Schon mit 16 Jahren trat er in die CDU ein, wurde Chef der Jungen Union, saß schon mit 23 im Landtag. Zugleich eilt Beust der Ruf voraus, die Wochenenden lieber auf Sylt als mit Aktenstudium zu verbringen. Auf die Frage, wie er sich im Wahlkampf entspanne, sagte er: „Ich gehe um 22.30 Uhr ins Bett.“
"Das ist wie früher bei Mao"
Da sitzt Naumann noch bei Bier und Fluppe in der Kneipe und kämpft um Stimmen. Auf stylischen, schwarz-weißen Wahlplakaten inszeniert sich von Beust als präsidialer Sonnenkönig. 30 Meter hoch prangt sein Konterfei vor Hamburger Kirchen. „Das ist ja wie früher bei Mao“, lästern sie in der Hansestadt über den Personenkult.
Mit vollem Namen heißt der Bürgermeister Carl-Friedrich Arp Ole Freiherr von Beust. Den Namen „Ole“, wie ihn jeder in Hamburg ruft, hat er erst mit 18 angenommen. Er geht zurück auf Beusts Großmutter, die den kleinen Buben auf plattdeutsch „ole Popp“, also „alte Puppe“ genannt hatte.
Der Pakt mit "Richter Gnadenlos"
Ein Kind von machtpolitischer Traurigkeit freilich ist Beust nicht. Um auf den Bürgermeistersessel zu gelangen, ging der CDU-Kandidat nach der Wahl 2001 trotz desaströser 26 Prozent einen Pakt mit der Partei des als „Richter Gnadenlos“ bekannt gewordenen Rechtspopulisten Ronald Schill und der notorisch schwindsüchtigen FDP ein. Die einzige Möglichkeit, die seit dem Krieg fast nonstop regierenden Sozis zu stürzen.
Das bizarre Bündnis platzte erst, als Schill Beust vor versammelter Presse als homosexuell outete und ihm ein Verhältnis mit dem damaligen Innensenator unterstellte. Beust schadete das nicht im Geringsten. Er feuerte Schill und holte 2004 mit 47 Prozent die absolute Mehrheit.
Der Anti-Koch
Der Popularität des Bürgermeisters tat auch keinen Abbruch, dass er sich wiederholt über den Bürgerwillen hinwegsetzte: So verscherbelte er entgegen einem Volksentscheid die landeseigenen Krankenhäuser an einen Klinikkonzern und kippte die per direkter Demokratie beschlossene Reform des Wahlrechts. Zu Lässigkeit und Machtstreben kommt bei Beust Liberalität.
In der CDU-Spitze ist er eine Art Anti-Koch, das Gegenteil des konservativen Haudraufs. Der Hanseat vertritt die großstädtischen, ökolibertären Milieus in der CDU. So leitet er die Umweltkomission der Partei, hat seiner Stadt ein anspruchsvolles Klimaprogramm verordnet und die Kita- und Ganztagsschulbetreuung ausgebaut.
Ein schwarz-grünes Bündnis?
Kein Wunder, dass die Polit-Auguren Beust zutrauen, das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene zu schmieden. Denn umgekehrt sind die Grünen kaum irgendwo in der Republik so sehr verbürgerlicht wie in der Hansestadt. War die Hamburger GAL einst ein linksextremer Sponti-Haufen, der „gegen Bullen und für Bambule“ war, zählen die Grünen heute zum Establishment. Offiziell setzt Spitzenkandidatin Christa Goetsch auf Rot-Grün, doch hinter den Kulissen sagen viele Grüne seit langem, dass sie sich ein Bündnis mit Beust vorstellen könnten. Gerade in Hamburg klappt die Zusammenarbeit schon: die Bezirke Harburg und Altona werden seit langem schwarz-grün regiert.
Attackiert an der hanseatischen Selbstgefälligkeit
Und doch könnten diese Träume am Sonntag platzen. Wenn nämlich die FDP wieder ins Parlament einzieht und zusammen mit Beust regieren kann. Oder wenn die Linke den Grünen so viele Stimmen abnimmt, dass eine Machtblockade wie in Hessen entsteht.
Die Lafontaine-Partei hat Hamburg am schwächsten Punkt attackiert, an der hanseatischen Selbstgefälligkeit. Denn obwohl der Hafen boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt und der Haushalt ausgeglichen ist, wächst die Armut in der Stadt.
Spitzenkandidatin Dora Heyenn, die früher für die SPD im Kieler Landtag saß, hat bereits angekündigt, in der Bürgerschaft Sozialtickets für die U-Bahn zu beantragen: „Es gibt Menschen in Hamburg, die die Elbe schon lange nicht mehr gesehen haben.“
MARKUS JOX