Schmidts Arbeitszimmer: Hier wurde Geschichte geschrieben
Die Pfeife liegt auf dem Aschenbecher, dahinter steht die lederne Tabaksdose. In der zweiten Schublade des Schreibtischs hat er eine Packung seiner heiß geliebten Menthol-Zigaretten versteckt, zudem eine Packung Zigarillos und eine aufgerissene Tüte "Fisherman's Friends". Genau hinter seinem Schreibtisch, im großen Bücherregal, stehen die Erinnerungen seines Vorgängers Willy Brandt mit dem Titel "Begegnungen und Einsichten". Und an der Wand hängen Fotos, die ihn im Kreise der Großen und Mächtigen der Welt zeigen, unter anderem mit US-Präsident Gerald Ford († 2006), Kremlchef Leonid Breschnew († 1982) oder seinem Freund, dem französischen Staatspräsidenten Valerie Giscard d'Estaing (90).
Es scheint, als sei Kanzler Helmut Schmidt nur einmal kurz aufgestanden und habe sein Büro im Bonner Kanzleramt mit dem offenen Blick auf den weitläufigen zum Rhein führenden Park lediglich für einen kurzen Augenblick verlassen. Alles liegt akkurat an seinem Platz, sogar das Schachspiel ist griffbereit.
"Sie können es förmlich riechen – wie wenn er noch da wäre"
Dabei ist es ein kleines Wunder, dass das originale Arbeitszimmer des im November vergangenen Jahres im Alter von 96 Jahren gestorbenen Altkanzlers, der von 1974 bis 1982 regierte, mit allen Einrichtungsgegenständen, Büchern, Fotos und Erinnerungsstücken an diesem Ort wieder so steht, wie es einst ausgesehen hat – und ab Januar sogar besichtigt werden kann.
Geschafft hat dieses Kunststück Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), dessen Ministerium seit 2005 in der früheren Bonner Regierungszentrale seinen ersten Dienstsitz hat. Der Allgäuer machte nicht nur das Arbeitszimmer wieder ausfindig, sondern sorgte auch dafür, dass es künftig zusammen mit dem Vorzimmer ("Heckel-Zimmer") sowie dem einstigen Sitzungssaal des Bundeskabinetts für Besucher zugänglich gemacht wird und im Rahmen von Führungen besichtigt werden kann (siehe unten). "Sie können es förmlich riechen – wie wenn er noch da wäre", sagt Müller.
Als der CSU-Minister nach der Bundestagswahl 2013 Hausherr im Bonner Kanzleramtsgebäude wurde, fand er ein leeres und verwaistes Kanzlerbüro vor. Denn nach seiner Abwahl und seinem Auszug aus dem Kanzleramt 1982 nahm Helmut Schmidt alles mit, genauso machten es auch seine Nachfolger Helmut Kohl, der von 1982 bis 1998 in diesem Büro arbeitete, sowie Gerhard Schröder, der 1999 von Bonn nach Berlin umzog.
"Das Kanzleramt steht für die Geschichte in Bonn – und diese muss dokumentiert werden"
Das Arbeitszimmer des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, das vor genau 40 Jahren, im Sommer 1976, von Schmidt bezogen wurde und in dem bis zum Umzug 1999 alle Fäden der Macht zusammenliefen, geriet in Vergessenheit. Ebenso der Kabinettssaal, in dem einst die Regierung getagt hatte und nun hin und wieder vom Personalrat des Entwicklungsministeriums genutzt wurde.
Gerd Müller, Jahrgang 1955, ein Kind der alten Bundesrepublik, der mit den Bildern vom Kabinettssaal groß wurde, die abends in der "Tagesschau" zu sehen waren, war entschlossen, das zu ändern. "Ich habe mich erinnert an meinen ersten Besuch im Kanzleramt, als ich 1994 als jung gewählter Abgeordneter von Helmut Kohl eingeladen wurde", erzählt er. "Das Kanzleramt steht für die Geschichte in Bonn – und diese muss dokumentiert werden mit den Kanzlern, die hier deutsche Politik gestaltet haben."
So traf sich Müller mit Schmidt in Hamburg und Schröder und lud Kohl sowie weitere Mitglieder des Kabinetts ins Kanzleramt ein. Dabei stellte sich heraus, dass Schmidt sein Arbeitszimmer komplett in sein Berliner Büro mitgenommen hatte. Alles war da. Und nach dem Tod des Altkanzlers war der Weg frei. Zusammen mit dem Bonner Haus der Geschichte übernahm das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das Büro mit allem, was dazugehört, und brachte es zurück nach Bonn.
Lediglich das Gemälde von August Bebel fehlte, das war auf Umwegen beim früheren SPD-Chef Kurt Beck gelandet, dessen Büro es schmückt. Für das Bonner Kanzleramt wurde daher eine Kopie angefertigt und am Originalplatz aufgehängt. Alles ist wieder so wie einst.
Ein weiterer Mosaikstein in der Geschichte der Bonner Republik
Für das Bonner Haus der Geschichte ist die Entscheidung Müllers, Kabinettssaal und Kanzlerarbeitszimmer für Besucher zugänglich zu machen, ein Glücksfall. Schon jetzt können Bonn-Besucher das Palais Schaumburg, in dem die Bundeskanzler Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger (alle CDU) und Willy Brandt (SPD) regierten, sowie der Kanzlerbungalow im Park des Kanzleramtes, in dem die Regierungschefs wohnten und ihre Gäste empfingen, besichtigen. "Das ist ein weiterer Mosaikstein, die Bonner Geschichte zu präsentieren", sagt die Historikerin Judith Kruse. "Die historischen Orte haben ihre eigene Aura. Und die Besucher sind richtig heiß darauf, diese Orte, an denen Geschichte geschrieben wurde, zu sehen."
So können Sie das Büro besichtigen
Kostenlose Besichtigungen für Gruppen durch den Kabinettssaal und das Arbeitszimmer des Bundeskanzlers organisiert ab Januar der Besucherdienst des Hauses der Geschichte in Bonn. Infos unter: 0228 / 91 65 - 400 oder per E-Mail an besucherdienst-bonn@hdg.de