Saudi-Arabien will Rechtssystem reformieren

Religionsgelehrte und islamische Hilfssheriffs entscheiden in Saudi-Arabien zusammen mit Richtern über Recht und Unrecht. Das will Staats-Chef Abdullah jetzt ändern.
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König Abdullah will Justizwesen reformieren
dpa König Abdullah will Justizwesen reformieren

Religionsgelehrte und islamische Hilfssheriffs entscheiden in Saudi-Arabien zusammen mit Richtern über Recht und Unrecht. Das will Staats-Chef Abdullah jetzt ändern.

Die Urteile der islamischen Gerichte in Saudi-Arabien lesen sich oft wie Gruselgeschichten aus dem Mittelalter. Da werden angebliche «Zauberer» enthauptet, vergewaltigte Mädchen mit Peitschenhieben bestraft und glücklich verheiratete Ehepaare auf Betreiben der Verwandtschaft zwangsgeschieden.

Opfer dieser Justiz werden oft Ausländer, die sich aus wirtschaftlicher Not in der Öl-Monarchie niedergelassen haben. Aber auch moderne Saudis, die sich von den vielen Verboten ihrer Gesellschaft eingezwängt fühlen, geraten oft in die Mühlen eines Rechtswesens, das von bärtigen Religionsgelehrten und den islamischen «Hilfssheriffs» der Behörde für die Förderung der Tugend und die Verhinderung des Lasters dominiert wird. Eines der Opfer ist Professor Mohammed A. von der Umm al-Kura-Universität in Mekka, der zu 180 Peitschenhieben und acht Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Sein Vergehen: Er hatte dem Wunsch einer Studentin nach einem persönlichen Gespräch in einem Café entsprochen. Kaum erschien die Studentin, standen plötzlich mehrere junge Religionspolizisten neben dem Professor. Sie warfen ihm vor, gegen die staatlich verordnete Geschlechtertrennung verstoßen zu haben und führten ihn in Handschellen ab.

Beim Verfahren getrickst

Mohammed A. behauptet dagegen, die Islamisten, unter denen einige seiner früheren Studenten sein sollen, hätten ihm die Studentin als «Lockvogel» geschickt, um ihn aus persönlichen Rachegelüsten zu bestrafen. «Ich habe aber noch die Hoffnung, dass dieses haarsträubend ungerechte Urteil in der Revision für null und nichtig erklärt wird», sagt er in einem Telefongespräch mit der dpa. Seinen Familiennamen möchte er wegen des noch laufenden Verfahrens nicht veröffentlicht sehen.

Sein Anwalt Abdullah al-Sanussi rät ihm unterdessen, nicht aufzugeben. Auch der Anwalt Mohammed al-Duhaim (41) aus Dschidda glaubt, dass bei dem Verfahren gegen den Professor getrickst wurde, «weil das Urteil erging, bevor die Ermittlungen abgeschlossen waren». Al-Duhaim war früher selbst Richter. Wie jeder, der in Saudi-Arabien etwas mit Justiz zu tun hat, so hat auch er islamisches Recht («Scharia») studiert. Er kritisiert: «Der Ermessensspielraum des einzelnen Richters ist zu groß.» Denn die Richter an den islamischen Gerichten, die von Scheidungen bis zu Mordfällen alles bearbeiten, können die «Scharia» in ihren Urteilen nach eigenem Gutdünken interpretieren. Ein saudisches Gesetzbuch, in dem Bürgerrechte, - pflichten und Strafen präzise formuliert sind, gibt es nicht.

Sharia wird nicht in Frage gestellt

König Abdullah, an den die Justizopfer ihre Gnadengesuche richten, will nun mit dem Wildwuchs in den Gerichten des Landes aufräumen - allerdings ohne die «Scharia» als einzige Quelle des Rechts in Frage zu stellen. In den kommenden Jahren sollen 14 Berufungsgerichte entstehen sowie spezialisierte Strafgerichte, Familiengerichte, Verwaltungsgerichte und Verkehrsgerichte. Außerdem soll die Zahl der Richter von derzeit knapp 1000 mehr als verdoppelt werden. Sieben Milliarden Riad (rund 1,3 Mrd. Euro) will der Monarch in die Reform des Justizwesens stecken. «Das zeigt, dass diese Reform dem König wirklich wichtig ist», meint Al-Dulaim. Er bezweifelt jedoch den Reformwillen der Richter, die bislang mehr oder wenig unkontrolliert urteilen konnten. Bisher dürfen in Saudi-Arabien nur Männer den Anwaltsberuf ausüben. Doch die Frauen machen Druck. 70 Studentinnen haben inzwischen ihr vierjähriges Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen. Wegen der Vorschriften zur Geschlechtertrennung hat sich bislang allerdings keine Kanzlei gefunden, in der die Frauen auch den praktischen Teil ihrer Ausbildung absolvieren könnten. (Anne-Beatrice Clasmann, dpa)

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