Sarrazin wirft Westerwelle intellektuelle Armut vor
BERLIN - Kritisiert haben sie beide Hartz-IV-Empfänger, aber trotzdem liegen sie nicht auf einer Wellenlänge: Thilo Sarrazin kritisiert Westerwelles Spruch von der spätrömischen Dekadenz. Gleichwohl hält der Bundesbanker die Hartz-Sätze für ausreichend - und er hat wieder einen Spartipp in petto.
Wenn jemand etwas zu Hartz IV zu sagen hat – und damit auch zur laufenden, von FDP-Chef Guido Westerwelle angestoßenen Debatte – dann ist das wohl Thilo Sarrazin. Der ehemalige Berliner Finanzsenator und heutige Bundesbank-Vorstand hatte bekanntlich schon früher Tipps für Hartz-IV-Empfänger auf Lager: Er entwarf einen Speiseplan, denn ein Erwachsener könne auch von nur rund vier Euro am Tag sich „vollständig, gesund und wertstoffreich ernähren“.
Oder er riet, man könne es mit einem dicken Pulli auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur aushalten, um Heizkosten zu sparen. Jetzt hat er sich zum gleichen Thema wieder geäußert. In der „Süddeutschen Zeitung“ verteidigt Sarrazin nämlich die geltenden Sätze des Arbeitslosengeldes II als ausreichend. Er empfiehlt diesmal: kalt duschen. Das sei ohnehin viel gesünder: „Ein Warmduscher ist noch nie weit gekommen im Leben.“
Letztlich sei es keine Geldfrage, sondern eine Frage der Mentalität, des Wollens und der Einstellung, sagte Sarrazin dem Blatt. „Wo diese fehlt, hilft auch kein Geld, und wo diese da ist, ist das Geld gar nicht so wichtig.“
Wer nun aber glaubt, dass folglich Sarrazin und Westerwelle auf derselben Wellenlänge liegen, irrt: In dem Interview übt Sarrazin scharfe Kritik an dem FDP-Vorsitzenden. Er stellte Westerwelle in der Sozialstaatsdebatte ein „intellektuelles Armutszeugnis“ aus. Westerwelles Vergleich zwischen staatlichen Leistungen für Langzeitarbeitslose und spätrömischer Dekadenz sei ein „völlig misslungenes Bild“.
Sarrazin erinnerte an den römischen Feldherrn Lukullus, der sich mit einer Feder am Gaumen kitzeln ließ, um zu erbrechen und weiteressen zu können. Was habe das mit dem Frühstück eines Hartz-IV-Empfängers zu tun, fragte der SPD-Politiker.
Wegen kritischer Äußerungen über Ausländer in der Zeitschrift „Lettre International“ berät die Landesschiedskommission der Berliner SPD am Montagnachmittag über einen Parteiausschluss Sarrazins. Zwei Kreisverbände hatten dies beantragt. Bei dem Treffen soll Sarrazin selbst gehört werden, eine Entscheidung wird noch nicht erwartet. In der Zeitschrift hatte Sarrazin unter anderem erklärt, Araber und Türken hätten nur im Obst- und Gemüsehandel eine Funktion, und er müsse niemanden anerkennen, „der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert“.
Ein Politikwissenschaftler war in einem Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass eine Passagen des Interviews rassistisch seien. Sarrazin geht dem Verfahren aber gelassen entgegen. „Das stehe ich völlig bewegungslos durch“, sagte er in der „SZ“ zum Ausgang des Parteiordnungsverfahrens. (nz/apn)
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