Sachliche Debatte um Zuwanderung gefordert
In die Zuwanderungsdebatte soll mehr Gelassenheit einkehren - da sind sich Politiker in Berlin und Brüssel weitgehend einig. Aber verniedlichen dürfe man die durchaus bestehenden Probleme auch nicht.
Berlin - Sachlich und seriös wollen Politiker in Deutschland und Europa die Debatte um eine mögliche Armutszuwanderung führen. SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte der "Bild"-Zeitung: "Ich halte nichts davon, dieses Problem künstlich groß zu reden. Aber wir dürfen es auch nicht verniedlichen." EU-Sozialkommissar Laszlo Andor forderte mehr Gelassenheit, Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer sprach sich für "mehr Ruhe und Seriosität" aus.
Andor sagte der Tageszeitung "Die Welt": "Wir müssen unbedingt Grundrechte wie die Freizügigkeit verteidigen und dürfen auf Zuwanderung von Menschen nicht mit Hysterie reagieren." Das EU-Recht beinhalte bereits Schutzklauseln gegen Missbrauch - "wir wollen und wir brauchen darum keine neuen Gesetze, um die Freizügigkeit einzuschränken", fügte der ungarische Politiker hinzu.
Seit dieser Woche dürfen auch Bulgaren und Rumänen ohne Beschränkung in Deutschland Arbeit suchen. Damit verbunden ist mancherorts die Sorge vor einer zusätzlichen Belastung der Sozialsysteme. Vor allem die CSU setzt sich für schärfere Gesetze ein. Der jüngste Vorschlag des CDU-Europapolitikers Elmar Brok, Fingerabdrücke von vermeintlichen Sozialbetrügern zu verlangen, brachte diesem den Vorwurf des Populismus ein. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, sprach in der "Neuen Presse" aus Hannover von "übler Demagogie".
CDU-Politiker Kretschmer mahnte im Sender MDR Info: "So groß, wie die Schlagzeilen derzeit sind, ist das Phänomen bei weitem nicht." Es gehe nicht um die Einschränkung der Freizügigkeit, sondern um die Bekämpfung von Sozialmissbrauch. In der Bundesregierung soll nun eine Staatssekretärs-Arbeitsgruppe prüfen, ob und welche Maßnahmen gegen den möglichen Missbrauch von Sozialleistungen notwendig sind.
Die nordrhein-westfälische CDU will in der Union für die Vorteile einer toleranten Integrationspolitik werben. NRW habe mit seinen vielen Nachbarländern immer von offenen Grenzen profitiert. "Diese Erfahrung wollen wir auch in die bundesdeutsche CDU einbringen" , sagte Landesparteichef Armin Laschet der Nachrichtenagentur dpa. Der Vizevorsitzende der Bundespartei hatte in den vergangenen Tagen mehrfach für ein offenes Europa plädiert und sich deutlich von gegenteiligen Äußerungen aus der Union distanziert.
Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) bezeichnete die aktuelle Debatte als populistisch. Gesetzesverschärfungen seien für die Kommunen absolut zweitrangig: "Davon erwarten wir kaum praktische Wirkungen", sagte er der "Stuttgarter Zeitung". Mannheim gehört zu den Großstädten, in denen schon jetzt viele Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien wohnen.
Sowohl SPD-Chef Gabriel als auch EU-Kommissar Andor rieten dazu, für die Integration von EU-Migranten Gelder aus dem EU-Sozialfonds zu nutzen. Gleichzeitig müsse die Armut in den Heimatländern bekämpft werden, forderte Gabriel. Die dafür vorgesehenen EU-Mittel müssten Rumänien und Bulgarien aber auch abrufen: "Hier muss die Bundesregierung unterstützend eingreifen - und im Zweifel auch sanften Druck ausüben", fügte er hinzu.
Die EU-Kommission will nach den Worten Andors Trainingsmaßnahmen für Beamte in den EU-Ländern anbieten, um "dabei zu helfen, das Recht auf Freizügigkeit für EU-Bürger vollständig zu verstehen und anzuwenden".