Russlands Schatten über Bayern: Warum sich sich Spionage-Vorfälle im Freistaat häufen

Erneut sind zwei mutmaßliche Spione festgenommen worden. Wie es zu der Verhaftung kam und warum es überhaupt so viele Fälle in Bayern gibt.
von  Alexander Spöri
Ein Panzer fährt über den US-Truppenübungsplatz in Grafenwöhr. Den Militärstützpunkt in der Oberpfalz soll auch bereits ein unter Spionageverdacht stehender Deutschrusse ausgekundschaftet haben.
Ein Panzer fährt über den US-Truppenübungsplatz in Grafenwöhr. Den Militärstützpunkt in der Oberpfalz soll auch bereits ein unter Spionageverdacht stehender Deutschrusse ausgekundschaftet haben. © imago/Abaca

München – Die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sind auf einem neuen Tiefpunkt angekommen. Seit dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sind alle offiziellen Kanäle zwischen den zwei Ländern eingefroren. Jetzt belastet ein Spionagevorfall das Verhältnis weiter und zeigt wie russische Akteure die Bundesrepublik unterwandern und für Unruhe sorgen.

Durch umfangreiche Ermittlungen konnten das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft zwei mutmaßliche Spione enttarnen, die laut den Behörden unter anderem Sabotageakte und Anschläge auf militärische Stützpunkte geplant haben sollen. Am Mittwoch nahmen Beamte die beiden Deutschrussen Dieter S. (39) und Alexander J. (37) in Bayreuth fest. Auch die Wohnungen und Arbeitsplätze der zwei Tatverdächtigen wurden durchsucht.

Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft: Dieter S. sei mit einem Mittelsmann in Kontakt gestanden, der an einen russischen Geheimdienst angebunden sein soll. Mit dieser Person habe er sich über staatsgefährdende Taten ausgetauscht: "Diese Aktionen sollten insbesondere dazu dienen, die aus Deutschland der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg geleistete militärische Unterstützung zu unterminieren", heißt es in einer Mitteilung der Karlsruher Behörde.

Mutmaßlicher russischer Spion soll Anschläge in Deutschland geplant haben

Konkret habe sich S. dazu bereiterklärt, Sprengstoff- und Brandanschläge auf militärisch genutzte Infrastruktur- und Industriestandorte zu begehen, heißt es in dem Schreiben. Mit der Planung dieser Attentate soll der mutmaßliche Spion bereits begonnen haben.

Unter anderem durch Foto- und Videoaufnahmen von Militärtransporten- und Gütern soll der 39-Jährige Informationen über potenzielle Anschlagsziele gesammelt haben. Unterstützung soll der Tatverdächtige seit spätestens Anfang März von Alexander J. (37) bekommen haben.

Laut dem "Spiegel" handelt es sich bei einem der ausgekundschafteten Objekte um den US-Militärstützpunkt in Grafenwöhr in der Oberpfalz. Dort werden unter anderem ukrainische Soldaten in kurzer Zeit ausgebildet, anschließend kehren sie dann an die Kriegsfront in ihrer Heimat zurück.

Tatverdächtiger hat offenbar auch schon in der Ukraine gekämpft

Was die Ermittler ebenfalls herausfanden: Dieter S. pflegte wohl schon seit mehreren Jahren Kontakte zu prorussischen Gruppierungen. Der Bundesanwaltschaft zufolge besteht der dringende Verdacht, dass der Mann ab Dezember 2014 für knapp zwei Jahre in der Ostukraine für die bewaffnete Einheit der "Volksrepublik Donezk" gekämpft hat. Dort soll er auch über eine Schusswaffe verfügt haben.

Bei dieser Vereinigung handelt es sich um eine prorussische, terroristische Gruppierung, die seit der Annexion der Krim die Kontrolle über den Verwaltungsbezirk Donezk mit dem Ziel der Loslösung von der Ukraine beansprucht. Die Einheit ist gewaltsam gegen das ukrainische Militär und die Zivilbevölkerung vorgegangen.

Ähnlicher Vorfall in Polen: Außenministerin Baerbock bestellt Russlands Botschafter ein

Seit Mittwoch sitzen die beiden Tatverdächtigen nun in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen laufen weiter und sorgen auch auf diplomatischer Ebene für Spannungen. Auch, weil es in Polen laut der „Bild“ einen ähnlichen Vorfall gab, bei dem ein Spion ein Attentat auf den Regierungschef Wolodymyr Selenskyj geplant haben soll.

Als Reaktion auf die mutmaßliche Enttarnung der Spione in Deutschland hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) den russischen Botschafter in Berlin, Sergei Netschajew, ins Auswärtige Amt einbestellt.

Ob nach diesem Vorfall Konsequenzen für russische Staatsvertreter in Deutschland drohen? Bereits Mitte 2023 hat die Bundesregierung reagiert und den Betrieb von russischen konsularischen Einrichtungen stark eingeschränkt.

Bundesregierung hat den Betrieb von Konsulaten bereits 2023 massiv eingeschränkt

Als Reaktion auf die Ausweisung von 100 deutschen Bediensteten in Russland hat das Ampel-Kabinett damals den Betrieb von vier der insgesamt fünf Generalkonsulate untersagt – darunter auch das in München. Nur die Botschaft in Berlin und das Konsulat in Bonn sind seit Jahresanfang noch geöffnet.

Bei der Entscheidung, die übrigen Konsulate zu schließen, könnte nicht nur die Ausweisung der deutschen Mitarbeiter eine Rolle gespielt haben. Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz sind nämlich sogenannte "Legalresidenturen" in offiziellen konsularischen Vertretungen angesiedelt.

Dabei handelt es sich um getarnte Stützpunkte von ausländischen Nachrichtendiensten. Laut Verfassungsschutz arbeiten dort Spione im Auftrag einer Regierung oder werden durch diese gesteuert. Durch "konspirative Methoden" und einfache Kontaktpflege bauen diese ein an Einfluss gewinnendes Netzwerk auf. Die Informationen daraus könnten dann an fremde Regierungen weitergegeben werden.

Nicht der erste Vorfall: Mehrere rätselhafte Spionagefälle in München

Auch in München gab es mehrere derartige Spionagefälle, die teilweise noch bis heute Rätsel aufgeben. Darunter: der ehemalige Generalkonsul, Sergey Ganzha. Im Jahr 2023 wurde der Russe abgesetzt und verlor seine Erlaubnis, diplomatische Funktionen im Freistaat Bayern auszuüben.

Zuvor war der Spitzendiplomat fast zehn Jahre in der bayerischen Landeshauptstadt tätig – eine ungewöhnlich lange Dienstzeit, denn die meisten Diplomaten wechseln nach dem sogenannten Rotationsprinzip alle drei bis vier Jahre ihren Einsatzort.

Was Fragen aufwirft: Obwohl der russische Staatsvertreter bereits 2001 in Österreich als Nachrichtendienstoffizier enttarnt worden war, durfte er seine Diplomatenkarriere in München fortsetzen. Damals ist durch ein Geheimdossier öffentlich geworden, dass rund 100 als Diplomaten getarnte Spione in der Alpenrepublik gearbeitet haben.

Münchens ehemaliger Generalkonsul in Spionage verwickelt?

Bis heute gibt es keine umfassende Begründung, warum Ganzha den Job in Bayern antreten durfte. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion von 2022 im Bundestag habe es "keine Bedenken" im Zusammenhang mit dem russischen Staatsvertreter gegeben. Darüber hinaus standen in der Antwort kaum nützliche Informationen. Denn diese könnten der Bundesregierung zufolge das Staatswohl berühren, hieß es in der Antwort.

Neben Ganzha sorgte auch sein damaliger Stellvertreter für Irritationen – im Zusammenhang mit einem russischen Wissenschaftler, der bis 2021 an der Universität in Augsburg arbeitete. Damals wurde bekannt, dass der junge Forscher den russischen Geheimdienst SWR mit Informationen über die Trägerrakete der Europäischen Weltraumorganisation Esa belieferte. Auch hier ist auffällig: Sein Kontaktmann war Leonid Struktow, Münchens früherer Vizekonsul.

Auch Ex-Wirecard-Chef Jan Marsalek ging im Konsulat ein und aus

Wie groß das Netzwerk der russischen Diplomaten offenbar ist, wird auch beim Fall Wirecard sichtbar. Vor dem Kollaps des Münchner Finanzdienstleisters ging das ehemalige und bis heute flüchtige Vorstandsmitglied Jan Marsalek im Generalkonsulat ein und aus. Direkt in einem Nachbargebäude mietete sich der Unternehmer sogar eine Villa, soll dem Sohn des Generalkonsuls bei seinem Studium geholfen und Geschäftsbeziehungen zu ihm gepflegt haben, wie 2021 die "Welt" berichtete.

Nicht nur zu Wirtschaftsvertretern wurden Drähte geknüpft, sondern auch zu Politikern. Ganzhas Nachfolger, Oleg Krasnitskiy, der das Generalkonsulat bis zu seiner Schließung zum Jahreswechsel leitete, beriet laut einem Bericht des "Spiegel" einst Spitzenpolitiker von der AfD – darunter Ex-Bundesgeschäftsführer Georg Pazderski und den frühen Bundesvorstand Alexander Gauland. Dabei habe es sich aber nur um eine strategische Beratung und um keine russische Einflussnahme gehandelt.

Es geht um Einfluss: Fake-News-Portal von Russland finanziert

Neben den AfD-Funktionären sollen außerdem auch "Reichsbürger" von der mutmaßlichen Terrororganisation um Heinrich XIII. Prinz Reuß Kontakt zu Russland gesucht haben. Laut der Bundesanwaltschaft wollten sich mehrere Mitglieder mit Vertretern des russischen Generalkonsulats in Leipzig treffen. Die Ermittler kamen ihnen allerdings zuvor und verhafteten sie.

Nicht immer geht es in diesen "Gesprächen" um Umsturzfantasien oder Anschläge, sondern viel mehr um Einflussnahme. Das zeigte auch der Fall "Voice of Europe". Dabei handelt es sich laut tschechischem Geheimdienst um ein direkt von Russland finanziertes Nachrichtenportal, das mit Falschmeldungen in Europa auffällt.

Wie groß ist Russlands Netzwerk in Bayern und Deutschland wirklich?

Durch eine internationale Zusammenarbeit wurde diese "Einflussoperation" Russlands, wie sie das Bundesinnenministerium nennt, vor wenigen Wochen aufgedeckt. Laut den Behörden sollen dabei auch Gelder an europäische Politiker geflossen sein, die in Interviews auf der Plattform auftauchten.

All das zeigt: Russland hat hierzulande ein großes Netzwerk aufgebaut, das die Behörden offenbar auf dem Schirm haben. Unklar ist aber trotzdem, wie groß es wirklich ist und wie stark die untereinander Akteure verwurzelt sind.

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