Russland wählt neuen Präsidenten: Doch Putin hat ganz eigene Pläne

Eine Handy-App überwacht, ob Staatsbedienstete bei den Präsidentschaftswahlen ihr Kreuzchen machen. Studenten werden eingeschüchtert – und die Online-Abstimmung gilt als "Blackbox".
von  Roland Bathon
Niemand bezweifelt, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Wahl vom 15. bis zum 17. März gewinnt. Seine fünfte Amtszeit dauert dann bis zum Jahr 2030.
Niemand bezweifelt, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Wahl vom 15. bis zum 17. März gewinnt. Seine fünfte Amtszeit dauert dann bis zum Jahr 2030. © MikhailMetzel / AFP

München – Die am Freitag beginnenden dreitägigen Präsidentschaftswahlen in Russland sind ein Ritual, das von der mächtigen Präsidialverwaltung im Kreml koordiniert wird. Dieser arbeiten die Behörden im Land zu mit dem Ziel, dass Putin mit einem höheren Stimmenanteil und einer höheren Wahlbeteiligung als 2018 wiedergewählt wird. Das Ritual ist jedoch nicht ohne Gefahren für die Mächtigen. Denn immer noch können Bürger in den Wahlkabinen einen anderen Kandidaten ankreuzen oder der Abstimmung fernbleiben.

Gerade die Gefahr, dass viele Russen einfach nicht teilnehmen, ist groß. Denn die Wahl stößt in der breiten Bevölkerung angesichts des sicheren Ausgangs auf wenig Interesse. Neben Putin zugelassen wurden nur drei farblose Vertreter der zahmen Parlamentsparteien: ein kommunistischer Greis, der schon 2004 gegen Putin schlecht abschnitt; ein Vertreter der rechtsextremen Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR), der zu 100 Prozent auf Regierungslinie liegt und ein recht unbekannter Vertreter einer Partei, die vielen Russen als Kreml-Projekt gilt.

Berichterstattung zur Wahl: Wladimir Putin hat am meisten Sendezeit im TV

Alle drei unterstützen die Invasion in der Ukraine. Sie sind in den Medien wenig präsent – man widmet im TV den Berichten über Putins Wahlkampf alleine etwa die vierfache Zeit wie denen über alle übrigen Kandidaten zusammen. Die Mächtigen trauten sich nicht, zur Steigerung der Attraktivität einen echten Gegenkandidaten zuzulassen.

Der erst wenig bekannte Kriegsgegner Boris Nadeschdin, dem man zuvor nur wenige Prozente zugetraut hatte, wurde noch zur Sammlung von Unterstützungsunterschriften zugelassen. Es kam zu einem großen Run auf die Unterschriftenlisten, Nadeschdin wurde zur Hoffnungsfigur der Nichteinverstandenen. Sein Unterstützungsrating in Umfragen kletterte sofort auf zehn Prozent und mehr.

Dann durfte er plötzlich nicht mehr antreten. "Dieser explosionsartige Aufstieg, die Warteschlangen waren die wahren Gründe, warum sie beschlossen haben, mir die Registrierung zu verweigern", sagt Nadeschdin in einem Interview mit der "Berliner Zeitung". Amtlich gab es von der regierungsnahen Wahlkommission Zweifel an der Echtheit von Unterstützungsunterschriften.

Der Ausschluss der Opposition, Putins persönliche Popularität unter älteren Russen und die Mediendominanz ist den Mächtigen nicht genug. So muss laut einem Bericht des exilrussischen Onlineportals Medusa jedes Mitglied der Putinpartei "Einiges Russland" zehn weitere Personen animieren, in die Wahllokale zu kommen.

Manipulation? Staatsbedienstete müssen drei andere Leute zur Wahl bringen

Bei Staatsbediensteten, unter denen wegen ihrer Abhängigkeit vom System ebenfalls mehr Regierungswähler sind, ist die Anforderung, drei andere Leute zum Wählen zu bringen. All das ist streng organisiert. Wie die "Moskauer Deutsche Zeitung" schreibt, bekamen die Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten den Auftrag, die Kontaktdaten dieser drei Bekannten zu nennen. Akzeptiert würden nicht beliebige Personen, sondern nur solche, die ein persönliches Konto auf dem staatlichen Onlineportal Gosuslugi hätten. "Wir wurden verpflichtet, unsere Stimme abzugeben und nachzuweisen, dass wir gewählt haben", sagte eine Staatsbedienstete dem Blatt.

Über Gosuslugi läuft die Onlinewahl – eine Alternative zum Wahllokal – bei der es schon bei den letzten Dumawahlen Zweifel an einer korrekten Stimmenauszählung gab. Sie ist kaum unabhängig zu kontrollieren. "Das ist eine vollkommene, nicht nachvollziehbare Blackbox", sagt auch Boris Nadeschdin. Er warnt zudem davor, bei der dreitägigen Wahl am ersten oder zweiten Tag ins Stimmlokal zu gehen. "Sonst kann es passieren, dass sich die Stimmabgabe auf mysteriöse Weise nachts ändert."

Kontrolliert wird die Stimmabgabe der Staatsbeschäftigten und ihrer Kontakte, wenn sie sich für das Wahllokal entscheiden, über eine Handy-App mit Geolokalisierung. Darin wird individuell festgehalten, ob der Wähler tatsächlich an den Tagen der Abstimmung im Wahllokal war. Initiator der App ist "Einiges Russland". Lieber ist den Behörden trotzdem die Teilnahme an der Onlineabstimmung.

Studierende sollen in Universität online abstimmen – dürfen am Wahltag nicht heimgehen

Wie weit Kontrolle und Beeinflussung gehen, hängt von örtlichen Akteuren ab. Das Onlineportal 7x7 etwa berichtet, der Direktor der Universität Woronesch in Westrussland habe die Studierenden angewiesen, am Wahltag gar nicht heimzugehen, sondern in der Uni online abzustimmen. Wer sich nicht daran halte, würde zum Rektor geladen. Dort würde festgestellt, dass "die anderen drei Kandidaten" außer Putin nichts für die Studierenden seien. Einer jungen Frau, die trotz allem ins Wahllokal gehen wollte, sei gesagt worden, dass sie so nicht wählen dürfe.

Derart massiv ist der Druck auf die Russen, "richtig" zu wählen aber nicht überall. Es hängt von regionalen Führungskräften ab, mit welchem Engagement sie die Zielvorgabe von oben umsetzen. Ihre Leistung wird am Regionalergebnis gemessen. Eine direkte Kreml-Anweisung, Bürger zu nötigen, Putin zu wählen, existiert allerdings nicht. Sie würde dem Schein widersprechen, dass sich die Russen aus freiem Willen hinter ihrem kriegerischen Präsidenten vereinen. Wie viele das tatsächlich tun, wird sich anhand des festgestellten Wahlergebnisses kaum messen lassen.

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