Russland unter Medwedew: Eine Expedition ins Ungewisse

Der scheidende Kleml-Chef und sein "Kronprinz" feiern die Machtübergabe. Es ist alles wie geplant aufgegangen für Wladimir Putin und Dimitri Medwedew. Die erste Belastungsprobe steht gleich am Montag an.
Bei der russischen Operation „Machtübergabe“ lief alles wie am Schnürchen. Hochzufrieden zogen der scheidende Kremlchef Wladimir Putin und sein laut Prognosen gewählter Wunschnachfolger Dmitri Medwedew nach der Stimmabgabe in ein Moskauer Restaurant. „Expedition“ heißt der exklusive Spezialitätentempel, in dem Speisen vom Polarkreis im Schatten eines ausrangierten Transporthubschraubers gereicht werden.
„Gleich nächste Woche brechen wir zu einer Expedition auf“, scherzte Putin im Kreise seiner Vertrauten, wie russische Agenturen meldeten. Dabei rätselt Russland, wohin die Reise mit dem Tandem Putin-Medwedew gehen wird.
Beerensäfte, kein Wodka zum Anstoßen
Dank der Unterstützung durch den populären Amtsinhaber hatte Medwedew schon im Vorfeld als sicherer Sieger gegolten. Auf Medwedew entfielen knapp 70 Prozent der Stimmen. Das wäre etwas weniger als Putin bei seiner Wiederwahl 2004 erzielte (71,3 Prozent). Der Zweitplatzierte, Kommunistenchef Gennadi Sjuganow, lag bei etwa 19 Prozent.
Mit Beerensäften aus der Tundra stießen die Spitzenpolitiker schon vor Schließung der Wahllokale an. Von Wodka war in den Bulletins nicht die Rede. Aus besonderem Anlass gab es geraspelten Eisfisch. Bereits bei der Stimmabgabe hatte sich Putin in „Feiertagslaune“ gefühlt. Auch Medwedew zeigte sich an der Urne siegessicher.
Eine erste Belastungsprobe für die Glaubwürdigkeit des Präsidenten in spe, der sich gern als Liberaler präsentiert, steht bereits an diesem Montag an. In Moskau und St. Petersburg hat die Opposition zum Marsch der Dissidenten aufgerufen. In Petersburg, wo die Behörden grünes Licht gaben, will auch der Kremlkritiker und frühere Schachweltmeister Garri Kasparow mitmarschieren.
Wie fällt die Reaktion auf die Opposition aus?
In der Hauptstadt handelten sich die Regierungsgegner dagegen einmal mehr ein Demonstrationsverbot ein. Ungeachtet dessen wollen unerschrockene Bürger ihren Ärger über den Verlauf der einseitigen Präsidentenwahl auf die Straße bringen. Im vergangenen Jahr hatten Bilder von prügelnden Polizisten, die nicht genehmigte Kundgebungen auflösten und hunderte Menschen festnahmen, weltweit für Empörung gesorgt. Auch wenn Medwedew noch nicht an den Hebeln der Macht sitzt, wird mit Spannung erwartet, wie der Kreml dieses Mal auf die Opposition reagiert.
Medwedew hat nun maximal zwei Monate Zeit, um sich einzuarbeiten. Putins Amtszeit läuft am 7. Mai aus. Mehrfach hatte der topfit wirkende 55-Jährige betont, dass er seine Amtspflicht bis zum letzten Tag erfüllen wolle. Danach, so ist es abgemacht, soll Putin als Regierungschef weitermachen.
Große Aufmerksamkeit werden in den kommenden Tagen und Wochen die Möbelwagen auf sich ziehen. Eine vieldiskutierte Frage ist in Moskau, wen von den einflussreichen Kremlfunktionären Putin in das Weiße Haus am Moskwa-Fluss mitnimmt, wo die Regierung ihren Sitz hat. Was geschieht mit den Vertretern der Geheimdienste wie Viktor Iwanow und Igor Setschin, die jeweils einen Teil der russischen Wirtschaft kontrollieren – bleiben sie bei Medwedew im Kreml oder gehen sie mit Putin? Mancher Experte vermutet in Moskau, dass ein Machtkampf im Führungszirkel unausweichlich ist.
Umzug ins Weiße Haus?
Einiges spricht dafür, dass Putin nicht wie ursprünglich vermutet im Kreml bleibt, sondern tatsächlich in das 2,5 Kilometer entfernte Weiße Haus umzieht. Denn dort wird nach Medienberichten seit einigen Wochen emsig renoviert – ausgerechnet auf der für den Regierungschef bestimmten Etage.