Interview

Russischer Journalist kündigt: "Ich sehe keine Perspektive"

Nicht alle Journalisten in Russland unterstützen die offizielle Politik. Ein Nahost-Korrespondent hat aus diesem Grund gekündigt.
von  Roland Bathon, Liudmilla Nossowa
Das kleine Dorf Borodjanka: Mit dem Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem Gebiet um die Hauptstadt wird das Ausmaß der Schäden und der Verluste an Menschenleben infolge der russischen Invasion deutlich.
Das kleine Dorf Borodjanka: Mit dem Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem Gebiet um die Hauptstadt wird das Ausmaß der Schäden und der Verluste an Menschenleben infolge der russischen Invasion deutlich. © Matthew Hatcher/SOPA Images via ZUMA Press Wire

Der russische Nahost-Korrespondent Ruslan Suleymanvov sieht die russische Ukraine-Invasion kritisch. Er hat öffentlich gekündigt. Derzeit lebt er in Kairo: Im gegenwärtigen russischen Staat will er nicht arbeiten. Gleichzeitig hat er Angst vor einer Verhaftung.

Suleymanv: "Ich verstand, es wird Probleme von oben geben"

AZ: Sie haben aus Protest gegen den Krieg bei Tass gekündigt. Aber nicht gleich zum Kriegsausbruch, sondern erst im März. Warum?
SULEYMANOV: Ich schreibe ja nicht darüber, was in der Ukraine passiert, sondern über den Nahen Osten. Ich habe aber nach Kriegsbeginn ohne Wissen meiner Vorgesetzten verschiedenen TV-Sendern auf Arabisch, Afghanisch und Persisch Interviews gegeben, in denen ich mich gegen diesen Angriff ausgesprochen habe - also noch parallel zur Arbeit für Tass. Gespräche mit meinen Vorgesetzten führten schnell zur Erkenntnis, dass das so nicht weitergehen kann, wenn der Krieg andauert.

Sie meinen, Ihre Vorgesetzten hätten herausgefunden, dass Sie nicht nur Interviews gegeben, sondern auch gegen den Krieg Stellung bezogen haben?
Ja und es war aus ihrer Sicht besser, das nicht zu tun. Ich verstand, es wird Probleme von oben geben. Meine Arbeit für TASS seit 2017 war eine Art innerer Kompromiss, der durch den Krieg nicht mehr ging. Mir wurde klar, ich kann für diesen Staat nicht mehr arbeiten. Also habe ich mich öffentlich erklärt.

"Auch Repressionen gegen mich sind nicht mehr auszuschließen"

Kam Ihr Unbehagen, für ein Staatsmedium zu arbeiten, also erst mit dem Krieg?
Es war schon immer ein Kompromiss. Ich habe einfach eine Lieblingsbeschäftigung, die Analyse des Nahen Ostens und es machte mir Spaß. Ich arbeitete zwar für den Staat, machte aber selbst keine Propaganda, etwa über die russische Innenpolitik oder wie in Russland Wahlen oder Proteste laufen. Ich liebe wirklich meinen Job und wollte mich in ihm weiterentwickeln - das ging dort. Aber nach dem russischen Angriff habe ich aufgehört, in dieser Beschäftigung für mich eine Zukunft zu sehen.

Werden Sie in Kairo bleiben und nicht nach Russland zurückkehren?
Ich habe noch ein Visum für Ägypten, das bis August gültig ist und sogar meine Akkreditierung läuft noch. Ich suche aktuell die Möglichkeit, von hier in ein europäisches Land zu wechseln.

Ruslan Suleymanov war bis vor zwei Wochen leitender Nahost-Korrespondent für die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass.
Ruslan Suleymanov war bis vor zwei Wochen leitender Nahost-Korrespondent für die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass. © privat

Man sieht, wie sich in Russland auf Geheiß nur eines Mannes an einem Tag alles dramatisch ändern kann, auch Repressionen gegen mich sind nicht mehr auszuschließen. Vor allem seit Putin von "Verrätern" und ihrer Behandlung gesprochen hat, mache ich mir ernste Gedanken. Ich sehe dort keine Perspektive mehr für mich. Auch wenn ich Russland liebe und mir die Menschen dort weiter wichtig sind, die unter diesem Regime leben.

"Ich bin und bleibe Russe und werde diese Herkunft nie verleugnen"

Sie haben auch nicht-russische Wurzeln?
Mein Vater kommt aus Baku in Aserbaidschan, aber ich bin Russe - mit Wurzeln in Irkutzk, in Aserbaidschan und der Ukraine. Deswegen hat mich die Sache auch so berührt. Ich habe noch Verwandte dort, in der Region Riwne. Zu einem gewissen Grad bin ich noch ein Kind der Sowjetunion. Aber ich bin und bleibe Russe und werde diese Herkunft nie verleugnen.

Stehen Sie mit Ihren Verwandten in der Ukraine in Kontakt?
Leider habe ich es nicht geschafft, sie zu kontaktieren. Ich habe sie letztmals vor vier Jahren kurz besucht, dann ging die Verbindung verloren. Ich habe auf Instagram nach Leuten aus dem Dorf gesucht, wo sie leben. Jemand dort konnte mir immerhin versichern, dass bei ihnen alles in Ordnung ist. In Riwne ist es relativ ruhig, allerdings schlagen auch dort in der Region Raketen ein.

Sie hatten in Kairo ja ein eigenes Team. Ohne Namen zu nennen, wie denken Ihre früheren Kollegen?
Ich weiß, dass viele die momentanen Aktionen Moskaus nicht unterstützen, es sich aber nicht offen zu sagen trauen. Ich weiß, dass viele von ihnen Familie haben oder Schulden. Ein Kollege in der Redaktion über Militärthemen, Gleb Irissow, hat ebenfalls gekündigt und musste aufgrund massiver Probleme Russland ebenfalls verlassen. Er hatte viele Kenntnisse, da er selbst in der Armee war.

Er ist frisch aus Russland weg?
Ja, weggerannt sozusagen. Er erzählte in einem Interview, dass mehrere Leute mit ihm die Militärredaktion per Kündigung verlassen hätten. Aber dennoch sind sie eine Minderheit. Es gibt bestimmt auch Leute, die die russische Regierung aufrichtig unterstützen. Aber viele, die bleiben und mit denen ich weiterhin in Kontakt bin, sind eher modern. Sie wissen, wie man Telegram verwendet, um Informationen zu vergleichen, und wissen genau, was gerade passiert. Viele haben bloß Pflichten und kündigen nicht.

"Die TV-Sender sind richtige Propagandamaschinen, die aus den Leuten Zombies machen"

Lesen Sie trotz Ihres Weggangs auch weiterhin Tass?
Seit dem ersten Kriegstag gab es dort keine Meldung, dass überhaupt ein Krieg stattfindet. Man findet nur die "Sonderoperation" und viele Erklärungen von Offiziellen der russischen Seite. Dafür informiere ich mich aber viel über die Telegram- oder Youtube-Kanäle einzelner Journalisten, die ihren Job gut machen.

Überlebt jetzt der Journalismus auf Kosten der einzelnen Journalisten? Haben Sie nicht das Gefühl, dass die noch legalen russischen Medien sich ähnlicher werden, als wäre alles vom gleichen Kanal?
Ich glaube, es gibt immer noch Unterschiede zwischen den Agenturen und Sendern. Natürlich haben wir in den letzten Jahren gesehen, dass sich viele Medien geändert haben. Ihre Besitzer wechselten ebenso wie die Redaktionslinie. Die TV-Sender sind richtige Propagandamaschinen, die aus den Leuten Zombies machen. Aber anderswo machen gute Leute auch weiter, Qualität wird produziert. Sie bleiben auch sie selbst, wenn ihnen die Zensur bestimmte Sachen verbietet. Ich persönlich halte es aber generell für wichtig, wenn Medien trotz Vorschriften des Staates weiterhin nach eigenen Standards berichten, wenn auch mit Vorbehalten. Alles andere ist eine Tragödie für ein Land und seinen Journalismus.

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