Interview

Rüdiger von Fritsch: "Wladimir Putin kann sehr gewinnend sein"

Rüdiger von Fritsch war fünf Jahre lang deutscher Botschafter in Russland. Nun hat er ein Buch darüber geschrieben. Ein AZ-Gespräch über Machterhalt, Gas - und schwarze Schwäne
Natalie Kettinger
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Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und der ehemalige deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch (r), bei einem russisch-deutschen Studententreffen in Moskau.
Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und der ehemalige deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch (r), bei einem russisch-deutschen Studententreffen in Moskau. © dpa/SPUTNIK POOL

AZ-Interview mit Rüdiger von Fritsch. Der Diplomat (66) war von März 2014 bis Juni 2019 deutscher Botschafter in Moskau und zuvor (2010 von 2014) in Warschau.

AZ: Herr von Fritsch, dürfen Sie als Diplomat im Ruhestand eigentlich frei aus dem Nähkästchen plaudern oder bleiben Sie ein Leben lang der Vertraulichkeit verpflichtet?
RÜDIGER VON FRITSCH: Ja, in vielen Fragen. Schließlich wurde mir großes Vertrauen entgegengebracht - und das will ich achten. Gleichwohl kann ich heute freier meine Urteile abgeben und zu vielen Dingen offener sprechen.

Dann lassen Sie uns über den Kreml-Chef reden: Wie ist Wladimir Putin "in echt"?
Er ist ein sehr erfahrener Politiker, der sehr gewinnend sein kann. Am Ende bleibt er aber ein von seiner Biografie geprägter Mensch: Er ist ein ausgebildeter Geheimdienst-Offizier, und sein Denken bewegt sich stark in Kategorien, in denen es irgendwelche Verschwörungen gibt und böse Pläne zu Russlands Lasten. Und er ist mehr erfolgreicher taktischer denn strategischer Denker und Akteur.

"Putin malt bei Gesprächen eben Kästchen"

Und während er im Gespräch mit den Mächtigen der Welt über seine Taktik sinniert, malt er tatsächlich Symbole wie beim Schiffe versenken?
Es ist immer interessant bei Gesprächen mit Politikern zu beobachten, wer was so nebenher macht: Der russische Außenminister Sergej Lawrow kalligraphiert zum Beispiel wunderschön, weil er oft gar nicht zu Wort kommt. Und der Präsident malt eben ein Kästchen nach dem anderen, das er dann durchkreuzt.

Sergej Lawrow hatte gerade AfD-Chef Tino Chupalla zu Gast. Auch zu äußersten Rechten anderer Länder pflegt der Kreml Kontakte. Wie passt das zu einer Regierung, die den Sieg über den Faschismus jedes Jahr mit Paraden feiern lässt?
Das ist ein in vielerlei Hinsicht zynisches Handeln. Doch bei der russischen Führung hat es eine gewisse Tradition, solche Kräfte zu fördern, die bei uns spalten und demokratische Institutionen schwächen.

"Es gibt 1.000 Wege, um jemanden fertigzumachen"

Was verspricht man sich davon?
Dahinter steht ein doppelter Politik-Ansatz, der nicht so leicht nachvollziehbar ist, weil er widersprüchlich erscheint: Einerseits hat man durchaus Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Westen, wenn es etwa um Handelsinteressen geht, aber auch um kulturellen oder wissenschaftlichen Austausch. Gleichzeitig zielt man darauf ab, die andere Seite so schwach wie möglich zu machen, für Irritationen zu sorgen, die amerikanischen Wahlen zu stören und damit für dauerhaften Streit in den USA zu sorgen, einen Präsidenten möglich zu machen, der das transatlantische Verhältnis beschädigt. So will man die eigene Position stärken. Es ist leichter, mit einem zerstrittenen Gegenüber auszukommen.

Zurück zu Lawrow. Er war unlängst in Minsk, wo die Menschen seit August gegen Langzeitmachthaber Alexander Lukaschenko demonstrieren. Welche Ziele verfolgt der Kreml? Eine "Integration" von Belarus, wie viele befürchten?
Auf dem Papier sind Belarus und Russland bereits ein Unionsstaat - und Moskau würde das in der Tat gerne noch weiter vorantreiben, wenn sich die belarussische Seite nicht so sträuben würde. Man muss wissen: Wir befinden uns hier im Gebiet der ‚Alten Rus'. Das ist die Wiege russischer Identität, russischer Kultur, des orthodoxen Christentums. Dieser Raum umfasst den Westen des heutigen Russlands, den Osten der Ukraine - sowie das heutige Weißrussland. In diesem Gebiet, das Russland nach eigenem Selbstverständnis sehr nahe ist, erhebt es bis heute den Anspruch, ein erhöhtes Mitspracherecht zu haben - und stört sich nicht daran, dass es dort unabhängige Staaten gibt.

Wagen Sie eine Prognose, wie der Machtkampf zwischen dem belarussischen Volk auf der einen sowie Lukaschenko und Moskau auf der anderen Seite ausgehen wird?
Nein. Aber sicher ist, dass diese Entwicklung in Moskau für große Irritationen sorgt. Die ewige Angst aller autokratischen Regime ist doch, dass die Bevölkerung plötzlich gegen sie auf die Straße geht. Und wir haben in Russland ja schon Vergleichbares gesehen: In der fernöstlichen Stadt Chabarowsk gab es im Sommer wochenlang Proteste, die gegen die politische Führung gerichtet waren. Weil man sich das im Kreml aber gar nicht vorstellen kann, muss es von außen inszeniert sein, um einen Umsturz herbeizuführen. Und in Ländern wie Russland steht nun einmal der Machterhalt im Vordergrund.

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Sie schreiben allerdings, bei der Verfassungsänderung, die es Putin ermöglicht, bis 2036 im Amt zu bleiben, ginge es nicht nur um den persönlichen Machterhalt.
Ja. Er will dieses autokratische, auf eine Person ausgerichtete System erhalten. Das ist nicht zwingend mit seiner Person verbunden, weil auch er weiß, dass es eines Tages eine Zeit nach ihm geben wird. Aber dann soll es weitergehen, wie zu seiner Zeit.

"Für Russland bricht eine bleierne Zeit an"

Welche Folgen hat das für Russland?
Es bricht eine bleierne Zeit an, weil es keinerlei wirkliche Veränderung oder Reformen gibt. Besonders kritisch ist das im ökonomischen Bereich. Russland hat ein antiquiertes Wirtschaftsmodell, das auf den Export von Öl und Kohle aufbaut, den wahren Reichtum des Landes aber nicht nutzt - nämlich seine Menschen: ihre Schaffenskraft, ihre Bildung und Bereitschaft, sich zu engagieren. All das wird nicht zugelassen, denn wer wirtschaftlich unabhängig ist, könnte auch politisch frech werden. Also verharrt man in einem Modell, das absehbar nicht funktionieren kann. Man geht zudem nicht gegen die Korruption vor, weil das ebenfalls die gegenwärtige Macht-Verfassung gefährden würde: Sehr viele in der Führung profitieren ungeheuer davon, dass das Land ausgenommen wird. In meiner Moskauer Zeit ist die Zahl der Multimilliardäre gestiegen, ihre Vermögen sind gewachsen - und die realen Einkommen der Menschen gingen Jahr für Jahr zurück.

Corona hat eine Folge dieser Misswirtschaft verdeutlicht: das marode Gesundheitssystem. Schadet das Putin nicht?
Doch. Corona ist, was man einen "Schwarzen Schwan" nennt: etwas völlig Unerwartetes, das in diesem Fall die Macht autokratischer Regime gefährden kann. Deswegen hat man mit dieser irrsinnigen Geschwindigkeit und mit fragwürdiger Dokumentation einen Impfstoff in die Welt gesetzt, und ihn bezeichnender Weise Sputnik genannt, wie den ersten Satelliten - um zu zeigen, dass man den Westen erneut abgehängt hat. Parallel geschieht jedoch Interessantes: Im Staatshaushalt für das nächste Jahr gehen die Ausgaben für das Gesundheitswesen weiter zurück, während die Ausgaben für die staatlichen Medien steigen. Dahinter steckt die Vorstellung, man könne mit Propaganda - und Repression - am Ende alles unter Kontrolle halten.

Ziel der Repression ist oft die Zivilgesellschaft. Wie ist es um sie bestellt?
Sie ist in Russland durchaus lebendig. Im sozialen Bereich wird eine Vielzahl von Initiativen geduldet, weil sie zum Teil staatliches Handeln ersetzen. Wenn politische Initiativen allerdings zu stark und einflussreich werden, geraten sie in Schwierigkeiten. Das hat man am Beispiel von Alexej Nawalny gesehen, der Korruption und die irrsinnige Bereicherung ans Tageslicht gebracht hat, aber auch an der Bewegung "Memorial", die sich der Aufarbeitung der Geschichte widmet. In einer Zeit, in der man in Russland wieder Stalin glorifiziert, schafft das Probleme. Man muss die Protagonisten ja nicht gleich vergiften, man kann sie mit Steuerverfahren überziehen, ihre Räume aus Brandschutzgründen schließen - es gibt 1.000 Möglichkeiten, jemanden fertigzumachen.

Im Zuge der Nawalny-Affäre wurden in Deutschland Forderungen laut, das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Was halten Sie davon?Das haben vor allem auch jene lautstark gefordert, die immer schon dagegen waren. Ganz grundsätzlich ist die Situation so: Deutschland strebt die Energiewende an, ist aber noch nicht in der Lage, sich vollständig mit Erneuerbaren Energien zu versorgen. Für eine Brückenzeit, in der wir ja auch auf Kernkraft und Kohle verzichten wollen, sind wir deshalb auf andere Energieträger angewiesen. Gas ist das Beste, was zur Verfügung steht. Wir sollten zwar stets versuchen, aus verschiedenen Quellen zu kaufen. Doch es ist auch problematisch, sich zu sehr auf Gas zu stützen, das unter fragwürdigen ökologischen Bedingungen gewonnen wird, etwa durch Fracking, wie in den USA.

"Wir müssen entschlossen an unseren Prinzipien festhalten"

Macht man sich dann nicht abhängig von Russland?
Wir beziehen in der Tat mehr als 30 Prozent unseres Gases aus Russland. Doch zur Abhängigkeit gehören immer zwei: Russland verkauft 70 Prozent seines Gases nach Westeuropa. Würden sie den Hahn zudrehen, legten sie eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen trocken. Das erscheint mir wenig wahrscheinlich. Deshalb wäre es richtig, diese Pipeline zu Ende zu bauen, an der über 100 Firmen aus einer Vielzahl europäischer Länder beteiligt sind.

Allerdings drohen die USA diesen Firmen mit Sanktionen.
Ja - angeblich, um Europas Energie-Interessen zu schützen. Ich meine, das können wir ganz gut allein. Wenn man sich Regierungsdokumente aus der Trump-Administration ansieht, steht dort relativ deutlich, dass es eben auch um die Durchsetzung amerikanischer Energie-Interessen geht. Das ist ein legitimes Ansinnen, das man aber auch mit legitimen Methoden verfolgen sollte. Wir Europäer sollten uns einig sein, dass im Handelsbereich Sanktionen gegen Firmen in anderen Ländern völlig inakzeptabel sind. Dagegen sollten wir entschlossen auftreten - ganz gleich, wie der ein oder andere über Nord Stream denken mag.

Und wie sollen die Europäer in Zukunft mit Russland umgehen? Nach der Annexion der Krim und dem Anschlag auf Nawalny hat das Verhältnis einen Tiefpunkt erreicht.
Wir sollten drei Dinge tun: Wir müssen entschlossen an unseren Prinzipien festhalten. Dazu gehört, dass wir nicht akzeptieren, dass sich jemand mit militärischer Gewalt ein Stück des Nachbarlandes greift, und bis heute im Südosten der Ukraine einen Krieg befeuert. Da dürfen wir nicht irgendwann sagen: Schwamm drüber! Deshalb sind die Sanktionen gegen Russland weiter richtig, auch weil sie rote Linien ziehen.

"Wir haben uns gegenseitig so viel zu bieten!"

Was schlagen Sie noch vor?
Wir müssen zweitens beharrlich signalisieren, dass wir bereit sind, bestehende Konflikte im Dialog zu lösen. Und drittens sollten wir die vielen Brücken nutzen, die wir über Jahrhunderte hinweg aufgebaut haben - den Handel jenseits der Sanktionen, Städtepartnerschaften, den reichen Bildungs- und Kulturaustausch. Wir haben uns gegenseitig so viel zu bieten! Wer hat denn den Blauen Reiter mitgegründet? Wassily Kandinsky, ein Russe, der als Schüler nach München kam, dann die ersten abstrakten Gemälde überhaupt in Deutschland gemalt hat und später Lehrer am Bauhaus war. Es gibt Momente in der Geschichte, in denen man aktuelle Probleme nicht lösen kann - so wie jetzt. Dann muss man dafür sorgen, dass es keine Weiterungen gibt. Denn irgendwann wird es wieder ein höheres Interesse Russlands an Europa geben.

Wann?
Wenn der Druck auf dieses zwar große, aber wirtschaftlich nicht sehr starke Land durch die verbleibenden Großmächte USA und China zu stark wird. Dann ist ein Europa, das diesem ja doch wunderbaren Land in vieler Hinsicht nahe ist, der Partner der Wahl. Und für uns kann Russland ein guter Partner sein, wenn wir untereinander einig sind, zu unseren Prinzipien stehen und auch bereit sind, manche Unterschiede zu respektieren.


Rüdiger von Fritschs Buch "Russlands Weg" ist im Aufbau-Verlag erschienen und kostet 22 Euro.

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2 Kommentare
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  • barzussek am 13.12.2020 14:45 Uhr / Bewertung:

    Der große Fehler ist die hundföttische Anhänglichkeit an die USA welche dazu führt das diese uns bevormunden und ein gutes Verhältnis Deutschland und der EU zu Russland hintertreiben Es wäre ein Segen für Europa und Russland wenn sie zusammen arbeiten würden um der Menschen und des Friedens wegen Russland ist nicht böser als die USA die brutal ihre Macht durchsetzen wenn es ihren Interessen dient Beispiele gibt es zu Genüge Kuba naher Osten dort scheute man sich nicht rund eine Million irakische Menschen zu ermorden um Saddam Hussein los zu werden

  • am 14.12.2020 13:12 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von barzussek

    Absolut richtig gesagt sehr geehrter barzussek👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍👍! Ich stimme auch! Russische Volk und die Regierung sind die richtige mit uns zusammen arbeiten!

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