Röhren im Bierzelt: Steinmeier im Bayern-Wahlkampf

Er streichelte die waidwunde sozialdemokratische Seele: In einem Regensburger Bierzelt zelebriert SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier seinen ersten großen öffentlichen Auftritt nach der Nominierung. Der Außenminister teilt kräftig gegen den politischen Gegner aus und erweist sich als trinkfeste Polit-Rampensau
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Rockt Regensburg: Frank-Walter Steinmeier.
AP Rockt Regensburg: Frank-Walter Steinmeier.

REGENSBURG - Er streichelte die waidwunde sozialdemokratische Seele: In einem Regensburger Bierzelt zelebriert SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier seinen ersten großen öffentlichen Auftritt nach der Nominierung. Der Außenminister teilt kräftig gegen den politischen Gegner aus und erweist sich als trinkfeste Polit-Rampensau

Als sich Frank-Walter Steinmeier am Freitagabend aus seiner Dienstlimousine schält, ist er noch der ernste Außenminister. Steif läuft er mit einem aufgeregten Franz Maget auf die Regensburger Herbstdult. Doch je näher die beiden dem Festplatz kommen, desto mehr wird aus dem Diplomaten die bislang kaum bekannte Rampensau Steinmeier. „Hallo“, ruft er den Menschen lässig zu. Vor einer Bude, an der man Dosen werfen kann, sagt er zu einem Kind: „Schöne Kirmes, oder?“ Die Mutter des Mädchens schmachtet: „Alles Gute für Sie!“ Zur Belohnung gibt’s Autogrammkarten.

Das Hahn-Festzelt ist mit 2000 Menschen bis auf den letzten Platz gefüllt. Als Steinmeier den Eingang passiert, bricht Jubel aus, die Kapelle bläst den Defiliermarsch, den Stoiber so liebte. Steinmeier grinst. Als er eine Frau per Handschlag begrüßt, bricht diese in Tränen aus. „Das ist der Härtetest für Frank-Walter Steinmeier!“ brüllt Maget auf der Bühne. „Ein volles Zelt im Herzen Bayerns, eine Maß Bier – wer das durchsteht, wird Kanzler der Bundesrepublik Deutschland!“

Steinmeier legt sein Sakko ab und genehmigt sich erst mal einen Schluck Helles. Maget lässt er den Einpeitscher machen, schaut sich sein Manuskript an. Schließlich ist das sein erster Volks-Auftritt seit dem vergangenen Chaoswochenende, aus dem er als Kanzlerkandidat hervorging.

Der getragene Außenminister-Sound weicht einem kehligen Bierzelt-Bariton

Um kurz nach sechs donnert Steinmeier los, auch die Ärmel hat er jetzt hochgekrempelt. Die getragene Außenminister-Tonlage ist weg, jetzt röhrt er mit kehligem Bierzelt-Bariton – genauso wie Schröder. „Die CSU ist richtiggehend durcheinander!“ ruft Steinmeier. Sie habe den „Transrapid gegen die Wand gefahren“, laviere beim Rauchverbot und habe sich sowohl bei der Pendlerpauschale als auch bei der Ganztagsbetreuung blamiert.

Die Witze des Außenministers über Stoiber kommen im Zelt an

Und dann seien da noch Huber und Beckstein. Dass sie im Kanzleramt auf den Tisch hauen, nimmt Steinmeier ihnen nicht ab. „Der Tisch hatte keine Delle. Ich habe nachgeguckt.“ Und Stoiber: Der denke: „Herrgott, lass mich doch bitte selbst wieder ran!“ Der Witz kommt an.

Die Agenda 2010 thematisiert Steinmeier, ohne den Namen auszusprechen. „Unsere Bilanz lässt sich sehen“, sagt er. „Wir haben Wort gehalten – mit schwierigen und notwendigen Entscheidungen.“ Sein Ziel: „Dass wir in einigen Jahren ernsthaft von Vollbeschäftigung reden und im nächsten Jahrzehnt die Arbeitslosigkeit besiegen.“

Dass er eine Ampel-Koalition gut finden würde, sagt Steinmeier lieber nicht

Doch als kalter Reformer will er an diesem Abend nicht gelten: Er wettert gegen Studiengebühren, geißelt die „Märkte ohne Regeln“ und die „Börsen-Jongleure“. Auch Lafontaine und Gysi kriegen ihr Fett weg: Lafontaine soll beliebt sein? „Ich könnte aus der Haut fahren, wenn ich das höre!“ Lafontaine sei als Finanzminister nach drei Monaten „ausgebüxt“, Gysi habe es als Berliner Wirtschaftssenator nur ein paar Monate ausgehalten. „Soll ich vor solchen Leuten Respekt haben?“ Dass er nach der Wahl eine Ampel-Koalition gut finden würde, sagt er nicht. Lieber streichelt er die Seelen seiner geplagten Sozis „Die SPD ist nicht das alte Möbelstück, dass sich in der politischen Landschaft herumschubsen lässt.“

Den Namen Kurt Beck nennt er nicht einmal. Über das neue Tandem mit Müntefering sagt er: „Eines kann ich euch versprechen: Ein Sauerländer und ein Westfale – das geht!“ Und: „Nutzen wir den den Rückenwind, der hoffentlich davon ausgeht!“ Die Rede ist zu Ende, der Saal tobt. Steinmeiers Bierzelt-Tour geht weiter: Nächste Woche ist Augsburg dran.

Volker ter Haseborg

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