Renate Künast im AZ-Interview: „Merkels Schlafwagen brennt“

Die grüne Spitzenkandidatin im AZ-Interview über Ausschließeritis, Steigbügelhalterei, Sauerkraut in den Ohren und darüber, was sie an CSU-Mann Guttenberg schätzt und was nicht
AZ: Frau Künast, wie es ausschaut, werden die Grünen für die nächste Regierungsbildung nicht gebraucht.
RENATE KÜNAST: Woher nehmen Sie das? Schwarz-gelb sinkt, wir steigen. Die Leute erkennen: Veränderung gibt es nur mit Grün. Wir Grüne jedenfalls sind von unseren Konzepten überzeugt wie noch nie. Wir sind die einzige Partei, die sich in den vergangenen Jahren die Mühe gemacht hat, Umwelt und Wirtschaft zusammenzudenken.
Aber mit wem um alles in der Welt wollen Sie Ihre Konzepte in Politik umsetzen?
Jedenfalls nicht als Steigbügelhalter für drei Parteien, die Sozialstaat nicht buchstabieren können und zurück zur Atomkraft wollen. Mit CDU, CSU und FDP wird es zu keiner Koalition kommen, für deren Politik stehen wir nicht als Mehrheitsbeschaffer zur Verfügung. Wobei die Union ja selbst nicht so genau weiß, was sie will. Die versprechen Entlastungen und sagen gleichzeitig, die Bürger müssten den Gürtel nach der Wahl enger schnallen. Was denn nun? Guido Westerwelle wiederum läuft naiv wie Jung-Siegfried durch die Gegend, verspricht Steuersenkungen für Reiche und verlangt obendrein einen Kassensturz, obwohl er ganz genau wissen müsste, wie desaströs es um die Finanzen bestellt ist. Ein Armutszeugnis. Der Mann ist nicht regierungsfähig.
Aber mit Jung-Siegfried und der SPD oder sogar mit der CDU alleine würden Sie doch gerne regieren...
Jenseits von Jamaika werden wir Gesprächseinladungen annehmen. Eines ist muss immer klar sein: Wir Grüne gehen nur in eine Regierung, die die Politik ökologisch und sozial neu ausrichtet.
Der FDP-Chef schließt eine Koalition mit Ihnen aus.
Wie lange er sich an die Union klammert, werden wir sehen. Warten wir doch mal ab, was passiert, wenn Schwarz-Gelb wieder keine Mehrheit hat. Bei denen liegen gerade die Nerven blank, bei Merkel brennt der Schlafwagen. Die versuchen jetzt panisch alles zu verheizen, was im Waggon zu verheizen ist.
Warum betreiben auch die Grünen diese Ausschließeritis? Ihre Partei ist doch sonst so gerne Avantgarde.
Wir betreiben keine Ausschließeritis, sondern erteilen einer falschen politischen Richtung eine Absage. Im Übrigen: Diese Farbenspiele hängen der Bevölkerung wie Sauerkraut aus den Ohren raus. Den Leuten geht es um Inhalte. Dass die Gräben nicht mehr so tief sind wie vor 20 Jahren, wissen die Wähler auch.
Dann eben Inhalte: Welche Grausamkeiten kommen auf die Bürger nach der Wahl zu?
Unser Land ist verschuldet wie noch nie. Wir müssen sorgsam mit den Steuergeldern umgehen, aber wir dürfen uns nicht kaputtsparen. Wenn wir neue Schulden machen und und investieren, dann in die Zukunft und nicht wie bei der Abwrackprämie in die Technologien von gestern. Nötig sind Investitionen in energetische Gebäudesanierung, Elektroautos, Bildung.
Und wer zahlt die Schulden?
Jetzt müssen mal die Reicheren ran. Wir fordern eine einmalige Abgabe auf große Vermögen, einen höheren Spitzensteuersatz und ein Runterfahren des Ehegattensplittings: Mehr Geld für Kinder, nicht für die Ehe.
Hand aufs Herz: Liegt das Nein zu Jamaika nicht auch an persönlichen Antipathien? Könnten sie mit Guttenberg besser als mit den Seehofers und Westerwelles?
In der Politik geht’s nicht um die Frage, wen ich nett finde. Sondern knallhart um Inhalte. Auch ein Herr zu Guttenberg vertritt – trotz exzellenter Umgangsformen – die falsche Politik. Ich rate dazu, den Großteil seiner Freunde außerhalb des Arbeitsplatzes zu haben. Interview: jox, mue, tha, tan