Raus aus der Grauzone
BERLIN Ein hitzig umkämpftes Thema findet einen versöhnlichen Abschluss: Das Bundeskabinett hat gestern den Gesetzentwurf zur Beschneidung beschlossen. Künftig ist der Eingriff, den Juden und Muslime bei ihren Buben vornehmen lassen, ganz offiziell in Deutschland erlaubt. Ein jahrtausendealter Ritus wird legitimiert – raus aus der rechtlichen Grauzone.
Was steht in dem Gesetz?
Nach dem neuen Paragrafen 1631d ist eine Beschneidung von Jungen zulässig, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt und das Kindeswohl nicht gefährdet. Mit letzterem sind Gesundheitsgefahren gemeint – etwa, wenn der Junge Bluter ist. Außerdem darf in den ersten sechs Monaten nach der Geburt die Beschneidung auch von jemanden ausführen, der kein Arzt ist. Er muss aber besonders ausgebildet sein. Das ganze soll „möglichst schmerzfrei“ sein, also inklusive Betäubung oder Narkose, je nach Alter.
Warum überhaupt eine gesetzliche Regelung?
Im Mai hatte das Kölner Landgericht religiöse Beschneidungen als rechtswidrige Körperverletzung eingestuft. Das hatte bei Juden und Muslime heftige Reaktionen ausgelöst. Charlotte Knobloch, früher Präsidentin des Zentralrats der Juden, sagte, Juden seien in Deutschland nicht mehr willkommen. Bei Eltern und Ärzten hatte es große Unsicherheit gegeben. „Der heutige Beschluss ist ein wichtiges Signal, um die Verunsicherung zu beseitigen und um Juden und Muslime nicht zu kriminalisieren“, so Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).
Was sagen die Betroffenen jetzt?
Das ist ein ausgesprochen lebenskluger, ausgewogener und fairer Gesetzentwurf“, so Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden. „Die Politiker haben Lob verdient.“ Nun müsse überlegt werden, wie man Beschneider zertifiziert. Seine Vorgängerin Knobloch sagte, sie sei „sehr glücklich“. Der Zentralrat der Muslime sagte, der Entwurfe gehe in die „völlig richtige Richtung“. Bei den Muslimen wird die Beschneidung ohnehin in der Regel von Ärzten gemacht.
Gibt es auch Kritik?
Ja, von Kindeswohlschützern. Marlene Rupprecht, Kinderbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion: „Ich bin entsetzt, wie hier in Grundrechte von männlichen Kindern eingegriffen wird.“ Sie hätten ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Entfernung der Vorhaut sei irreversibel. Der Deutsche Kinderschutzbund appellierte an die Eltern, freiwillig auf die Beschneidung zu verzichten.
Wie machen es andere Länder? Ausdrücklich verboten ist die Beschneidung nirgends. In den USA wird sie oft aus hygienischen Gründen gemacht. Einige Länder wie Schweden haben ähnliche Gesetze wie jetzt bei uns.