Präsident des Zentralrates der Juden Schuster: Antisemitismus bei Kollegah nicht neu
München - Der 64-Jährige ist seit 2014 Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Im AZ-Interview spricht Josef Schuster über Antisemitismus in Deutschland und den Echo-Eklat um die Rapper Kollegah und Farid Bang.
AZ: Herr Schuster, vor 73 Jahren wurden die Konzentrationslager Flossenbürg und Dachau befreit. In wenigen Tagen finden dazu die Gedenkveranstaltungen statt. Inzwischen nimmt die Zahl antisemitischer Übergriffe zu. Zuletzt wurde ein Israeli mit Kippa in Berlin angegriffen. Worauf führen Sie das zurück?
JOSEF SCHUSTER: Ob die Anzahl der Übergriffe steigt, ist schwer einzuschätzen. Es werden mehr Vorfälle bekannt, und das Bedrohungsgefühl in der jüdischen Gemeinschaft nimmt zu. Die Anzahl der Menschen mit antijüdischen Ressentiments ist wohl nicht gestiegen – man schätzt diese auf etwa 20 Prozent. Aber quer durch die Gesellschaft ist festzustellen, dass man sich mehr traut, das zu sagen, was man lange gedacht hat. Die Hemmschwelle, sich antisemitisch zu artikulieren oder gar tätig zu werden, ist meinem Eindruck nach deutlich gesunken.
Als Reaktion auf die Echo-Verleihung an die Rapper Kollegah und Farid Bang, die sich mit antisemitischen Texten hervorgetan haben, haben etliche Künstler ihre Auszeichnungen zurückgegeben. Wie bewerten Sie das?
Das finde ich sehr ehrenwert. Das ist ein klares Signal, dass sie sich von der Verleihung dieses Musikpreises an Künstler, die rassistische, antisemitische, frauenfeindliche Texte haben, eindeutig und klar distanzieren. Im Übrigen: Kollegah war bereits einmal eingeplant für einen Auftritt beim Hessentag. Wegen antisemitischer Texte und eines Videos wurde er wieder ausgeladen. Antisemitismus ist bei Kollegah kein neues Phänomen.
Eine jüdische Gemeinde in Niederbayern ist dabei, am Eingang zu ihrer Synagoge eine Sicherheitsschleuse wie am Flughafen zu errichten. Wie gefährdet sind jüdische Einrichtungen?
Laut zuständiger Behörden, also Landes- und Bundeskriminalamt, besteht eine ernste Sorge vor Angriffen auf jüdische Einrichtungen. Deswegen hat der Freistaat Bayern vor zwei Jahren extra Mittel zum Schutz von jüdischen Gemeinden bereitgestellt.
Was erwarten Sie von der Politik?
Vor rund einem Jahr hat der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus seinen Bericht vorgelegt, der klare Handlungsempfehlungen enthält. Meine Befürchtung war, dass dieser Bericht, wie schon andere davor, in der Schublade verschwindet. Doch es scheint der politische Wille vorzuherrschen, den Empfehlungen zu folgen. Daher wurde auch die Forderung nach einem Beauftragten für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus vom Zentralrat der Juden übernommen. Ich bin dankbar, dass dies nun umgesetzt wurde.
Die Bundesregierung hat mir Felix Klein einen Antisemitismusbeauftragten eingesetzt. Was soll seine Aufgabe sein?
Er ist ein ausgewiesener Kenner und verfügt über die notwendige Qualifikation. Konkret sollte er die im Bericht empfohlenen Maßnahmen entweder umsetzen oder deren Umsetzung veranlassen. Gleichzeitig sollte er die Entwicklung des Antisemitismus in all seinen Facetten beobachten und die Kriminalstatistik hinterfragen.
Was stört sie an der Statistik?
Die Statistik besagt, dass 90 Prozent der antisemitischen Delikte der politischen Rechten zuzuordnen ist. Das erscheint mir zu hoch. Das Problem ist, wenn ein Täter nicht ermittelt werden kann, wird diese Tat von der Polizei automatisch dem rechten Spektrum zugeordnet. Hier muss man genauer hinsehen.
Viele Migranten, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind, kommen aus Ländern mit langer antisemitischer Tradition. Was verlangen Sie von diesen Menschen?
Jedem, der in Deutschland leben will, muss klar sein, welcher gesellschaftliche Grundkonsens in diesem Land herrscht. Im Klartext heißt das: Antisemitismus ist nicht akzeptabel. Das ist einer dieser Punkte – beileibe nicht der einzige. Dazu gehören natürlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen. Diese Werte müssen stärker als bisher in den Integrationskursen vermittelt werden. Auch Gedenkstättenbesuche halte ich für Teilnehmer dieser Kurse für sinnvoll.
Derzeit betonen zahlreiche Politiker die christlich-jüdische, abendländische Tradition Deutschlands. Wo erkennen Sie die jüdischen Wurzeln unserer Gesellschaft?
Schauen Sie sich die Historie Deutschlands an. Seit annähernd 1700 Jahren leben Juden in Deutschland. Die Gemeinde in Köln ist die älteste und wurde 321 erstmals beschrieben. Denken Sie an den Minnesänger Süßkind von Trimberg im 13. Jahrhundert. Wenn Sie daran denken, wer in Deutschland Frauenrechte vorangebracht hat, dann sind die jüdischen Wurzeln unverkennbar. Es gab über viele Jahrhunderte jüdische Menschen, die sich positiv in die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft eingebracht haben.
Neue Synagoge in Regensburg: "Wir glauben an eine jüdische Zukunft in Deutschland"
Wie sehr prägt die Politik Israels die Wahrnehmung der Juden in Deutschland?
In Deutschland ist es inzwischen leider verbreitet, dass Menschen, die direkt nichts gegen Juden sagen wollen, dann etwas gegen Israel sagen – dass man also Israel sagt und Juden meint. Und häufig werden Juden in der Diaspora für Vorgänge in Israel mit verantwortlich gemacht. Das beginnt bei ganz banalen Dingen, die nicht mal böse gemeint sein müssen. Als zum Beispiel mal die Eltern von Freunden meiner Kinder mitbekommen haben, dass wir im Sommer nach Israel fahren, haben sie gesagt: "Ach, sie fahren im Sommer nach Hause." Häufig wird – bewusst oder unbewusst – nicht akzeptiert, dass Juden in Deutschland ihre Heimat haben und nicht per se Israelis sind. Dass es eine Affinität von Juden zu Israel gibt, ist unbestritten. Israel ist für uns eine Art Lebensversicherung. Hätte es Israel in den 1930er-Jahren gegeben, wäre es nicht zu dem gekommen, wozu es gekommen ist.
In Regensburg wird derzeit eine Synagoge gebaut. Was für ein Signal geht davon aus?
Ein Ähnliches wie bei der Errichtung der Synagoge in München: Der Bau einer neuen Synagoge mitten in der Stadt ist ein starkes Bekenntnis. Wir zeigen damit, dass wir an eine jüdische Zukunft in Deutschland glauben.
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