Polizei-Kessel gegen Asylbewerber - Demo geplant
Montagnachmittag erreichen einige der Flüchtlinge München - am Dienstag wollen sie von der Münchner Freiheit zum Marienplatz ziehen.
MÜNCHEN Nur noch wenige Kilometer trennen sie vom Ziel Münchner Freiheit - aber ob sie die noch die noch schaffen, ist fraglich: Zwar haben beide Flüchtlingsgruppen, die nach einen Marsch durch Bayern spätestens am Dienstag in München eintreffen sollten am Montag nachmittag das Münchner Stadtgebiet erreicht. Die eine Gruppe war in Würzburg los gelaufen, die andere in Bayreuth. Allerdings konnte die Würzburger Gruppe zunächst nicht wie geplant die Zwischenstation im katholischen Gemeindezentrum Feldmoching erreichen.
Die 20 Asylbewerber wurden auf der Straße Auf den Schrederwiesen, die von der Dachauer Straße abgeht, eingekesselt – 200 Polizisten verstellten ihnen auf der Brücke über die A99 den Weg. 14 Flüchtlinge und elf Unterstützer sollen in Polizeigewahrsam genommen worden sein. Die zweite Gruppe – die aus Bayreuth kam – war bereits am Sonntag von Polizisten eingekesselt worden.
In Freising hatten Beamte die Ausweise kontrollieren wollen. Weil sich die Flüchtlinge laut Polizei „unkooperativ“ verhalten hätten, griffen Sondereinsatzkräfte einzelne Personen aus der Menge heraus. Dabei sollen sie nach Angaben eines Filmemachers brutal vorgegangen sein. Mehrere Flüchtlinge seien verletzt worden.
Die AZ telefonierte mit Ghlam Vali. Er musste nach der Polizeiaktion ins Krankenhaus und wurde dann wieder ins Asylbewerberheim Hauzenberg bei Passau gebracht. „Die Polizisten haben mich gepackt und meinen Kopf mit Gewalt auf die Straße gedrückt“, behauptet Vali. „Ich hatte starke Schmerzen am Auge und mein Rücken tat weh.“
Im Krankenhaus sei er dann geröntgt und versorgt worden. Aufgeben will er nicht. Gestern Abend wollte er wieder zu den Flüchtlingen in Freising stoßen und seinen Protest fortführen. „Rund 120 Polizeibeamte waren da in Freising, dazu Notärzte, verrückt“, so der Filmemacher zur AZ. Die Videos will er auf der Internetseite der Protestaktion veröffentlichen (refugeestruggle.org).
Im Krankenhaus sei er dann geröntgt und versorgt worden. Aufgeben will er nicht. Gestern Abend wollte er wieder zu den Flüchtlingen in Freising stoßen und seinen Protest fortführen. „Rund 120 Polizeibeamte waren da in Freising, dazu Notärzte, verrückt“, so der Filmemacher zur AZ. Die Videos will er auf der Internetseite der Protestaktion veröffentlichen (refugeestruggle.org). Dann könne sich jeder selbst ein Bild machen.
Die AZ hat sich auch selbst ein Bild gemacht. Wir waren mit der Würzburger Gruppe - also der, die am Montag auf der Brücke eingekesselt wurde - unterwegs durchs Ries:
Die AZ war mit den Flüchtlingen unterwegs - hier die Reportage:
Für die Freiheit geht er auf die Straße. „Ich will so frei sein wie du“, sagt Brook. Für diese Freiheit macht er alles, er geht bis an seine Grenzen, um sie zu bekommen. „Ich habe ein Recht darauf, frei zu sein“, sagt er. Brook ist 26 Jahre alt. Sein weißes Trägershirt ist ihm zu groß. Es hängt an ihm herunter. „Egal“, sagt er. Es ist ein warmer Augusttag und er ist mit 18 anderen Asylbewerbern und fünf deutschen Unterstützern auf dem Weg nach München. Als ihn die AZ vor einer Woche begleitet, befindet sich der Flüchtlings-Treck zwischen Donauwörth und Meitingen – am Dienstag um 18 Uhr wollen sie demonstrieren, symbolträchtig an der Münchner Freiheit.
Vor einem Jahr ist Brook von Äthiopien nach Deutschland gekommen. Er hat in so vielen unterschiedlichen Asylbewerberwohnheimen gelebt, dass er gar nicht genau sagen kann, wo überall. Gemeldet ist er jetzt in Würzburg und das bedeutet: Für ihn gilt die Residenzpflicht in Unterfranken. Die Residenzpflicht schreibt jungen Menschen wie Brook vor, dass sie sich nur in einem bestimmten Bereich wie einem Landkreis oder einer Stadt aufhalten dürfen, je nachdem, wie die zuständige Behörde die Residenzpflicht definiert hat.
Seit zwei Wochen sind Flüchtlinge in Bayern unterwegs. Junge Frauen und Männer aus dem Iran, Afghanistan, Pakistan, aus Balkanstaaten und aus afrikanischen Ländern zwischen 20 und 25 Jahren protestieren gegen die Residenzpflicht, das Wertgutschein-System und die Heimunterbringung. Sie marschieren in zwei Gruppen, jeweils zu 20. Unterstützt werden sie von einigen Deutschen, an diesem Tag sind es fünf. Eine Gruppe ist in Würzburg gestartet, die andere in Bayreuth – sie wurde am Sonntag in Freising aufgehalten.
Ihr gemeinsames Ziel ist die Münchner Freiheit. Heute wollen sie dort gegen 18 Uhr demonstrieren – und wenn es sein muss, auch wieder in den Hungerstreik treten. So, wie sie es schon im Juni am Rindermarkt gemacht haben. Da war Brook auch dabei. „Ich würde es wieder tun. So lange, bis ich endlich frei bin und bleiben darf“, sagt er.
Ob er weiß, dass er sich mit dieser Aktion mit dem Staat anlegt? Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat immer wieder darauf hingewiesen, dass der Staat nicht erpressbar sei. Herrmann verteidigt die bayerische Regelung, allen voran die Residenzpflicht, gegen die die Asylbewerber auf die Straße gehen. Die Residenzpflicht gibt es für Asylbewerber europaweit nur in Bayern und Sachsen. „Sie sichert die Erreichbarkeit der Asylbewerber für die Behörden. Auch verhindert sie, dass sich Asylbewerber überwiegend in städtischen Ballungsräumen aufhalten“, argumentiert Herrmann.Wir sind gegen die Residenzpflicht“, sagt Brook. „Wir wollen uns frei bewegen. Wir wollen arbeiten, vielleicht studieren – und wir wollen auch Steuern zahlen. Aber ihr lasst uns nicht“, sagt Brook.
Die Augustsonne scheint bei 26 Grad in der schwäbischen Idylle zwischen Maisfeldern und Mirabellenbäumen. An den 19 Asylbewerbern fahren immer wieder Radler vorbei und grüßen den Zug, den Brook mit seiner roten „We will rise“-Fahne anführt mit einem freundlichen „Servus“. Die Antwort lässt den ein oder anderen Radler zusammenzucken. „Kein Mensch ist illegal. Bleiberecht überall!“, rufen sie im Chor. Zu Neunzehnt ziehen sie an diesem Tag von Donauwörth in Richtung Süden. Meitingen, das rund 22 Kilometer südlich liegt, ist an diesem Tag ihr Ziel.
Regelmäßig werden sie von der Polizei angehalten. Identitätskontrollen werden dann durchgeführt. Und wenn festgestellt wird, dass sie gegen die Residenzpflicht verstoßen, da sie sich in einem anderen Regierungsbezirk als dem ihnen zugeteilten befinden, müssen sie die Gruppe verlassen. „In Nürnberg wurde ich erwischt“, sagt Brook und grinst. „Da musste ich mit dem Zug zurück nach Würzburg fahren. Ich musste zurück ins Lager. Aber wir haben Unterstützer, die sich für uns einsetzen und uns wieder zur Gruppe bringen.“ Am Tag darauf war er wieder da.
„Wir protestieren friedlich, wir sind nicht aggressiv“, sagt Brook. Unterwegs lachen sie viel, erzählen sich von zu Hause und singen Lieder aus ihrer Heimat, die sich für unsere Ohren sehr fremd anhören. Zwei fahren immer mit einem alten klapprigen Fahrrad voraus. Mal huschen sie in ein kleines baufälliges Gewächshaus und kommen mit roten Tomaten wieder raus, mal pflücken sie ein paar Pflaumen von den Bäumen an der Straße. Bei Druisheim angekommen, setzen sie sich auf einer Weise in den Schatten zur Mittagspause.
Als die Polizei vorfährt, gerät die Gruppe etwas in Aufruhr. Polizisten sagen ihnen, dass sie in drei Kilometern eine Identitätskontrolle erwartet. Die Gruppe ist sich einig: Sie wollen sich verweigern. Absichtlich gehen sie einen anderen Weg, als den, den die Polizei vermutet. Als die Beamte sie in einem Maisfeld abfangen, fordert Einsatzleiter Walter Wiedemann die Gruppe auf, die Identitäten preiszugeben.
Die Polizei ist mit rund 50 Einsatzkräften da. Die Asylbewerber und ihre fünf Unterstützer weigern sich. Sie harken sich unter, kauern auf dem Boden und rufen immer wieder: „Kein Mensch ist illegal. Bleiberecht überall.“ Beim Versuch, einzelne Personen aus dem Pulk herauszulösen, kommt es zu einem Handgemenge – eine vergleichbare Szenerie, wie sie sich wohl am Sonntag in Freising abgespielt hat. Einige beleidigen die Polizisten, rufen „Scheiß Polizei, haut ab“. Andere schreien „Schämt euch“.
„Lasst mich reden“, versucht es Wiedemann. Keine Chance. Einer der Betroffenen, der sich Ali Heydari nennt, sagt: „Die Polizei hat uns umzingelt und versucht, einzelne Leute herauszuziehen. Dabei haben sie uns angegriffen, uns gewürgt und geschlagen.“ Die Polizei bestätigt diese Anschuldigungen nicht. „Die Hand eines Flüchtlings ging in Richtung Hüfte bei einem Kollegen. Der hat in dem Moment seine Waffe geschützt“, sagt Pressesprecher Udo Drehern vom Polizeipräsidium Schwaben zu diesem Vorfall.
Nach vier Stunden bricht Wiedemann die Aktion ab. „Wenn wir das mit Zwang gemacht hätten, hätte es vielleicht Verletzte gegeben“, sagt er. Das wollte er nicht riskieren.Brook reißt seine rote Fahne nach oben und setzt mit den anderen den Protestzug fort.
Die Polizei lässt sie in Ruhe. „Wir werten jetzt unser Videomaterial aus und dann werden wir auf dieser Grundlage Anzeigen erheben“, erklärt Pressesprecher Dreher. Es wird Anzeigen geben, da ist er sich sicher. Ob man einzelnen Flüchtlingen dann einen Verstoß gegen die Residenzpflicht nachweisen kann, ist noch unklar. „Aber es wird in jedem Fall eine Strafverfolgung wegen Widerstandes und Beleidigungen gegen Polizeibeamte geben“, sagt er.
Abends erreichen die Asylbewerber Meitingen. Der Bürgermeister dort hat ihnen zugesichert, in der dortigen Turnhalle schlafen zu können. Brook ist glücklich. Er habe wieder eine Hürde geschafft, sagt er. Aber ist es nicht klar, dass die Polizei es an anderer Stelle wieder versuchen wird, sie zu überprüfen? „Sollen sie doch“, sagt er. Die Gruppe vermittelt den Eindruck, erreicht zu haben, was sie wollte: Provokation. Sie sind sich sicher, das Bleiberecht erzwingen zu können. Brook will dann seine Mutter und seinen jüngeren Bruder nach Deutschland holen. „Sie sollen auch frei sein. Genauso wie du“, sagt er und marschiert weiter.
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