Politologe über Martin Schulz: „Er ist unverbraucht“

Der Kanzlerkandidat ist beliebt in der SPD. Aber kann er sie aus der Krise führen? Das erklärt ein Politologe im Gespräch
von  Interview: Ruth Schormann
Professor Wolfgang Merkel ist Politologe am Wissenschaftszentrum Berlin. Er ist auf Fragen der Demokratie und sozialen Gerechtigkeit spezialisiert.
Professor Wolfgang Merkel ist Politologe am Wissenschaftszentrum Berlin. Er ist auf Fragen der Demokratie und sozialen Gerechtigkeit spezialisiert. © dpa

Der Professor Wolfgang Merkel ist Politologe am Wissenschaftszentrum Berlin. Er ist auf Fragen der Demokratie und sozialen Gerechtigkeit spezialisiert. In der AZ spricht er über die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz.

AZ: Herr Merkel, war es richtig, Martin Schulz als Kanzlerkandidaten aufzustellen?

Wolfgang Merkel: Ich halte Gabriel für kompetenter in der Deutschlandpolitik und durchsetzungsstärker in der Partei. Schulz ist in der deutschen Öffentlichkeit weniger bekannt, als man vermutet. Das hat Vor- und Nachteile zugleich. Schulz ist nicht verbraucht, muss aber an seinem Bekanntheitsgrad arbeiten.

Innerhalb der Partei ist der 61-Jährige äußerst beliebt. Warum hat man sich dann so lange Zeit gelassen mit der Bekanntgabe?

Das war doch ein medialer Super-Coup des Noch-Parteivorsitzenden! Mehr Aufmerksamkeit konnte Gabriel weder für die Partei noch für sich oder Schulz inszeniere

„Er wird nicht so attackieren, aber auch nicht so mitreißen“

Was ist von Schulz als Kanzlerkandidat zu erwarten?

Er dürfte sich als eine Mischung aus Steinmeier und Gabriel zeigen: europäischer und weniger impulsiv. Er wird nicht so attackieren wie Gabriel, aber weniger mitreißen. Und er muss sich in die Besonderheiten der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik einarbeiten.

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Schafft es die SPD mit ihm aus dem Umfragetief?

Das Umfragetief ist weniger ein Gabriel-Tief, als dass es strukturelle Ursachen hat, die die Sozialdemokratie in ganz Europa beuteln. Den Sozialdemokraten laufen Arbeiter aus den traditionellen Milieus davon und zu den Rechtspopulisten über; die akademischen Mittelschichten wählen eher grün, weil sie sich dann progressiv fühlen können, ohne fürchten zu müssen, steuerlich mehr belastet zu werden.

Der Mann aus der Eiffel ist überzeugter Europäer. Macht ihn das auch zum guten Wahlkämpfer?

Überzeugter Europäer ja, aber das überzeugt eher die Mittelschichten als die unteren. Die Europa-Orientierung könnte sich in Zeiten wachsender EU-Distanz in manchen Schichten auch als Hypothek erweisen.

Der SPD-Kanzlerkandidat steht zudem für eine liberale Flüchtlingspolitik. Könnte das auch Wähler kosten?

Das ist zweifellos ein Risiko. Pro-EU und für offene Grenzen kommt vor allem bei den unteren Einkommens- und Bildungsschichten häufig nicht gut an. Sie profitieren davon am wenigsten, haben aber die Kosten zu tragen. Das gilt für den Arbeits- und Wohnungsmarkt, auch für die Schulen und Stadtquartiere.

Schulz hat in seinem ersten Statement Populisten und Demokratiefeinden den Kampf angesagt. Wie kann er das Profil seiner Partei schärfen?

Er muss diese Auseinandersetzung sofort mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit verknüpfen, sonst liest es sich wie sterile Oberlehrerei.

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Ein Thema, das die SPD stärker besetzen muss?

Die soziale Frage ist längst zurückgekehrt. Die Schere zwischen den Armen und den Reichen öffnet sich beständig und mauert die Schichten mit geringeren Einkommen am unteren Ende ein. Aber die SPD muss auch zeigen, dass sie die Einwanderungspolitik kontrollieren kann. Nur die liberale Offenheit zu propagieren, passt auf die Grünen, nicht aber auf die SPD, die vor allem Politik für weniger Privilegierte machen will und muss.

Angenommen, die SPD schafft es: Welche Koalitionen halten Sie für wahrscheinlich?

Rot-Rot-Grün, wenn das reicht. Das Problem werden dabei eher die Grünen als die Linken sein. Die Große Koalition sollte die SPD nicht noch einmal eingehen. Als Partei verliert sie da nur. Opposition ist nicht nur Mist, um hier Franz Müntefering milde zu widersprechen.

Wie schätzen Sie Martin Schulz’ Chancen ein?

Auch die sozialdemokratische Lichtgestalt Willy Brandt würde nicht gegen Merkel gewinnen – was immer das genau heißt. Wer es wie Bundeskanzlerin Angela Merkel schafft, eine Politikwende nach der anderen zu vollziehen, aber sich dennoch als Hort der Kontinuität und Stabilität zu präsentieren, ist politisch vom Gegner kaum zu stellen.

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