Politologe im Interview über Kanzlerkandidat Martin Schulz von der SPD
München - Martin Schulz und die SPD haben die dritte Landtagswahl in Folge verloren. Im Interview erklärt Stefan Wurster, was Schulz nun tun muss. Der 37-jährige Professor für Politologie forscht an der Hochschule für Politik München (HfP) der TU.
AZ: Herr Professor Wurster, auch wenn CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen nur eine Stimme Mehrheit im Landtag haben werden – Schwarz-Gelb ist hier doch die einzig logische Kombination, oder?
STEFAN WURSTER: Ja, Schwarz-Gelb ist die natürliche Koalition für NRW. Eine Große Koalition wäre so unerfreulich, die will wohl nicht einmal die SPD. Aber Vorsicht! Ganz einfach werden die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP sicher nicht. Die Liberalen hatten sich schon länger inhaltlich abgegrenzt zur Union, vor allem, weil man nicht mehr das Image des Mehrheitsbeschaffers wollte.
Gibt es auch inhaltliche Knackpunkte?
Durchaus, beim Thema Innere Sicherheit zum Beispiel. Da vertritt die CDU entschiedenere Standpunkte als die FDP, die sich in Teilen auch nur schwer mit liberaler Politik vereinbaren lassen. Da muss die FDP aufpassen, denn sie hat – nachdem sie lange nur als Anhängsel der CDU wahrgenommen wurde – als liberale Kraft eine Leerstelle im Parteiensystem wieder neu besetzt.
Zum Verlierer der Wahl, zur SPD. War’s das schon für das Polit-Phänomen Schulz?
Es sieht schon mehr nach einer erneut unionsgeführten Regierung im Bund aus. Aber in NRW wurde vor allem die landespolitische Leistung der SPD und der Grünen vom Wähler bestraft. Innere Sicherheit, Wirtschafts- und Schulpolitik – die Liste der Problemfelder ließe sich auch noch fortsetzen.
"Mehr Wechselwähler, die Stammwähler sterben hingegen aus"
Vor ein paar Monaten sah es fast nach einem Durchmarsch von Martin Schulz aus...
Einer der Hauptgründe, warum die Situation jetzt eine andere ist, ist die Fluktuation der Wähler. Es gibt immer mehr Wechselwähler, die Stammwähler hingegen sterben aus. Außerdem wählen viele Menschen auf kommunaler Ebene eine Partei, auf Landesebene eine zweite und auf Bundesebene eine dritte. Das hätte es früher nie gegeben.
Außerdem wird die Politik doch auch immer kurzlebiger, nicht wahr?
Absolut. Das ist ein großes Problem für die Politiker. Wenn sie im ersten Jahr einer Legislaturperiode etwas Gutes tun, hat es der Bürger bis zur nächsten Wahl längst vergessen. Statt politischer Leistung spielen situative Faktoren eine immer größere Rolle.
Zurück zu Martin Schulz. Wie kann er das Ruder vielleicht doch noch einmal rumreißen?
Wie gesagt: Es wird schwer. Am wichtigsten ist es für ihn, die Geschlossenheit der Partei zu sichern. Die SPD hat eine Tradition in Sachen Selbstzerfleischung. Konflikte werfen aber ein negatives Licht auf die Partei. Außerdem muss die SPD erkennen, dass das Aufzeigen der Möglichkeit von Rot-Rot-Grün ein Fehler war. Rot-Rot-Grün ist extrem unbeliebt beim Bürger, was auch an den positiven wirtschaftlichen Makrodaten liegt. Wenn es mir gut geht, warum soll ich eine andere Partei wählen?
Mit welchen Inhalten kann Schulz den jetzt punkten?
Die SPD muss inhaltlich liefern. Ein Schwerpunkt wird Europapolitik sein, da fühlt sich Schulz besonders wohl. Aber Europapolitik allein wird nicht reichen. Schulz muss „sein“ Thema soziale Gerechtigkeit weiter mit Leben füllen. Da steckt eine Menge Potenzial drin.
Genug, damit Schulz Kanzler werden kann?
Das wird strategisch schwer für die SPD. Die Ampel ist wegen der FDP sehr unwahrscheinlich. Damit bleibt nur eine weitere Große Koalition, dieses Mal unter SPD-Führung.
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