Politik-Experte: "AfD mit Sachfragen entzaubern"

Die Rechtspopulisten mit Sachfragen entzaubern: So lautet jedenfalls der Ratschlag des Münchner Politikwissenschaftlers Karsten Fischer. Aber auch die von Rechten betriebene Verrohung der Sprache biete etablierten Parteien eine breite Angriffsfläche.
Interview: Clemens Hagen |
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Der Vordenker der AfD: Alexander Gauland, von 1973 bis 2013 Mitglied der CDU, war bei der Bundestagswahl 2017 gemeinsam mit Alice Weidel Spitzenkandidat seiner Partei.
Michael Kappeler/dpa Der Vordenker der AfD: Alexander Gauland, von 1973 bis 2013 Mitglied der CDU, war bei der Bundestagswahl 2017 gemeinsam mit Alice Weidel Spitzenkandidat seiner Partei.

München - Die AZ hat mit Karsten Fischer gesprochen. Der 49-Jährige ist Professor für Politische Theorie am Institut für Politikwissenschaft der LMU in München.

AZ: Herr Professor Fischer, mit der AfD ist eine populistische Partei mit hohem Stimmenanteil in den Bundestag eingezogen. Erklären Sie bitte die Gründe für diesen Rechtsruck in der Bundesrepublik.
KARSTEN FISCHER: Im internationalen Vergleich sind 12,6 Prozent, von denen zudem noch der Anteil reiner Protestwähler abzuziehen ist, kein wirklich hoher Stimmenanteil. Aber es lassen sich fünf Gründe bestimmen: Erstens ist es unstrittig, dass die Entscheidung der Bundeskanzlerin zur Aufnahme der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge der AfD die Mobilisierung ihrer Wählerschaft ermöglicht hat. Dazu beigetragen haben zweitens die Furcht vor islamistischen Terrorakten und drittens jene Alternativlosigkeits-Rhetorik in der europäischen und globalen Finanzkrise, insbesondere hinsichtlich der Rettung Griechenlands, deren Kritik Bernd Lucke zur Gründung der AfD bewegt hatte.

Und die Punkte vier und fünf?
Der Populismus fußt viertens mit seiner typischen Kontrastierung zwischen "dem Volk" und vorgeblich irrenden oder gar korrupten Eliten auf der seit den 1990er-Jahren grassierenden Politik- bzw. Parteienverdrossenheit. Und fünftens nutzt dem Populismus auch eine diffuse Verunsicherung hinsichtlich der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierungsfolgen.

Warum hat der Wahlkampf der AfD so gut funktioniert? Was waren die Gründe? Die starke Fokussierung auf Soziale Medien, die Störer bei den Merkel-Auftritten – oder etwas ganz anderes?
Der Einfluss der Sozialen Medien bedarf der Analyse, aber zuletzt hatte die AfD dank einer gewissen "Störenfrieda" (Aktion der Satirepartei Die PARTEI, d. Red.) wenig Freude an Facebook. Und Störer von Wahlkampfauftritten hat es schon bei Helmut Kohl gegeben.

"Demokratie bedeutet nicht, seine Meinung durchsetzen zu können"

Auf jeden Fall aber hat die Dämonisierung der AfD genutzt, weil diejenigen, die vor rechtspopulistischen Dämonen gewarnt haben, selber für Teufelswerk verantwortlich gemacht wurden. Und die AfD konnte eine perfide Viktimisierungsstrategie betreiben: Sie hat ihre Ausgrenzung durch die angebliche, so genannte Lügenpresse beklagt, obwohl sie einen priviligierten Zugang zu den Medien hat, weil sich nichts besser verkaufen lässt als Skandale und Tabubrüche.

Augenscheinlich spielt immer noch die Furcht vor Überfremdung eine große Rolle in der Bevölkerung. Zu recht?
Dieser Befund ist richtig, und er erklärt auch die heterogene Zusammensetzung der AfD-Wählerschaft von so genannten Abgehängten bis hinein in das Bürgertum. Jedoch zeigt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, dass diese Furcht von Mai bis September 2017 um 17 Prozent gestiegen ist, obwohl es keinen neuen Flüchtlingszuzug gegeben hat. Das beweist, dass die AfD nicht, wie sie behauptet, nur vorhandene Problemwahrnehmungen der Bevölkerung aufgreift und vertritt. Vielmehr provoziert und stimuliert sie solche Befindlichkeiten mit ausgeklügelter Propaganda.

Also alles ein Problem menschlicher Wahrnehmungsschwäche?
Ja, kontinuierliche Zerstörung, wie diejenige der Umwelt, erkennen die Menschen schwer, oder sie verdrängen sie gleich wieder. Plötzliche Entwicklungen wie ein Flüchtlingsstrom werden hingegen als besonders bedrohlich wahrgenommen, auch wenn sie allenfalls punktuelle Auswirkungen auf die Gesellschaft haben.

Die Frage ist also, ob vermeintlich kritische Wutbürger das Selbstbewusstsein entwickeln, sich nicht manipulieren zu lassen, auch nicht durch Ängste?
Ja, schließlich bedeutet Demokratie nicht, seine Meinung durchsetzen zu können, sondern sich mit ihr in eine öffentliche Diskussion zu begeben, an deren Ende man womöglich selber hinzugelernt und seine Meinung geändert hat. So müsste auch erst einmal diskutiert werden, ob der Begriff Überfremdung überhaupt sinnvoll und legitim sein kann.

"Sinnvoll ist eine Orientierung an Emmanuel Macron"

Wenn es beispielsweise wirklich um die natürlichen Bedürfnisse nach Bildung, Wohlstand und Sicherheit geht, müssen bildungsaffine, fleißige und friedfertige Migranten willkommener sein als bildungsferne, arbeitsscheue und gewaltbereite Deutsche. Man sieht, wie viel Verlogenheit in dem neonationalistischen Diskurs steckt. Beispielsweise hat Jörg Meuthen behauptet, gut integrierte Migranten gehörten zur Wählerschaft der AfD, was ein eklatanter Widerspruch zur rassistischen Diskriminierung des deutschen Staatsbürgers Jérôme Boateng durch Alexander Gauland ist.

Müssen die etablierten Parteien Angst vor der AfD im Bundestag haben – und wie sollen sie mit deren Abgeordneten umgehen?
Die Dämonisierungsstrategie ist offenkundig gescheitert. Unabhängig von seiner Berechtigung birgt der Nazi-Vorwurf die Gefahr der Verharmlosung des Nationalsozialismus, wenn diejenigen, die sich mit als nazistisch gebrandmarkten AfD-Positionen identifizieren, daraus nur ableiten, der Nationalsozialismus sei wohl gar nicht so schlimm gewesen. Anstatt mit der Assoziation einer offenbar zunehmend abstrakten historischen Kategorie zu antworten, sollte konkret gefragt werden, was Herr Gauland im Sinn hat, wenn er äußert, die Staatsministerin und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung "nach Anatolien entsorgen" zu wollen.

Oder Björn Höcke, der das Holocaust-Mahnmal als "Mahnmal der Schande" bezeichnet ...
... oder Beatrix von Storch, die erwägt, an den Grenzen notfalls auf wehrlose Flüchtlinge schießen zu lassen. Was thematisiert werden muss und genügend Potenzial bietet, die AfD infrage zu stellen, ist die von ihr betriebene Verrohung der politischen Sprache. Ansonsten sind alle Parteien gut beraten, der AfD Problemlösungskapazitäten für Sachfragen abzuverlangen und sie so zu entzaubern.

Müssen CDU und CSU Positionen der AfD übernehmen, um zu alter Stärke zu finden?
Noch am Wahlabend war ja die Rede vom "Schließen der rechten Flanke", und es wurde das Credo von Franz Josef Strauß, rechts von der Union dürfe nur die Wand sein, zitiert. Aber diese Strategie birgt die große Gefahr, dass die Wähler statt der christdemokratischen bzw. -sozialen Fälschung lieber das rechtspopulistische Original wählen. Und rassistische oder geschichtsrevisionistische Positionen wird in der Union wohl auch niemand übernehmen wollen. Sinnvoll ist die Orientierung an Emmanuel Macron, der den französischen Präsidentschaftswahlkampf gewonnen hat, indem er rückwärtsgewandter Furchtsamkeit und spalterischer Angsteinflößung eine hoffnungsvolle Aufbruchstimmung entgegengesetzt hat. Oder, um es doch mit Franz Josef Strauß zu sagen: Konservativ zu sein bedeutet, an der Spitze des Fortschritts zu stehen.

Stehen die gegenwärtigen Entwicklungen in der deutschen Politik in einem größeren Zusammenhang?
Sie sind Beleg dafür, dass wir in der Weltgesellschaft leben, in der es kaum mehr einzelne Entwicklungen gibt, sondern ein Kommunikationszusammenhang ähnliche und nachahmende Entwicklungen bewirkt. Das war schon 1968 so, als die Protestbewegungen gleichzeitig in verschiedenen westlichen Gesellschaften auftraten – und erst recht 1989, als die Befreiungsbewegungen sich in ganz Mittel- und Osteuropa ausbreiteten.

Gegenwärtig erleben wir allerdings eine rückwärtsgewandte Bewegung, oder?
Sie ist insofern paradox, als sich international eine neonationalistische Stimmung ausbreitet. Die rechtspopulistischen Parteien beglückwünschen sich ja zu ihren Polemiken gegen europäische Gemeinsamkeit, und sie bestärken sich wechselseitig darin, den Vorrang des eigenen Landes zu fordern und Trumps Parole "America first" abzuwandeln: France first, Germany first. Aber wie schon 1968 und 1989 sind politische Bewegungen nur von begrenzter Dauer, und Paradoxien treiben Weiterentwicklungen an. Die Frage ist nur, in welche Richtung. Wir erleben derzeit die Probe auf den Glaubenssatz der Moderne, dass Geschichte sich niemals wiederholt.

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