Politik-Beben: Abgeordnete von Union und AfD wollen wohl neue Partei gründen

Seit Wochen sollen sich Abgeordnete der AfD und der Union über die Gründung einer neuen Partei austauschen. Experten beleuchten das Vorhaben.
von  Alexander Spöri
Wirbelt eine neue Partei aus CDU und AfD bald die politische Landschaft in Deutschland durcheinander?
Wirbelt eine neue Partei aus CDU und AfD bald die politische Landschaft in Deutschland durcheinander? © Britta Pedersen/dpa

Berlin/München  - Zur Europawahl im kommenden Jahr könnte eine neue Partei auf dem Wahlzettel stehen. Seit einigen Wochen sollen Gespräche zwischen Vertretern der AfD und der Union geführt werden – mit dem Ziel, eine neue Partei zu gründen oder sich möglicherweise einer bestehenden Kleinstpartei anzuschließen.

Wie die "Welt" zuerst berichtete, soll die Partei für eine restriktivere Migrationspolitik und für einen starken Rückbau der Kompetenzen und Institutionen der Europäischen Union stehen. Demzufolge sollen bei den Planungen mehrere Abgeordnete aus dem Bundestag, verschiedenen Landtagsparlamenten und dem EU-Parlament involviert sein.

Mit Mitgliedern der AfD? Abtrünnige wollen eine Partei rechts der CDU gründen

Denkbar wäre auch der gemeinsame Beitritt zur Kleinstpartei "Wir Bürger", ehemals LKR. Diese wurde 2015 von Bernd Lucke, dem früheren Bundessprecher der AfD, gegründet. Wichtig ist den beteiligten Personen offenbar ein politischer Kurs rechts der Unionsfraktion, aber auch eine Distanzierung zum Rechtsextremismus innerhalb der AfD. Auch das "Bündnis Deutschland", eine 2022 neu gegründete Partei, weist programmatisch Gemeinsamkeiten auf.

"Ich höre von CDU-Abgeordneten, die da nicht dabei sind, munkeln, dass es da Leute geben soll, die sich längst in informellen Gesprächen befinden", sagt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie von der Justus-Liebig-Universität Gießen zur AZ. Auch dem Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt, der bereits die CDU, AfD und PDS beraten hat, kam ähnliches zu Ohren. "Es hat sich jahrelang der Wunsch verbreitet, dass man nicht die nach links gerückte CDU oder die AfD wählen muss, sondern eine vernünftige Partei wählen kann – wie früher Helmut Kohls CDU", so Patzelt. Das CDU-Mitglied und Ex-Mitglied der rechtskonservativen Werteunion verdeutlicht, dass die Chancen einer Neugründung maßgeblich von der künftigen Ausrichtung der Union abhängen werden.

Politikwissenschaftler Patzelt: Alles hängt an der CDU

Durch den vor wenigen Tagen veröffentlichten CDU-Programmentwurf hätte sich laut Patzelt eine neue Lage ergeben. Darin positioniert sich die Partei für einen härteren Migrationskurs, Technologieoffenheit in der Energiepolitik und Steuerentlastungen. "Sollte sich die neue Akzentuierung des Programmentwurfs auch in der Politik der CDU widerspiegeln, dann ist einer Neugründung der wesentliche Entfaltungsraum genommen", erklärt der Leiter des Mathias Corvinus Collegium (MCC) in Brüssel. Dabei handelt es sich um eine umstrittene Denkfabrik, die dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán nahesteht.

Sollte allerdings der Programmentwurf nicht umgesetzt werden, "dann dürften sich diejenigen zusammenfinden, die eine stärkere Ausrichtung deutscher Politik an den Wünschen der Mitte-Rechts-Bevölkerungsmehrheit wünschen". Als Berater würde Patzelt den Abtrünnigen von CDU und AfD sagen: "Ihr müsst darauf hoffen, dass die CDU die Aussagen aus dem Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms gerade nicht zu real vertretenen Positionen macht; dann seid ihr die Vernünftigeren."

Experte Claus Leggewie hält Parteigründung für aussichtslos

Leggewie sieht das nüchterner. "Die Wurmfortsätze der AfD werden genauso scheitern wie alle bisherigen Versuche", so seine Einschätzung. Eine Parteigründung sei nur denkbar, wenn in der Union eine Strömung aufkäme. "Aber für die Rechtskonservativen in der Fraktion läuft alles in die richtige Richtung – Abschied von der Ära Merkel."

Der Hintergrund: Viele Konservative meinen, dass die AfD die Union zu Kurskorrekturen gezwungen hätte, so Leggewie. "Das dürfte genau das sein, was mindestens 30 bis 40 Leute in der Fraktion denken." Das sei das "geistige Band", wie es der Forscher nennt, zwischen den Abgeordneten der beiden Parteien. Der Eintritt in eine Kleinstpartei sei ihm zufolge für gemäßigte AfD-Vertreter hingegen wie "Selbstmord". Dadurch würden sich die Abgeordneten marginalisieren.

Dass trotzdem Interesse an der Gründung einer neuen politischen Kraft besteht, unterstreicht ein Blick auf die Werteunion. Deren außerordentliches Mitglied Markus Krall spricht seit Monaten von einer neuen Partei. Der Unternehmensberater will bereits 2025 mit einer neuen Gruppierung die Ampel-Regierung ablösen. Als Koalitionspartner käme für ihn wohl auch die AfD in Frage.

Spekulationen um Teilhabe von Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen

Was genau seine politischen Ziele sind? Auf dem Internetauftritt eines Edelmetallhändlers, auf der Krall des Öfteren mit seinen Botschaften auftaucht, ist die Rede von zahlreichen Steuerentlastungen. Demzufolge sei eine Mehrwertsteuer, die zur "Konsumsteuer" umgestaltet werde, "die einzige Steuer", die sich Krall vorstellen könne.

Auf der Plattform X wird bereits unter dem Hashtag "NeuePartei" darüber diskutiert, ob der jetzige Chef der Werteunion, Hans-Georg Maaßen (CDU), beteiligt werden könnte. In der "Neuen Zürcher Zeitung" sagte der Politiker vom rechten Rand der Christdemokraten in seinem Gastkommentar: "Wenn die Merz-Merkel-CDU diese Lücke nicht füllen will, dann wird dies eine neue politische Kraft tun."

Wie schwer das in Deutschland werden könnte, verdeutlicht der Forscher Wolfgang Merkel von der Central European University (CEU). Mit den Freien Wählern gebe es ihm zufolge schon eine Partei, die das anvisierte politische Spektrum besetze. Außerdem hätte es in den vergangenen Jahrzehnten bisher nur drei bedeutsame Parteigründungen hierzulande gegeben – bei den Grünen, den Linken und der AfD. Leggewie spricht vom "drohenden Ende der Volksparteien" in Deutschland. "Nirgendwo hätten Parteien in Westeuropa noch Zustimmungswerte über 30 Prozent.

AfD-Bundestagsfraktion weiß nichts vom Vorhaben

In der AfD weiß man von den Plänen um die neue Partei offenbar nichts. Offiziell heißt es auf AZ-Anfrage, dass das Vorhaben in der Bundestagsfraktion nicht bekannt sei. Außerdem stehe die Partei bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die Unionsfraktion und die CSU dementierten die Pläne zur Parteigründung hingegen nicht und ließen Nachfragen der AZ unbeantwortet.

Einen Hinweis, der auf die Formierung einer neuen Vereinigung hindeuten könnte, gab Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) in einem Radiointerview des RBB. Mit Blick auf die Landtagswahlen 2024 in seinem Bundesland sagte er: "Es ist die Frage, ob von rechts ein Bündnis entsteht, das eine Schnittstelle sein möchte, zwischen Rechtsaußen und der CDU."

Teil davon könnten wohl auch fraktionslose Abgeordnete sein, die aus der AfD ausgetreten sind. Darunter auch Joana Cotar, die eine Frage auf der Plattform "Abgeordnetenwatch" wie folgt beantwortete: "Ich rede im Moment mit sehr vielen Parteien und politisch aktiven Menschen und bin sicher, dass Sie in den nächsten Monaten davon hören werden."

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