Poker in Brüssel: EU muss Spitzenämter besetzen

BRÜSSEL - Hinter den Kulissen hat das Hauen und Stechen um die Besetzung der neuen EU-Führungsposten bereits begonnen. Dabei wird nicht nur um Nationalität und Qualifikation gestritten, sondern auch um das Geschlecht. Es geht um den Ratspräsidenten und den "Außenminister".
Der Wettstreit um die im Lissabon-Vertrag vorgesehenen neuen Spitzenämter ist schon in vollem Gange. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Staaten müssen entscheiden, wer ab 1. Dezember Ratspräsident und wer «Außenminister» werden soll. Dabei müssen zahlreiche Aspekte und alle möglichen Befindlichkeiten der EU-Länder berücksichtigt werden - eine schwierige Aufgabe.
Bundeskanzlerin zeigte sich am Mittwoch allerdings zuversichtlich, dass Deutschland und Frankreich beim EU-Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel für eine gemeinsame Lösung werben werden. «Ich sage mal voraus, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam abstimmen werden und nicht gegeneinander», sagte sie in Meseberg bei Berlin. Es gebe noch keine Lösung des Personalstreits. «Ich bin aber optimistisch, dass wir morgen Abend zu einem Ergebnis kommen.»
Es könnte ein lange Nacht werden
Der schwedische Ministerpräsident und derzeitige Ratsvorsitzende Fredrik Reinfeldt will zu Beginn des «informellen Arbeitsessens» ein für alle Seiten akzeptables Personalpaket vorschlagen. Falls dies nicht gelingt, erwarten Diplomaten eine dramatische Nachtsitzung, möglicherweise sogar einen zweiten Gipfeltag. Die Personalentscheidung wird wegen der Ratifizierung des «Lissabon-Vertrags» nötig. Der Ratspräsident soll zweieinhalb Jahre lang die Gipfeltreffen leiten und die EU international vertreten. Der «Außenminister» - offiziell Hoher Vertreter genannt - wird künftig einen diplomatischen Dienst der EU und den Außenministerrat leiten sowie zugleich Vizepräsident der EU-Kommission sein.
Mehr Bewerber als Jobs
Reinfeldt hatte vor einer Woche gesagt, es gebe «mehr Bewerber als Posten». Seither bemühte er sich vor allem im Telefonkontakt mit seinen Amtskollegen, ein Personalpaket zu schnüren, in dem die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. Zur Erweiterung seiner politischen «Manövriermasse» will er auch über den Beamtenposten des Generalsekretärs des Rates entscheiden lassen. «Es gibt viele Aspekte des Gleichgewichts, die beachtet werden müssen», sagte Reinfeldt vor dem Sondergipfel. Dabei gehe es um Unterschiede zwischen großen, kleinen, östlichen, westlichen, nördlichen, südlichen, alten und neuen EU-Staaten. Die Sozialdemokraten in der EU wollen den «Außenminister» stellen, die Christdemokraten den Ratspräsidenten.
Es müsse ein Frau dabei sein
Kurz vor dem Gipfel sind auch die Forderungen lauter geworden, einer der Top-Posten müsse von einer Frau besetzt werden. Die frühere lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga, selbst eine Kandidatin für den Posten der Ratsvorsitzenden, sagte, die EU dürfe nicht so tun, «als ob Talent nur mit einer bestimmten Art von Chromosomen verbunden ist». Finnlands Außenminister Alexander Stubb sagte: «Ich denke, es würde ein bisschen dämlich aussehen, wenn wir nicht in der Lage wären, eine Frau für einen Topposten zu auswählen und zu bestimmen.»
Zu den meistgenannten Kandidaten für den Ratspräsidenten gehören die Regierungschefs Jean-Claude Juncker (Luxemburg), Jan Peter Balkenende (Niederland) und Herman van Rompuy (Belgien). Der britische Premierminister Gordon Brown dringt nach wie vor auf seinen Amtsvorgänger Tony Blair. Der Labour-Politiker, der von den Parteifreunden in der EU nicht unterstützt wird, hätte jedoch nur Chancen, falls die Absprachen zwischen Christdemokraten und Sozialisten umgedreht würden. Diplomaten werteten Browns Beharren auf Blair als Versuch, für den späteren Verzicht auf Blair einen einflussreichen Wirtschaftsposten in der EU-Kommission zu bekommen.
Nord, Süd, arm, reich - alles muss beachtet werden
Die Sozialdemokraten wollen den Italiener Massimo D'Alema als EU-«Außenminister». Gegen den früheren Kommunisten gibt aber es vor allem in Polen Vorbehalte. Sollte D'Alema den Posten bekommen, so wären bereits zwei Spitzenjobs in südliche Staaten vergeben, da der schon im Amt bestätigte Kommissionspräsident José Manuel Barroso Portugiese ist. Dies wäre auch der Fall, falls der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos entgegen eigenen Bekundungen doch bereitstünde. (dpa/AP/nz)