Peter Hausmann über Asylstreit: "Mir fehlt jedes Verständnis"
München - Peter Hausmann im AZ-Interview: Der Münchner (67) war von 1994 bis 1998 Sprecher der Bundesregierung und Chef des Bundespresseamtes sowie von 2008 bis 2014 Chefredakteur des "Bayernkurier". Heute bloggt er auf www.peter-hausmann.net.
AZ: Herr Hausmann, Sie haben sich vier Jahre lang nicht öffentlich zur CSU geäußert. Jetzt haben Sie in Ihrem Blog verbal auf den Putz gehauen. Was macht Sie so wütend?
PETER HAUSMANN: Ich habe versucht, höflich zu bleiben. Aber Menschen wie ich, die schon lange in der Partei tätig sind, wundern sich schon, welche Irrationalismen sich da im Moment breit machen, welche Stimmungen hochkochen und welche Eskalation – in einer Frage, die gar nicht so drängend ist, wie sie im Moment dargestellt wird.
Sie meinen die Asyl-Thematik.
Ja. Wir haben im Mai das erste Mal weniger als 10.000 neue Asylsuchende gehabt. Doch anstatt das zu sagen, verfasst das Innenministerium unter Horst Seehofer eine Erklärung, dass es "12.494 Asylanträge im Mai" waren, weil man jetzt auf einmal die Statistik umgestellt hat. Da fragt man sich schon: Will man das Problem größer machen, als es wirklich ist?
Horst Seehofer hingegen hat den Medien die Verbreitung von "Fake News" vorgeworfen.
Ich weiß nicht, wo da die "Fake News" sein sollen. Die Bundespolizei weist an der Grenze bereits bestimmte Asylbewerber zurück, die in anderen Ländern registriert sind. Die Zahlen sind insgesamt gesunken: Wir hatten im letzten Jahr weniger als 200.000 Asylsuchende – das liegt unter der von Horst Seehofer geforderten Obergrenze. Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich noch weniger haben. Die Maßnahmen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Türkei-Abkommen und dem Abkommen über den Kampf gegen Schlepperbanden in Zentralafrika getroffen hat, haben Erfolge gezeigt. Warum zum Teufel inszeniert man nun einen Streit darum, ob man die Grenzen im nationalen Alleingang dichtmacht oder ob man besser versucht, eine europäische Lösung zu finden?
"Drecksarbeit" kann nicht allein von Südstaaten geschultert werden
Sagen Sie uns, warum.
Ich kann das nur so erklären, dass es nicht mehr um die Sache geht, sondern nur noch um die Frage, ob die Bundeskanzlerin im Amt bleibt oder nicht. Aber dann sollte man das offen thematisieren und sich nicht hinter Partikularproblemen verstecken. Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Und ich kann nur sagen: In einer Zeit, die so unsicher ist wie die jetzige, ist es mir lieber, eine international erfahrene Politikerin an der Spitze der Bundesregierung zu sehen, als irgendjemanden.
Angeblich ist eine Mehrheit der Deutschen für schärfere Zurückweisungen. Liegt Seehofer vielleicht doch richtig?
Das Thema ist nicht falsch. Die Frage ist aber doch: Wie kommen wir zu dem Ziel? Wenn man in der Mitte der EU sitzt, kann man doch nicht allen Ernstes erwarten, dass die – entschuldigen Sie den Ausdruck – Drecksarbeit in der Flüchtlingskrise allein von Griechenland, Italien und Spanien geschultert wird. Das ist doch kein europafreundliches Verhalten!
Genau das wirft die CSU der Kanzlerin mit Blick auf den Herbst 2015 vor.
2015 haben wir gesagt, wir lassen die Grenzen offen. Mit der Folge, dass ein unerwartet großer Strom hereinkam. Das war eine humanitäre Maßnahme und sie war richtig. Man muss aber auch schauen, und da bin ich mit Horst Seehofer einer Meinung, dass man den Zustrom regelt. Wir müssen Leute zurückschicken, die hier nicht als Asylbewerber anerkannt werden oder keinen Schutz nach der UN-Flüchtlingscharta genießen können. Dagegen wende ich mich nicht. Das Thema ist schlicht und ergreifend: Wie kommen wir da hin? Und da halte ich einen nationalen Alleingang für schwierig.
Mit welchem Ergebnis, das Bundeskanzlerin Angela Merkel auf EU-Ebene erreichen könnte, wäre die CSU denn zufrieden?
Ich fürchte, selbst, wenn Frau Merkel mit einem Korb goldener Eier aus Brüssel wiederkäme, würde die CSU sagen: Die Eier sind nicht frisch.
Der Unions-Zoff brodelt schon länger
Die Union droht an dieser Problematik zu zerbrechen.
Deshalb muss man daran erinnern, was die Union bedeutet: CDU und CSU sind zusammen die größte noch existierende Volkspartei. Verliert man die Union, werden Splitterparteien entstehen, von denen die größte nur noch 20 Prozent hat. Die müssen ihre Klientel befriedigen. Dann geht es nicht mehr um Fragen des Gemeinwohls, sondern um Klientelpolitik.
Ist die Eskalation allein der Landtagswahl geschuldet?
Allein mit der Landtagswahl kann man das nicht erklären. Das Thema brodelt schon länger. Bei der letzten Bundestagswahl hat man auf einmal mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass in Regionen Bayerns, in denen keine wirtschaftlichen oder anderen Probleme bestehen, Populisten wie die "Merkel raus"-Schreier von der AfD 15 oder 16 Prozent bekommen haben. Insofern ist es verständlich, dass das die CSU umtreiben muss. Aber die Frage ist: Wie antworte ich darauf? Wenn ich von einer Anti-Abschiebe-Industrie spreche, beleidige ich viele Menschen, die in der CSU sind oder sich in den kirchlichen Kreisen bewegen und Integrationsarbeit leisten.
Welche Folgen kann das Ihrer Meinung nach haben?
Meine Sorge ist, dass sich viele – auch Parteifreunde –, die der bürgerlichen Mitte angehören, von der CSU abwenden. Genau wie bei der letzten Bundestagswahl, bei der die CSU nicht nur an die AfD verloren hat, sondern vor allem auch an die FDP. Man hat zu sehr einen Tunnelblick in Richtung der Populisten – und daraus entstehen leichtfertig, aus Unüberlegtheit, solche Eskalationen, wie wir sie im Moment erleben.
Eine Eskalationsspirale, die das Ende der Regierung bedeuten kann.
Das wäre der größte anzunehmende Unfall, weil das auch das Ende der Union bedeuten würde.
Volker Bouffier hat für diesen Fall angekündigt, dass die CDU in Bayern antreten würde. Die CSU wiederum liebäugelt damit, sich in ganz Deutschland zur Wahl zu stellen.
Die CSU hat ein Erfolgsgeheimnis, das nicht nur darin besteht, dass sie eine bürgerlich-liberale konservative Volkspartei ist, sondern dass sie eine bayerische Volkspartei ist. Ihr eigenständig-bayerisches Profil droht dann verloren zu gehen. Und wenn die CDU hierher kommt, sprechen wir in etwa gleiche Wähler-Milieus an. Unter dem Strich verlieren dann beide.
Wird es trotzdem so kommen?
Ich will mich gar nicht in solchen Überlegungen ergehen. Ich versuche zu mahnen und daran zu erinnern, dass die Einheit der Union auch ihr Erfolgsrezept war. Das leichtfertig aufs Spiel zu setzen und zu glauben, dass alles besser wird, wenn die Bundeskanzlerin gestürzt ist, ist eine sehr kurzsichtige Betrachtung. Menschen lieben das Schauspiel und das Spektakel eines politischen Streits – aber sie lieben die Streithanseln nicht.
Sollte die CDU nach Bayern kommen, schlügen dann zwei Herzen in Ihrer Brust?
Ich hoffe, dass die Zahl der Vernünftigen in der Union so groß ist, dass man diesen Bruch nicht riskiert.
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