Peking geht mit kompromissloser Härte vor

Ungeachtet massiver internationaler Kritik verschärft die chinesische Regierung ihre Maßnahmen gegen die Unruhen in Tibet und anderen Regionen des Landes. Die Hardliner lassen im Vorfeld der Olympiade die Muskeln spielen.
von  Abendzeitung
Protestmarsch gegen das chinesische Regime in Tibet
Protestmarsch gegen das chinesische Regime in Tibet © dpa

Ungeachtet massiver internationaler Kritik verschärft die chinesische Regierung ihre Maßnahmen gegen die Unruhen in Tibet und anderen Regionen des Landes. Die Hardliner lassen im Vorfeld der Olympiade die Muskeln spielen.

Mit einer Verhaftungswelle und dem Aufmarsch von Truppen will China die Proteste der Tibeter unter Kontrolle bringen. Eine Woche nach den gewalttätigen Ausschreitungen in der tibetischen Hauptstadt Lhasa lief die Propagandakampagne auf Hochtouren. Amtliche chinesische Medien riefen am Samstag zum entschiedenen Kampf gegen die Unabhängigkeitskräfte in Tibet auf. Nach einer neuen Bilanz der tibetischen Regierung sind bei den gewalttätigen Unruhen am vergangenen Freitag in Lhasa 19 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 600 verletzt worden. Exiltibeter gehen von mehr als 100 Toten in Lhasa und anderen Orten aus. Chinas amtliche Medien machten «eine Hand voll Schurken» verantwortlich. Die Rädelsführer hätten einfache und ahnungslose Bürger angestiftet, gezwungen oder sogar bezahlt, sich an den Protesten zu beteiligen.

Das kommunistische Parteiorgan «Renmin Ribao» (Volkszeitung) rief zur «Niederschlagung der Verschwörung und Sabotage der Unabhängigkeitskräfte in Tibet» auf. Das Blatt warf dem Dalai Lama und den Exiltibetern vor, die Unruhen von langer Hand geplant und organisiert zu haben - «mit der bösartigen Absicht, die Olympische Spiele zu untergraben und Tibet vom Vaterland abspalten zu wollen». Das religiöse Oberhaupt der Tibeter wies die Vorwürfe zurück. «Die Proteste waren nicht koordiniert, niemand hatte sie unter Kontrolle», sagte sein Sprecher im indischen Dharamsala. «Wir bedauern, dass sie in Gewalt ausgeartet sind. Der Dalai Lama ist immer gegen Gewalt gewesen», zitierte der US-amerikanische Sender Radio Free Asia (RFA).

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, drohte China mit einem Boykott der Olympischen Spiele. «Peking muss sich entscheiden. Es sollte unverzüglich mit dem Dalai Lama verhandeln. Bleiben Signale der Verständigung aus, halte ich Boykottmaßnahmen für gerechtfertigt», so Pöttering. «Wir wollen erfolgreiche Spiele - aber nicht zum Preis des kulturellen Völkermords an den Tibetern, von dem der Dalai Lama spricht.» Am Mittwoch werde das EU-Parlament über Tibet beraten.

Olympia-Boykott als Ultima Ratio

Einen Boykott lehnte der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper, dagegen ab. Er würde weder den Menschen in Tibet noch den Menschenrechtsaktivisten in China helfen, sondern vor allem die Athleten treffen, sagte Vesper der «Rheinpfalz am Sonntag». «Die Olympischen Spiele sind kein Mittel zum Zweck und können nicht als Faustpfand für die Politik dienen.» Auch der Boykott der Spiele in Moskau habe den Krieg der Sowjetunion gegen Afghanistan nicht verkürzen können. An Peking appellierte Vesper, alles zu unternehmen, «damit kein Schatten auf die Olympischen Spiele fällt».

Erneute Truppenbewegung in die Krisenregion

Nach Berichten von Exiltibetern und Augenzeugen hat China in langen Militärkonvois große Truppenkontingente nach Tibet und in die Unruheregionen in den Nachbarprovinzen verlegt. Experten berichteten, dass auch reguläre Einheiten der Volksbefreiungsarmee darunter seien, obwohl Peking nur von der paramilitärischen Bewaffneten Polizei (Wujing) sprechen wollte. Militäreinheiten in Lhasa hätten ihre Nummernschilder verhängt und andere Abzeichen verdeckt, die sie als reguläre Soldaten erkenntlich gemacht hätten, zitierten exiltibetische Quellen unabhängige Militärexperten. Auch eine Woche nach den Unruhen in Lhasa sprach die tibetische Exilregierung nur von 18 «Zivilisten» und einem Polizisten, die getötet worden seien. In der neuen Bilanz stieg der geschätzte Sachschaden auf mehr als 244 Millionen Yuan (22 Millionen Euro). In der tibetischen Hauptstadt seien 241 Polizisten verletzt worden, davon 23 schwer. Die Zahl der verletzten Bürger stieg auf 382. Davon seien 58 schwer verletzt. Die Unruhestifter hätten 908 Geschäfte angegriffen und geplündert, 84 Autos angezündet sowie auch in 7 Schulen, 5 Krankenhäusern und 120 Wohnungen Feuer gelegt.

Chinesische Medien berichten von Verbrechen der Tibeter

Die amtlichen chinesischen Medien verbreiteten Details brutaler Angriffe von Tibetern auf Chinesen. So sei ein Wanderarbeiter mit dem Messer in die Leber gestochen worden und verblutet. Einer Frau, die verprügelt worden sei, hätten Angreifer ein Ohr abgeschnitten. Ein Arzt sei angegriffen worden, als er versucht habe, einen achtjährigen Jungen zu retten, der von der Menge niedergetrampelt worden und erstickt sei. Bis Freitag hätten sich 183 Teilnehmer an den Unruhen in Lhasa der Polizei gestellt. Über populäre Internetportale fahndet die Polizei mit Fotos nach 21 Hauptverdächtigen. Nach den Unruhen wird auch der Bewegungsspielraum kritischer Stimmen in China kleiner. In Peking wurde die tibetische Autorin Tsering Woeser und ihr chinesischer Ehemann Wang Lixiong praktisch unter Hausarrest gestellt worden. «Egal, was wir machen wollen - wir müssen erst um Genehmigung bitten», sagte Wang Lixiong dem Sender Radio Free Asia. «Nur wenn höhere Stellen es billigen, können wir uns unter Bewachung bewegen.» Die 40-jährige Autorin, deren Werk in China weitgehend verboten ist, und ihr Mann machen regelmäßig Beiträge für Radio Free Asia. (nz/dpa)

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