Parteienforscher Walter: „Lafontaine wird zum ewigen Schatten der SPD“
Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter analysiert im AZ-Interview die Ergebnisse der drei Landtagswahlen und die Folgen: die Erosion der Volksparteien, die Zeitgemäßheit von Lager-Wahlkämpfen und die grassierende Ausschließeritis unter den deutschen Parteien
AZ: Herr Professor Walter, verleihen die Wahlergebnisse vom Sonntag der SPD Rückenwind, um Schwarz-Gelb doch noch zu verhindern?
FRANZ WALTER: Der Wahlsonntag verleiht automatisch gar nichts. Er kann eine Chance für die SPD sein, birgt aber auch etliche Gefahren. Jetzt kommt alles auf die Führungskunst der entscheidenden Sozialdemokraten an.
Bisher jubeln sie eher, anstatt zu führen: „Die SPD ist strategisch am Hebel“, tönt Generalsekretär Heil.
Am Hebel sind in Thüringen die Linken und im Saarland die Grünen.
Wer hat die Deutungshoheit bei der deutschen Linken? Spielt die SPD mittlerweile nur noch die zweite Geige?
Das ist das Bemerkenswerte des Sonntags: Die SPD hat sich nicht selbst wieder in Spiel zurückgebracht, sondern das war allein die Mobilisierungskraft der Linken in Thüringen und an der Saar. Schon 2005 hatte allein Lafontaine durch die Stärkung der Linken verhindert, dass Schwarz-Gelb mehrheitsfähig werden konnte. Er wird zum ewigen Schatten der SPD.
"Sachsen könnte für die Volksparteien zum Menetekel werden"
Zweistellige Verluste für die CDU, die SPD bleibt gefangen im 20-Prozent-Turm. Zeugen diese Wahlergebnisse von der Erosion der Volksparteien?
In gewisser Weise könnte Sachsen zum Menetekel werden. Dort kommen die Volksparteien bei den 18- bis 44-Jährigen zusammen kaum noch auf 40 Prozent. Auf mittlere Frist wird dort eine „große Koalition“ längst nicht mehr zur Mehrheit reichen. Das liegt sicher an der Schwäche der SPD. Aber auch die CDU ist bei allen Wählern diesseits des Rentenalters nicht über 40 Prozent gekommen, ob in Thüringen, Sachsen oder im Saarland.
Derzeit buhlen irgendwie alle um alle, sind nach allen Seiten offen. Da kommt richtig Bewegung in die Landschaft.
Das mag spannend werden, auf der anderen Seite wird es die Wähler aber auch ernüchtern. Sie wählen eine Partei, wissen aber nicht, was politisch aus ihrer Stimme wird. Sie sind bis 18 Uhr an Wahltagen der Souverän. Dann agieren und entscheiden allein die Kungelrunden der Parteien.
Merkel-Kritiker in der Union fordern einen knallharten Lagerwahlkampf. Ist der heute noch zeitgemäß?
Einen simulierten Lagerwahlkampf will sicher niemand. Übrigens: Er würde zuerst der CDU schaden.
Gibt’s diese Lager überhaupt noch – oder werden sie für den Wahlkampf nur mehr herbeiinszeniert?
Ich denke schon, dass es sozial, erst recht ökonomisch und auch kulturell verschiedene Lager gibt. Die Differenzen zwischen den Lebenswelten sind ja nicht geringer geworden, im Gegenteil. Nur sind die klassischen Parteien nicht mehr wirkliche politische Repräsentanten solcher Lager. Die SPD ist natürlich weder sozialistisch noch proletarisch. Und die Union singt die christlichen Strophen höchstens noch an den Feiertagen.
Kann die Union Stammwähler mobilisieren, indem sie jetzt noch eine Rotfront-Gefahr an die Wand malt?
Wenn in den nächsten Wochen tatsächlich so etwas wie Mobilisierung aufkommt, profitieren davon die Parteien links von der CDU – denn deren Truppen sind bislang eben nicht mobilisiert.
"Auf Knopfdruck zum Angriff überzugehen, das geht nicht"
Glauben Sie, dass Merkel ihre Schlafwagenwahlkampf-Strategie noch ändert?
Die Gefahr eines zu ruhigen Wahlkampfes ist, dass man wirklich in den Dämmerzustand gerät. Auf Knopfdruck dann wieder zum Angriff überzugehen, das geht nicht.
Was halten Sie von der grassierenden Ausschließeritis: Die Grünen schließen Jamaika aus, die SPD Rot-Rot-Grün, die FDP die Ampel – und Matschie Ramelow. Was sagt das über die politische Kultur im Lande aus?
Wenn alles leichthändig mit allem zu kombinieren wäre, dann würde es offensichtlich an der Substanz politischer Differenzen fehlen. Das wäre uns ja auch nicht recht. Das Problem ist: Bei der Ausschließeritis wirken Differenzen inzwischen nur noch simuliert. Das verärgert ebenfalls.
Was denken Sie: Wer regiert demnächst Thüringen? Matschie, Ramelow – oder doch wieder Althaus?
Weiß ich nicht. Ich sage ja, es kommt auf Führungskunst an. Wie wäre es mit der Israel-Lösung? In der einen Hälfte der Legislaturperiode amtiert ein SPD-Ministerpräsident, in der anderen ein Linker. Irgendetwas Kreatives zumindest.
Interview: Markus Jox
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