Papst wird in Thüringen erwartet

Papst Benedikt XVI. reist am zweiten Tag seines Deutschlandaufenthalts zum Treffen mit führenden evangelischen Christen nach Erfurt.
von  dpa

Papst Benedikt XVI. reist am zweiten Tag seines Deutschlandaufenthalts zum Treffen mit führenden evangelischen Christen nach Erfurt. Seinen historischen Besuch begann er am Donnerstag mit Appellen zu mehr Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung.

Berlin - Im Bundestag forderte er die Politiker auf, konsequent für das Wohl der Menschen einzutreten: "Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen." 61 000 Menschen feierten das Kirchenoberhaupt am Abend im Olympiastadion, Tausende demonstrierten in der Innenstadt gegen den Staatsgast aus Rom.

Der 84-Jährige fuhr vor der Messe mit dem Papamobil durch das Stadionrund und segnete mehrere Babys, die ihm ins Auto gereicht wurden. Jubelnde Anhänger schwenkten Fahnen in den Vatikanfarben gelb-weiß, immer wieder brandete Applaus auf. Benedikt rief die Katholiken auf, trotz Negativschlagzeilen zu ihrer Kirche zu stehen. "Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen", beklagte er. Auf den Missbrauchskandal ging er nicht direkt ein; er forderte die Menschen aber auf, die Kirche nicht zu verlassen, sondern sich gegenseitig zu bestärken.

Bundespräsident Christian Wulff hatte bei der Begrüßung vor dem Schloss Bellevue am Vormittag konkrete Verbesserungen im Miteinander von Katholiken und Protestanten angemahnt. "Das Trennende zwischen den christlichen Kirchen bedarf der Begründung, nicht das Gemeinsame. Und deswegen haben wir hier noch sehr viel zu tun", sagte er.

Die Ökumene ist ein Schwerpunkt der Deutschlandreise Benedikts. Die Erwartungen an das Treffen in Erfurt sind hoch. Das ökumenische Gespräch findet im Augustinerkloster statt. Dort hatte der spätere Reformator Martin Luther vor 500 Jahren als katholischer Mönch gelebt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, erhofft sich Anstöße für ein besseres Miteinander von Protestanten und Katholiken.

Wulff ging auch auf die Probleme wiederverheirateter Geschiedener ein, denen die katholische Kirche die Kommunion verweigert. Indirekt erwähnte er die vielfachen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen. Wulff ist selbst Katholik, geschieden und in zweiter Ehe verheiratet.

Bei einem Treffen mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland wurde die große Nähe von Christentum und Judentum hervorgehoben. "Das Heil kommt nun einmal von den Juden", zitierte Benedikt die Bibel. Der biblische Jesus war Jude.

Etwa 9000 Menschen protestierten in Berlin gegen den Besuch. Die Veranstalter hatten ursprünglich mit 20 000 Demonstranten gerechnet. Nach Angaben des Lagedienstes der Bundespolizei waren über den Tag verteilt insgesamt 1355 Beamte im Einsatz.

Beim ersten Auftritt eines Papstes im Bundestag ging Benedikt nicht direkt auf die ethischen Debatten über Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik ein. In einer stellenweise professoral wirkenden Rede betonte er aber: "Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen." Politiker und Wissenschaftler seien daher besonders gefordert, ihre Entscheidungen auch moralisch zu bedenken.

Die meisten Abgeordneten hießen das Kirchenoberhaupt stehend mit viel Applaus willkommen. Einige Dutzend der 620 Parlamentarier - deutlich weniger als angekündigt - blieben fern, weil sie den Auftritt des Papstes für unvereinbar mit der religiösen Neutralität des Staates halten.

Missbrauchsopfer der katholischen Kirche reagierten enttäuscht. Der Papst habe im Bundestag über Macht und Recht gesprochen, sei aber auf seine Rolle als Mächtiger nicht eingegangen, kritisierte Matthias Katsch, Sprecher der Organisation "Eckiger Tisch", in dem sich Missbrauchsopfer aus Jesuitenschulen zusammengeschlossen haben.

Am Freitagnachmittag fliegt der Papst mit dem Hubschrauber ins katholische Eichsfeld im Norden Thüringens. An der Marienwallfahrtskapelle Etzelsbach feiert er mit etwa 60 000 Pilgern ein Abendgebet. Am Samstag und Sonntag schließt er den Deutschlandbesuch in Freiburg ab.

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