Oskar Lafonaine: Der bittere Abgang des Linksparteichefs
„Der Krebs war ein Warnschuss, den ich nicht ohne Weiteres wegstecken kann: Linksparteichef Lafontaine legt Amt und Bundestagsmandat nieder und zieht sich ins Saarland zurück
BERLIN Es ist ein gespenstischer Auftritt: Als Oskar Lafontaine und Gregor Gysi am Samstagnachmittag im Berliner Karl-Liebknecht-Haus vor einer knallroten Wand Platz nehmen, sind die Jalousien vor den Fenstern heruntergelassen, die Atmosphäre ist eisig. Fraktionschef Gysi zieht ein Weltuntergangsgesicht und überlässt dem 66-jährigen Parteivorsitzenden das Wort – zum letzten Mal.
„Ich habe heute den Vorstand informiert, dass ich aus gesundheitlichen Gründen auf dem Parteitag im Mai nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden kandidieren und auch mein Bundestagmandat abgeben werde“, verkündet Lafontaine offiziell, was in Berlin seit Tagen gemunkelt worden ist. Sein Rückzug an die Saar, wo er Fraktionschef im Landtag bleiben will, habe nichts mit internen Personalquerelen zu tun, sondern ausschließlich mit „einer Reihe von gesundheitlichen Attacken“, die er 2009 zu überwinden gehabt habe. „Der Krebs war ein Warnschuss, den ich nicht ohne weiteres wegstecken kann“, sagt Lafontaine. Er sei ein politischer Mensch und habe die Entscheidung deshalb nicht gerne getroffen: „Ich will Ihnen hier nichts vorjammern, aber man muss irgendwann auch zur Kenntnis nehmen, was ist.“
Oskar Lafontaines bitter-tragischer Abgang von der Berliner Bühne ist der vorläufige Tiefpunkt eines Niedergangs der Linkspartei, der im Oktober 2009 begonnen hat: Unmittelbar, nachdem er die Linke bei der Bundestagswahl zu einem Traumergebnis von 11,9 Prozent geführt hatte, zog sich Lafontaine überraschend von der Fraktionsspitze im Bundestag zurück. Kurz darauf teilte der Parteichef mit, dass er an Prostatakrebs erkrankt ist. Lafontaine lag noch nicht auf dem Operationstisch, da brach intern die Nachfolgedebatte los. Nach seiner Krebsoperation im November tauchte er ab, schwieg seitdem beharrlich. Seine Partei übte sich derweil fleißig Selbstzerfleischung. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch wurde von Lafontaine-Getreuen verdächtigt, Gerüchte über eine angebliche Affäre des verheirateten Saarländers mit der Kommunistin Sahra Wagenknecht lanciert zu haben. Bartsch verlor das Kräftemessen und gab auf, nachdem ihm Gysi öffentlich Illoyalität vorgeworfen hatte.
Für die Linke reißt Lafontaines Abgang eine riesige Lücke. Die Partei muss ihre komplette Führung neu aufstellen, da auch der Ko-Vorsitzende Lothar Bisky aus dem Amt schiedet. Dazu stehen schwierige Debatte über Programm und Kurs der Partei an. Die Personalfragen sollen noch diese Woche entschieden werden. Im Gespräch ist eine „doppelt quotierte Doppelspitze“: Mann und Frau, Ost und West. Gehandelt werden der aus München stammende Parteivize Klaus Ernst (55) und Fraktions-Vize Gesine Lötzsch (48), ein Ex-SED-Mitglied.
Die SPD kommentierte den Rückzug ihres einstigen Vorsitzenden unterschiedlich: Das Klima zwischen Sozialdemokraten und Linkspartei werde sich dadurch nicht entspannen, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. In NRW trete die Linke zur Landtagswahl unverändert mit einem „spinnerten Programm“ an: „Da verbietet sich eine Zusammenarbeit mit ihr aus inhaltlichen Gründen, völlig egal, wer dort Vorsitzender ist.“ Der SPD-Linke Niels Annen sagte dagegen, die Chancen für rot-rote Koalitionen in Berlin seien nach Lafontaines Rückzug gestiegen. Und eine Gruppe jüngerer Bundestagsabgeordneter von SPD, Grünen und Linken forderte am Sonntag offensiv, ab sofort auf eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bund hinzuarbeiten.Markus Jox