Olaf Scholz: "Die Bürger wünschen sich CDU und CSU eher in der Opposition"

Im AZ-Interview kontert SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz Vorwürfeder Union, macht sich über Schattenkabinette lustig - und den Grünen wenig Hoffnung.
Interview: Markus Lohmüller |
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"Die Stimmung in der SPD ist sehr gut." Olaf Scholz entspannt und mit Bier im Gespräch mit Politik-Redakteur Markus Lohmüller.
"Die Stimmung in der SPD ist sehr gut." Olaf Scholz entspannt und mit Bier im Gespräch mit Politik-Redakteur Markus Lohmüller. © Hans-Christian Wagner

München - AZ-Interview mit Olaf Scholz Der 63-Jährige ist aktuell Finanzminister und Vize-Kanzler. Am 26. September will der Sozialdemokrat die scheidende Regierungs-Chefin Angela Merkel (CDU) beerben.

AZ: Herr Scholz, wann hatten Sie in diesem Wahlkampf zum ersten Mal das Gefühl, das könnte etwas werden? Und sagen Sie jetzt nicht: von Anfang an.
Olaf Scholz: Wir wussten natürlich, dass uns ein langer Lauf bevorsteht. Deshalb haben wir schon im August des vergangenen Jahres klar gesagt, wer Kanzlerkandidat der SPD ist. Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern über lange Zeit gezeigt, dass wir eine geschlossen handelnde Partei sind. Wir haben ein zuversichtliches Programm beschlossen. Und wir haben immer darauf gesetzt, dass mit Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs die Frage in den Vordergrund rückt, wer als Nächstes ins Kanzleramt einzieht - und dass das auch Auswirkungen auf unsere Umfragewerte haben kann. Und so ist es gekommen.

"Die Finanzpläne der Grünen sind nicht im Bereich des Möglichen": SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz macht Wahlkampf in Regensburg.
"Die Finanzpläne der Grünen sind nicht im Bereich des Möglichen": SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz macht Wahlkampf in Regensburg. © Hans-Christian Wagner

Wie erklären Sie sich den plötzlichen Zuspruch für die SPD in den Umfragen?
Die Bürgerinnen und Bürger überlegen genau, wen sie als Kanzler wollen. Viele haben offenbar das Gefühl, dass CDU und CSU nach 16 Jahren nicht mehr in der Regierung sein sollten. Sie wollen einen Regierungswechsel, einen Aufbruch und den verbinden sie mit der SPD. Uns unterscheidet von anderen: Wir haben einen Plan für die 20er-Jahre, wie wir eine Gesellschaft des Respekts schaffen und die industrielle Modernisierung Deutschlands hinbekommen.

"Aus Kompetenzteams wurden selten Minister rekrutiert"

Sie sprechen von einem Regierungswechsel, dabei regiert die SPD seit acht Jahren mit. Kann man da glaubhaft einen Neuanfang versprechen?
Wir wollen die Regierung führen und haben auch ganz genaue Vorstellungen davon, wie. Wir werden zum Einen alles dafür tun, dass die Gesellschaft nicht weiter auseinander driftet, dass wir mehr Respekt vor unterschiedlichen Lebensstilen haben. Es ist nicht besser oder schlechter, ob man sich für ein Leben in der Großstadt oder auf dem Dorf entscheidet. Die Entscheidung für eine Ausbildung als Handwerkerin ist nicht besser oder schlechter als die Entscheidung für ein Studium. Mir ist wichtig, dass die, die wir in der Corona-Krise beklatscht haben, nach der Corona-Krise dann auch eine Chance auf ein besseres Einkommen haben. Es geht um Beifall und Anerkennung - aber es geht auch um Geld. Deshalb möchte ich in meinem ersten Amtsjahr den Mindestlohn auf zwölf Euro anheben. Zehn Millionen Beschäftigte werden damit eine sehr konkrete Gehaltserhöhung bekommen. Und zum Anderen wollen wir den Klimawandel aufhalten und zugleich alles dafür tun, dass wir auch in 20, 30 Jahren noch gute Arbeitsplätze haben. Das geht nur, wenn wir die Erzeugung von Strom aus sauberen Quellen wie Sonne und Wind massiv ausweiten, was CDU und CSU lange behindert haben. Deshalb brauchen wir einen Aufbruch.

Eine weitere Große Koalition - diesmal vielleicht unter Ihrer Führung - ist somit also die letzte Option, die Sie in Erwägung ziehen?
Es ist interessant, dass in der CDU jetzt darüber nachgedacht wird. Aber ich glaube, die Haltung der Bürgerinnen und Bürger ist ziemlich klar: Sie wünschen sich CDU und CSU eher in der Opposition.

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Wie erleben Sie wenige Tage vor der Bundestagswahl die Stimmung bei den SPD-Wahlkämpfern vor Ort?
Die Stimmung ist gut. Ich höre ganz oft, dass es viel Zulauf an den Infoständen gibt und die Bürgerinnen und Bürger sehr freundlich und zugewandt sind. Viele setzen eine große Hoffnung in die SPD. Ich erlebe eine Partei, die motiviert und entschlossen ist, in den letzten Tagen alles zu tun, damit das, was sich in Umfragen abzeichnet, sich auch im Wahlergebnis abbildet. Unser Ziel: den Auftrag der Bürgerinnen und Bürgern zu erhalten, eine Regierung zu bilden.

Warum haben Sie auf ein Schattenkabinett oder zumindest ein Kompetenzteam verzichtet? Die politische Konkurrenz sagt, Sie wollen Parteilinke wie Saskia Esken und Kevin Kühnert verstecken.
Solche Schattenkabinette halte ich für überflüssig. Schon vor meiner Wahl zum Hamburger Bürgermeister hatte ich sowas nicht. Irgendwann muss noch mal jemand das lustige Buch schreiben über Mitglieder von Kompetenzteams und Schattenkabinetten, was aus ihnen geworden ist und wie selten aus diesem Kreis Ministerinnen und Minister rekrutiert wurden.

Der Ton im Wahlkampf ist zuletzt deutlich rauer geworden. Armin Laschet und Markus Söder sehen die SPD in den entscheidenden Momenten der deutschen Nachkriegsgeschichte beständig auf der falschen Seite. Was antworten Sie ihnen?
Die Antwort geben die Bürgerinnen und Bürger. Sie wissen, dass die SPD auf der richtigen Seite der Geschichte stand - beim Kampf gegen die wilhelminische Diktatur, beim Versuch, die Weimarer Republik zu verteidigen, beim Kampf gegen den Faschismus, im Osten Deutschlands als Partei, die von der SED unterdrückt wurde, und als Partei, die mit Willy Brandt und Helmut Schmidt eine große Weichenstellung wie die Ostpolitik zustande brachte, die letztlich die Grundlagen für die deutsche Einheit und die europäische Einigung gelegt hat.

Eine Abkehr von der Schuldenbremse wird es mit Ihnen als Kanzler definitiv nicht geben? Die Grünen könnten sich das ja durchaus vorstellen.
Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz. Deshalb beachtet die Finanzplanung, die ich für die gesamte kommende Legislaturperiode vorgelegt habe, und die übrigens vom Bundeskabinett einstimmig gebilligt wurde, diese Schuldenregel. Darin ist zum Beispiel jedes Jahr eine Summe von 50 Milliarden Euro für Investitionen vorgesehen. Wenn man von den Krisenjahren absieht, ist das absoluter Rekord in Deutschland. Was wir uns für die Zukunft vorgenommen haben, können wir im Rahmen des Grundgesetzes hinkriegen.

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Das kling trotzdem ein bisschen nach: Sag niemals nie.
Nein, nach meiner Überzeugung wird es keine Abkehr von der Schuldenbremse geben. Schon deshalb nicht, weil sich CDU/CSU und FDP klar gegen eine Grundgesetzänderung ausgesprochen haben. Es bräuchte ja eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat dafür. Die Finanzpläne der Grünen sind damit nicht im Bereich des Möglichen.

"Herr Schmidt ist ein guter und fleißiger Staatssekretär"

War es klug, die Durchsuchung Ihres Finanzministeriums durch die Staatsanwaltschaft öffentlich zu kritisieren?
Im Kampf gegen Geldwäsche haben wir viel geleistet. Als ich ins Amt kam, war die besagte Financial Intelligence Unit, die FIU, eine Behörde im Umbruch. Mein Vorgänger Wolfgang Schäuble hatte sie vom Bundeskriminalamt zum Zoll verlagert, weil es zuvor Kritik an der Arbeit der FIU gegeben hatte. Die FIU soll die Verdachtsmeldungen auf Geldwäsche, von denen es jetzt pro Jahr mittlerweile fast 150.000 gibt, nicht mehr nur weiterleiten, sondern wie in anderen Ländern zuvor ordnen und bewerten. Dafür haben wir die FIU massiv personell aufgestockt, von 160 auf mehr als 500 Beschäftigte, neue IT angeschafft und Künstliche Intelligenz eingesetzt, eine neue Führung installiert und mehr Zugriffsrechte auf Datenbanken anderer Behörden geschaffen. Wir haben europäische Regeln umgesetzt und es gibt jetzt noch eine externe Betrachtung aller Sachabläufe, um die Behörde optimal aufzustellen. Was man in so kurzer Zeit machen kann, wurde gemacht.

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Das beantwortet aber nicht die Frage, ob die Kritik des Finanzministers an den Ermittlern angemessen war. Sie würden Sie nicht wiederholen?
Deutsche Behörden arbeiten mit anderen deutschen Behörden, auch mit der Staatsanwaltschaft in Osnabrück, gut zusammen und sie geben Vorgänge raus, nach denen sie gefragt werden.

Ermittlungen gibt es jetzt auch gegen Ihren Staatssekretär Wolfgang Schmidt, weil er Teile des Durchsuchungsbeschlusses öffentlich gemacht hat. Wussten Sie vorab über seine Aktion Bescheid?
Herr Schmidt ist ein guter und fleißiger Staatssekretär, und er twittert auch viel, seine Twitter-Aktionen verfolge ich nicht. Das geht jetzt seinen Gang und die Sache wird geklärt.

Die Kanzlerkandidaten von Union und Grünen, Armin Laschet und Annalena Baerbock, stellen den Einsatz der Bundeswehr in Mali infrage. Sie auch?
Der Einsatz der Bundeswehr in Mali erfolgt in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten. Wir haben dazu ein laufendes Mandat. Klar ist, wir müssen jetzt sehr genau hinschauen und prüfen, ob tatsächlich eine russische Söldnergruppe für das Militärregime zum Einsatz kommt. Das wäre eine neue Lage.

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18 Kommentare
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  • luxemburger am 21.09.2021 13:39 Uhr / Bewertung:

    Bitte nur keine Koalition mit den Gruenen,denn daran geht die BRD vor die Hunde.Nur Verbote.Gebote und kein Wachstum.

  • Erdbeerblau0815 am 21.09.2021 06:48 Uhr / Bewertung:

    Das man bei vermutlich 25% der Stimmen vom "Auftrag der Bevölkerung zur Regierungsbildung" sprechen kann ist mir nicht verständlich. Leute... da haben 75% nicht für euch gestimmt.

  • Candid am 21.09.2021 05:36 Uhr / Bewertung:

    Viel Reden, ohne etwas Auszusagen.
    Das ist Olaf Scholz; das ist aber nichts neues bei ihm.

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