Özdemir und Roth rocken die Grünen

Die Grünen zeigen sich bei ihrem Erfurter Parteitag wild entschlossen, sich diesmal nicht selbst zu beschädigen. Deswegen wählen sie Cem Özdemir und Claudia Roth mit hervorragenden Ergebnissen zu ihren Vorsitzenden
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Neues Führungsduo der Grünen: Cem Özdemir und Claudia Roth
ap Neues Führungsduo der Grünen: Cem Özdemir und Claudia Roth

Die Grünen zeigen sich bei ihrem Erfurter Parteitag wild entschlossen, sich diesmal nicht selbst zu beschädigen. Deswegen wählen sie Cem Özdemir und Claudia Roth mit hervorragenden Ergebnissen zu ihren Vorsitzenden

Cem Özdemir ist neuer Bundesvorsitzender der Grünen. Der Parteitag in Erfurt wählte den 42-Jährigen mit 79,2 Prozent zum Nachfolger von Reinhard Bütikofer, der ins Europäische Parlament wechselt. Grüne Co-Chefin bleibt Claudia Roth – die bayerische Schwäbin erhielt 82,7 Prozent. Der 42-jährige Özdemir aus Bad Urach bei Stuttgart ist nicht nur der erste türkischstämmige Chef einer deutschen Partei, sondern auch der erste Vorsitzende mit Migrationshintergrund überhaupt.

Beide Wahlergebnisse sind für die Verhältnisse der notorisch streitfreudigen Grünen hervorragend: Bei den letzten Vorstandswahlen Ende 2006 hatte Roth lediglich 66,5 Prozent erhalten, Bütikofer war auf nur 71,8 Prozent gekommen.

In seiner Bewerbungsrede hatte Özdemir die Grünen zuvor dazu aufgefordert, auf ihr „exzellentes Programm“ und die „großen Erfolge“ während der rot-grünen Regierungszeit stolz zu sein. „Vielleicht argumentieren wir Grüne ja manchmal auch ein wenig überkomplex“, kritisierte der neue Grünen-Chef die Neigung seiner Partei, sich gelegentlich im Klein-Klein und in Antrags-Spiegelstrichen zu verheddern.

Saftige Oppositionsparolen

Özdemir trat in Erfurt den Beweis an, dass man die Grünen auch mit nicht gerade überkomplex gestrickten Parolen zu Jubelstürmen hinreißen kann. „Es ist nicht unsere Aufgabe, Kabinettsvorlagen zu schreiben“, rief er aus. Vielmehr müssten die Grünen die Regierung „stärker in Mann- und Fraudeckung nehmen“. Also gab es saftige Oppositionsparolen: Die große Koalition habe „keine Rezepte für die Zukunft“, schimpfte Özdemir. Studiengebühren müssten abgeschafft werden. Umweltminister Gabriel stehe mehr für die Autoindustrie als für den Klimaschutz. Alle Kinder müssten in der Schule gefälligst gratis ein warmes Mittagessen bekommen. Und: Der Außenminister müsse endlich dafür kämpfen, dass deas US-Gefangenenlager Guantánamo dichtgemacht wird. „Herr Steinmeier, übernehmen Sie! Sie haben da noch was wiedergutzumachen.“

Özdemir kündigte an, dass die Grünen unter seiner Führung für einen „Politikwechsel“ streiten wollten, in dessen Zentrum der Klimaschutz, eine innovative Wirtschaftspolitik und die Integration aller bislang von der Gesellschaft Ausgegrenzten und Ausgeschlossenen stehen soll: „Ich kämpfe für eine Gesellschaft, in der alle mitgenommen werden – egal, ob sie aus Kasachstan kommen – oder ob sie schon gegen die Römer im Teutoburger Wald gekämpft haben.“

„Die Seele der Partei“

Als der von einer riesigen Kamera- und Mikrofontraube umlagerte Kandidat in der Fragerunde von einem Bremer Grünen gefragt wurde, ob es eigentlich stimme, dass er „mediengeil“ sei, antwortete Özdemir trocken: „Laut der mir vorliegenden Stellenanzeige ist Schüchternheit und mediale Zurückhaltung keine zwingende Voraussetzung, um den Job zu machen.“

Claudia Roth stellte in ihrer Rede einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis, warum sie „die Seele der Partei“ oder „Mutter Beimer der Grünen“ genannt wird. Temperamentvoll und nicht selten oberhalb der Schreigrenze jubelte in ihrer Rede über die Wahlniederlage der CSU in Bayern, über den Anti-Castor-Protest in Gorleben und über das Grundrecht auf Asyl. Genauso emphatisch wetterte Roth gegen Rassismus, Rechtsradikalismus und die Apostel des Neoliberalismus. Unter ruckartigem Hin- und Herwerfen ihres Bubikopfes stieß Roth noch zahlreiche andere Ismen aus und begründete ihre Holzhammer-Rhetorik so: „Unsere Partei wird nicht gewählt für technokratischen Glattschliff.“

Mit „Grün pur“ will sie in das Wahljahr 2009 gehen, so Roth weiter – klar, dass alle anderen Parteien ihr Fett abbekamen. Dem langjährigen Koalitionspartner SPD unterstellte Roth, klammheimlich auf eine Fortsetzung der großen Koalition zu hoffen: „Nur zu gern würden die sich weiter an Frau Merkel hängen als Schutzmantelmadonna einer Sozialdemokratie mit Burnoutsyndrom.

Stehende Ovationen für die Kandidatin

Die Schutzmantelmadonna der Grünen beendete ihre Rede mit: „Mein Name ist Claudia Roth. Ich bewerbe mich um das Amt der Bundesvorsitzenden.“ Selbst einige Realos erhoben sich zu Standing ovations für die Kandidatin.

Markus Jox

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