Özdemir: "Nichts ist unmöglich"

Grünen-Chef Cem Özdemir zu Gast in der AZ – ein Gespräch über die übermächtige GroKo, Seehofer und Nallingers Chancen
von  az
Grünen-Chef Cem Özdemir (zweiter von rechts) zu Gast in der AZ-Redaktion.
Grünen-Chef Cem Özdemir (zweiter von rechts) zu Gast in der AZ-Redaktion.

Grünen-Chef Cem Özdemir zu Gast in der AZ – ein Gespräch über die übermächtige GroKo, Seehofer und Nallingers Chancen

AZ: Herr Özdemir, wie ist es so als Mini-Opposition gegen die große Übermacht der GroKo?

CEM ÖZDEMIR: Es ist für uns keine leichte Situation mit 8,4 Prozent gegenüber einer 80-Prozent-Macht im Bundestag. Die gute Nachricht ist aber, dass wir an sieben Landesregierungen beteiligt sind. An denen kommt auch die schwarz-rote Regierung nicht vorbei. Die große Koalition kann also nicht schalten und walten, wie sie will.

Zahlenmäßige Hauptopposition sind die Linken, die lauter krakeelen als die Grünen.

Das Schreien und Zetern als Oppositionskonzept überlassen wir den Linken gerne. Bei denen gibt es die Lautstärke, bei uns gibt’s die Konzepte.

Wie ist Ihr Verhältnis?

Das wird durch die Ukraine noch schwieriger. Bei allen Unterschieden zur großen Koalition sind wir uns mit der Kanzlerin in den Grundlinien ja nicht uneinig in der Beurteilung Putins. Es ist eine so ernsthafte Krise, da sollte man eine gemeinsame Sprache sprechen. Die Linkspartei aber sieht die Hauptursache immer beim Westen. Sie denkt in den Kategorien des Kalten Krieges: Moskau hat immer recht.

Sie haben die europäischen Außenminister als „Bonsai-Außenminister“ verspottet. Ist Ihnen die EU zu schwach?

Nichts gegen Herrn Steinmeier und seine Kollegen, aber in Moskau und anderswo auf der Welt machen wir wenig Eindruck, wenn wir mit 28 nationalen Strategien auftreten. Eine halbe Milliarde Menschen, so viele sind wir in Europa, die ihr ganzes wirtschaftliches und politisches Gewicht in die Waagschale werfen, die können eher Einfluss auf den Lauf der Dinge nehmen. Sei’s gegenüber Herrn Putin und seinen imperialen Gelüsten bis zur Energiewende. Unsere Zukunft ist Europa und nicht das Zurück zu den Nationalstaaten.

CSU-Vize Peter Gauweiler sympathisiert mit Russland, Sie dagegen wollen Putin mit harten Sanktionen in die Knie zwingen. Wer hat Recht?

Ich wundere mich eher über Teile der Union. Unter Herrn Westerwelle und Frau Merkel stand die deutsche Außenpolitik bei Libyen plötzlich an der Seite von Moskau und China und nicht an der Seite unserer Partner in Paris und Washington. Dass Herr Gauweiler jetzt Herrn Schröder beispringt, zeigt, dass die große Koalition sich gut versteht. Aber in diese Ecke gehört Deutschland nicht. Wir Grünen bekennen uns ohne Wenn und Aber zu Menschenrechten und nicht zu autoritären Regimen. Die illegale Besetzung der Krim durch Russland ist nicht akzeptabel.

Deutschland ist in Sachen Energie vom russischen Gas abhängig. Bereuen Sie es, dass die Grünen die Energiewende im Wahlkampf nicht offensiver beackert haben?

Ein starkes Argument, auf Sonne und Wind zu setzen, ist auch, dadurch die Abhängigkeit von Putin und den Ölscheichs zu reduzieren. Uns wäre es natürlich lieber, wir könnten die Energiewende auf Bundesebene selbst organisieren und damit besser hinbekommen.

Früher galten die Grünen immer als die Dagegen-Partei, die Protestpartei...

Dieses Label wollte man uns zwar anhängen, aber jetzt sehen wir doch, dass es zu Horst Seehofer viel besser passt. Er ist schwer zu greifen, weil wir nicht wissen, auf welchen Herrn Seehofer wir uns beziehen sollen. Auf den vom Morgen, vom Mittag oder vom Abend.

Beim Netzausbau hieß es früher, die Grünen blockieren. Jetzt hat sich Seehofer an die Spitze der Trassengegner gesetzt. Was sagen Sie denen, die Angst haben vor den Hochspannungsleitungen vor ihrer Haustür?

Herr Seehofer sollte noch mal nachdenken, dass auch in Bayern nachts die Sonne nicht scheint. Wer nein sagt zu Wind, wer nein sagt zu neuen Netzen, muss erst mal erklären, woher der Strom denn kommen soll, den die bayerische Industrie braucht. Natürlich müssen die Menschen bei der Planung mit einbezogen werden. Das hat schon Stuttgart 21 gezeigt.

Sie sind nach München gekommen, um Wahlkampf für die Grüne OB-Kandidatin Sabine Nallinger zu machen. Die wird eine Stichwahl in München erzwingen – aber doch vermutlich eher zwischen SPD und CSU?

München ist eine moderne, weltoffene und auch grüne Stadt. Sabine Nallinger als Oberbürgermeisterin wäre auch die richtige Balance gegen die schwarze Staatsregierung. In Stuttgart hatte das auch niemand vorausgesehen, dass es einen grünen OB geben wird. Jetzt gibt’s ihn. Also: nichts ist unmöglich.

In Stuttgart gibt’s aber auch einen grünen Ministerpräsident. In Bayern dagegen mussten die Grünen bei der Landtagswahl ganz schön Federn lassen.

Dafür sind sie in Berlin jetzt mit einem starken Fraktionsvorsitzenden vertreten.

Über den gibt’s auch Spott, der Hofreiter Toni, der Ersatzchristus von Oberammergau mit seinem Bairisch.

Ich bin ein großer Fan der Mundart. Die tut der Politik gut. Deutschland ist nicht nur Berlin-Mitte. Und Frisurfragen sind sowieso Geschmackssache. So wie bei mir.

Sie meinen Ihre Koteletten?

Irgendwann hat man’s und dann ist es so. Bei mir hat sich jetzt die Friseurinnung gemeldet, weil ich mich mal hinreißen hab’ lassen und gesagt habe: Wenn die Friseure Mindestlohn bekommen, lasse ich sie mir abschneiden. Der kommt jetzt. Und die Friseurinnung fordert die Einlösung meiner Wettschulden. Da werde ich wohl leider nicht drum rumkommen.

 

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