Österreich: Kulturkampf um die Wehrpflicht

Bedingt entscheidungsbereit: Weil Österreichs Politiker sich nicht über die Zukunft der Wehrpflicht einigen können, entscheidet am Sonntag das Volk - nach einer emotionalen und bizarren Debatte.
von  Stephan Kabosch
Ein Mann schiebt in St. Pölten (Bundesland Niederösterreich) sein Rad vorbei an einem Wahlplakat. Die Befürworter der Wehrpflicht liegen vor der Volksbefragung am Sonntag in den Umfragen vorne.
Ein Mann schiebt in St. Pölten (Bundesland Niederösterreich) sein Rad vorbei an einem Wahlplakat. Die Befürworter der Wehrpflicht liegen vor der Volksbefragung am Sonntag in den Umfragen vorne. © dpa

Wien - „Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres oder sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?“ Diese Frage spaltet Österreich. Weil sich die Regierungskoalition aus sozialdemokratischer SPÖ und konservativer ÖVP nicht zu einer gemeinsamen Linie durchringen kann, findet an diesem Sonntag eine Volksbefragung statt. Das Ergebnis wäre nicht verbindlich, aber die Regierung will es anerkennen.

Dabei haben beide Parteien ein Wendemanöver hingelegt. Die SPÖ, jahrzehntelang Verteidigerin der Wehrpflicht, tritt seit zwei Jahren vehement für ein Berufsheer ein. Und die ÖVP, einst sogar für einen Nato-Beitritt, kämpft inzwischen für eine an moderne militärische Erfordernisse angepasste Wehrpflicht.

Aktuell treten pro Jahr rund 25.000 junge Österreicher ihren sechsmonatigen Präsenzdienst an. Das Militärbudget des neutralen Landes beträgt 2,5 Milliarden Euro – so wenig, dass Offiziere immer wieder vor einem Zusammenbruch des Systems warnen.

Seit der Debatte um einen EU-Beitritt Mitte der neunziger Jahre hat die Alpenrepublik kein Thema so emotional diskutiert wie die Zukunft der Wehrpflicht. Überlagert wird der Streit von zwei Fragen: Wer hilft künftig im Katastrophenfall? Das Bundesheer rückt regelmäßig bei Hochwasser, Lawinen- und Murenabgängen aus. Und: Was passiert im Sozialbereich, wenn es keine Zivildiener mehr gibt? „Dann wird man länger auf die Rettung warten“, warnt etwa das Rote Kreuz.

Die Mobilmachung der Stimmberechtigten hat mitunter bizarre Züge angenommen. ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger, ein Offizier der Reserve, hat die Wehrpflicht mit der Schulpflicht verglichen. SPÖ-Verteidigungsminister Norbert Darabos (ein ehemaliger Zivildiener) hingegen bezeichnete die Wehrpflicht als „mega-sinnlos“ und als „Gefahr für die Landesverteidigung“.

Das Modell der SPÖ sieht – ähnlich wie in Deutschland – ein freiwilliges soziales Jahr vor, das auch Frauen offen stehen und mit 1400 Euro pro Monat bezahlt sein soll. Selbst auf diesem Nebenkriegsschauplatz diskutieren Anhänger und Gegner leidenschaftlich: Wie kann man verhindern, dass Slowaken, Ungarn und Tschechen diese relativ gut bezahlten Jobs übernehmen? Kann man nicht in der EU.

Dann schon lieber bei der Wehrpflicht bleiben, die nur Österreichern offensteht? Alle Umfragen jedenfalls sehen eine Mehrheit für den Staatsbürger in Uniform.

 

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