Ochsentour: Ein Pirat in "Leichenhall"
Der Münchner Polit-Anfänger Wolfgang Britzl will Oberbürgermeister von Bad Reichenhall werden. Für die Piratenpartei. Britzl ist 28. Das Durchschnittsalter im Kurort gehört zu den höchsten in Deutschland
Bad Reichenhall - Der junge Mann im Holzfällerhemd und schwarzen Mantel ist höflich: „Darf ich mich bei Ihnen vorstellen?“, fragt er, wenn er am Rathausplatz von Reichenhall die Leute anspricht. „Ich bin Wolfgang Britzl. Ich bin von der Piratenpartei und möchte OB werden.“ Vera und Afrim, ein Paar mittleren Alters schaut irritiert: „Wo?“ – „Na hier, in Reichenhall“, sagt Britzl. Und auf die Frage, was die Piraten wollen, sagt er: „Transparenz und Bürgerbeteiligung“, alle sollen nachvollziehen können, wer im Stadtrat für was stimmt. Vera hört eine Weile zu und sagt dann: „Des schau ma uns o, Wolfi!“ Britzl ist hier ein Exot.
Allein schon, weil er 28 Jahre alt ist. Das Durchschnittsalter in Reichenhall liegt bei 49 Jahren, damit ist die Bevölkerung eine der ältesten in Deutschland. Nicht nur die Jugendlichen sprechen gerne von „Bad Leichenhall“.
Er kennt die Themen der Stadt, eine klare Meinung hat er nicht
Außerdem ist Britzl ein Auswärtiger. Ein Münchner. Zwar ist man sich in der südostbayerischen Kurstadt nicht ganz einig, wo das Land der Preißn beginnt. Manche sagen nördlich von Feldmoching, manche nennen Münchner einfach „Isar-Preißn“. Der Software-Spezialist arbeitet in München, sein Vater hat aber ein Haus im nahen Berchtesgaden, deswegen ist Britzl jedes Wochenende da. „Das ist mein Spielplatz. Ich bin hier beim Wandern, beim Klettern, beim Baden, die Landschaft ist einfach genial.“ Ein Rätsel ist es ihm, dass der Tourismus hier nicht viel besser läuft.
Als Pirat ist Britzl sowieso ein Exot. Elf davon gibt es in der Kleinstadt. Nach Eric Lembeck in Landsberg wird er wohl der zweite bayerische OB-Kandidat der Neuling-Partei sein. 180 Reichenhaller braucht er, die im Rathaus für seine Kandidatur am 11.März stimmen. 184 haben in den vergangenen zwei Wochen unterzeichnet, ausgezählt ist das noch nicht.
Deswegen akquiriert Britzl zur Sicherheit weiter: Ein mühsames Geschäft, nach zwei Stunden auf dem Rathausplatz hat er zwei junge Leute überzeugt: Einen 27-jährigen und dessen Freundin. „Hier ist alles so eingeschlafen“, sagt der Mann, der seit eineinhalb Jahren in Reichenhall arbeitet. „Hier machen die Leute halt alles wie vor 20 oder 30 Jahren. Etwas Neues hat’s schwer.“ Britzl gibt den beiden sofort seine Visitenkarte. „Ihr könnt mich immer anschreiben – ihr landet auch sicher bei mir und nicht bei irgendeinem Wahlkampfteam.“
Wolfgang Britzl ist motiviert, auch wenn ihn manche sofort abfahren lassen. „Ich scheiß dir aufn Tisch, des nenn i Meinungsfreiheit“, hat einer zu ihm gesagt. Manche Reichenhaller waren aber auch positiv überrascht, dass er gar kein Kopftuch trägt und einigermaßen anständig aussieht. Wenn Bürger erzählen, wo es ihrer Meinung nach hakt, zückt er sofort sein Notizbuch und bedankt sich für die Infos. „Ich bin eine Datenkrake, ich nehme alles auf, was man mir sagt.“
Der Jung-Politiker weiß, dass es einigen Unmut gab, als die Stadt einen Bürgerentscheid zum Bau eines neuen Schwimmbades ausgesessen hat und sich mithilfe juristischer Spitzfindigkeit über das Votum der Bürger hinweggesetzt hat – da hofft er auf Wählerpotential. Hans Söllner, das vielleicht einzige enfant terrible der Stadt, unterstützt auch deswegen den Provinz-Piraten.
Ein Pumpspeicherkraftwerk, ein Tunnel zur Verkehrsentlastung, Britzl kennt die Themen der Stadt – klare Meinungen dazu gibt es noch nicht. Im Netz sollen die Bürger unter dem Motto „Aufbruch Reichenhall“ ihre Vorschläge unterbreiten. „Ich setz’ mir keine Krone“, sagt Britzl typisch piratisch. Er sagt auch gleich, dass man das Foto, das von ihm auf der Homepage ist, lieber nicht verwenden soll. Da habe der Fotograf übereifrig die Augenringe wegretouchiert. Wenn das keine Transparenz ist.
Früher war Britzl passives Mitglied der Grünen. Und – das gibt er gerne zu – er war ein typischer Nerd. Seine Freundin Nina, Jurastudentin und ebenfalls Piratin, hat er im Internet kennen gelernt, bei einem Online-Rollenspiel. Lange Zeit haben die beiden auch als Paar am liebsten online gezockt. „Wer denkt, dass sei stumpfsinnig, der hat keine Ahnung. Man ist im Netz kreativ. Und jetzt gehen viele Piraten endlich nach draußen.“ So wie er. Er will was, auch wenn er noch nicht so genau weiß, was das ist.
Wenige Meter entfernt, mit Blick auf den Rathausplatz, sitzt Herbert Lackner, Trachtenjanker statt Holzfällerhemd. Er weiß, was er will und zwar, dass im Rathaus alles so bleibt, wie es ist, mit ihm als OB. Seit 2006 ist Lackner für die CSU im Amt, er löste nach dem Eishallen-Unglück den langjährigen OB der Freien Wähler ab.
Vier Gegenkandidaten gibt es, vor Piraterie hat Lackner keine Angst. „I bin in Reichenhall dauerpräsent, mi konn jeder oredn. Des zählt mehr als Internet.“ Der Lackner Herbert zeigt sich bei den Trachtlern, den Feuerwehrlern, den Bundeswehrlern, den Ringern. „Der OB muass oana von uns sei“, sagt Lackner über Lackner. Punkt.
Doch diese zwingende Logik will Britzl wenigstens ein bissl erschüttern. Die oberbayerische Bezirksvorsitzende hat ihn bestärkt: Eigentlich sei der Bayer an sich ein perfekter Piratenanhänger. Mia san mia, I bin i, i bin frei und i lass mir nix gfoin. „Diesen bayerischen Geist, den müssen wir für uns nutzen“, sagt Britzl.
"Wir müssen den bayerischen Geist nutzen", sagt Britzl
Er sitzt in der Reichenhaller „Parteizentrale“, die es eigentlich gar nicht gibt. Wenn sich die Vollversammlung, also alle elf treffen, gehen sie in die Poststubn. Arbeits-Runden finden auch bei Martin Schön zu Hause statt. Der Oberpirat der Stadt ist mit 59 Jahren im besten Reichenhaller Alter, studierter Pädagoge, und befasst sich seit Jahren mit E-Learning. „Mein Thema ist der freie Zugang zu Bildung, deswegen bin ich Pirat“, sagt er.
Jetzt ist er aber irgendwie auch Wahlkampfstratege, Schatzmeister, Sprecher. Die Vereine wollen sie anschreiben und Plakate entwerfen. „Das Glück liegt in den Schuhen“, sagt Schön und will damit sagen, dass nur der, der sich auf den Weg macht, auch Erfolg haben kann. Ein Erfolg ist hier allerdings schon die Kandidatur selbst.
Gleich neben dem Rathaus ist das größte Wirtshaus, das Bürgerbräu. Beim Altherren-Stammtisch ist Britzl kein völlig Unbekannter. „Jaja, der hod mi ogredt, so a himmellanger Hund, i glab a Preiß“, sagt einer. „I hob eam gsogt, mir ham scho ausgredt, er soi si schleicha.“ Diese Piraten seien höchstens was für die ganz Jungen. „Aber für an normalen Menschen...“
Die meisten hier sind für den Lackner. „Der hod sie scho eiglaffa.“ Aber einer der Stammtischbrüder, der heute nicht da ist, hat Interesse an den Piraten bekundet. Der Spott blieb freilich nicht aus, man empfahl ihm gleich eine Augenklappe und ein Tuch für seinen platterten Kopf.
Direkte Demokratie ist allerdings durchaus gefragt. Einer ist begeisterter Langläufer und er will Unterschriften sammeln, damit die Nachbargemeinde Inzell ihre Loipe entlang einer anderen Route führt. Jetzt ersinnt der Stammtisch eine Änderung. „Los, stell dich mit deiner Loipen-Liste raus aufn Rathausplatz, dann werst aa no OB!“ Wenn das nicht der bayerische Geist ist, dann ist das wohl der Reichenhaller Geist.
Ein Interview mit Hans Söllner finden Sie in der Wochenendausgabe der Abendzeitung.
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