Obamas «gefährliche» Kehrtwende
Erst kneift Obama bei den Folter-Fotos, dann ordnet er die Wiederaufnahme der Militärtribunale an. US-Kommentatoren sprechen von einer «Verbeugung vor Bushs Anti-Terrorerbe», andere von einer «alarmierenden Entwicklung».
Die Entscheidung von US-Präsident Barack Obama zur Wiedereinsetzung von Militärtribunalen gegen Terrorverdächtige stößt auf scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Kommentatoren sprachen von einer klaren Kehrtwende der Regierung. Allerdings blieb der Aufschrei der Empörung im Lager der Demokraten aus. US-Medien berichteten am Samstag, die Entscheidung sei innerhalb der Regierung stark umstritten gewesen.
Obama habe sich mit der Entscheidung auf die Seite der Militärs gestellt, berichtete die «Washington Post». Die Militärs befürchteten erhebliche juristische Probleme, falls die Terrorverdächtigen vor normale Gerichte gestellt würden; einige Prozesse könnten dann mit Freisprüchen enden. Dagegen hätten Experten aus dem Justizministerium geltend gemacht, Bundesgerichte oder normale Militärgerichte seien durchaus in der Lage, die Aufgabe zu bewältigen.
Obama könnte seine Anhänger verprellen
Obama hatte am Freitag entschieden, die von seinem Vorgänger George W. Bush eingerichteten Sondergerichte in Guantánamo auf Kuba wieder in Kraft setzen. Allerdings versprach er Reformen, um die Rechte der Angeklagten zu stärken. So sollen Aussagen, die unter Folter oder in demütigenden Verhören erzwungen wurden, nicht mehr zugelassen werden. Beweise, die auf Hörensagen beruhen, sollten nur noch sehr beschränkt berücksichtigt werden. «Eine weitere Verbeugung vor Bushs Antiterror-Erbe», kommentierte die Zeitung «Wall Street Journal» mit Blick auf Obama-Vorgänger George W. Bush, der die weltweit kritisierten Tribunale als Reaktion auf die Terrorangriffe vom 11. September 2001 einsetzte. Kommentatoren verwiesen auf eine ähnliche Kehrtwende wie die vor einigen Tagen, als Obama seinen Widerstand gegen die geplante Veröffentlichung von Fotos misshandelter Gefangener im Irak und in Afghanistan ankündigte. Obama gehe damit das Risiko ein, Anhänger im eigenen Lager zu verprellen, hieß es.
Wir sind tief enttäuscht
«Der Präsident rudert auf gefährliche Weise bei seinem Reformprogramm zurück», kritisierte Kenneth Roth, Exekutivdirektor der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch (HRE). «Wir sind tief enttäuscht», sagte auch HRE-Mitarbeiterin Stacy Sullivan. «Wir fordern seit langer Zeit immer wieder, dass Terrorverdächtige vor Bundesgerichten angeklagt werden.» Zugleich befürchtet sie, dass sich die Prozesse lange dahinziehen könnten und Obama sein Versprechen, das Lager Guantánamo spätestens ein Jahr nach seinem Amtsantritt zu schließen, nicht mehr einhalten könne. Nach Ansicht des Vorsitzenden der größten US-Bürgerrechtsgruppe ACLU, Anthony Romero, beruhen die Tribunale auf verfassungswidrigen Grundlagen und zielen darauf ab, «Schuldsprüche sicherzustellen, keine fairen Prozesse». Romero kündigte massiven Widerstand an. Es handle sich um eine «alarmierende Entwicklung», erklärte auch das Zentrum für Verfassungsrechte in Washington, das sich seit Jahren um eine bessere Rechtsstellung der Gefangenen im US-Lager Guantanamo auf Kuba bemüht. Obama habe vor seiner Wahl die Hoffnung geweckt, mit den «gefährlichen Experimenten» seines Amtsvorgängers George W. Bush zu brechen. (dpa/nz)