Obama, der Zauberer?

MÜNCHEN - Selbst Fachleute trauen dem Kandidaten fast Wunderdinge zu. Vor allem könnte der erste schwarze Präsident beweisen, dass die USA viel weiter sind, als Bush die Welt glauben macht
"Begabt!“, „Sensibel!“, „So ein kluger Kerl!“ – wer nüchterne Experten schwärmen hören will, der muss sie zu Barack Obama befragen. Noch acht Tage, dann werden die USA ihren ersten schwarzen Präsidenten haben – wenn sich nicht alle Demoskopen irren. Und die Aussicht lässt Fans und Fachleute alle Zurückhaltung aufgeben: „Wenn er gewinnt, dann ist es ein dramatisches Zeichen.“ Amerika und die Welt stehen vor einer neuen Epoche.
Das sagt Gary Smith, Leiter der American Academy in Berlin: „Obamas Wahl wäre der große Durchbruch nicht nur für die Schwarzen in Amerika, sondern für Amerikas Bild der Welt“, so Smith, dessen Organisation den kulturellen und politischen Austausch über den Atlantik fördern soll. Acht harte Bush-Jahre liegen hinter uns, acht Jahre, in denen sich das Bild der Supermacht dramatisch eingetrübt hat, in denen das Verhältnis zwischen den USA und dem Rest der Welt so schlecht wurde wie nie. „Und jetzt“, sagt Smith, einer der gründlichsten Kenner der politischen Szene, „jetzt wird deutlich, wie sehr sich das wahre Amerika von den Zerrbildern der letzten acht Jahre unterscheidet.“ Ein Land mit der Fähigkeit zum Wandel.
Smith ist nicht allein mit seiner Einschätzung. Auch Bernd Ostendorf, emeritierter Professor für Amerikanistik an der LMU in München, spricht von einem „Meilenstein“. 1957 war er zu ersten Mal in den USA. „Wer mir damals gesagt hätte, dass wir 50 Jahre später einen schwarzen US-Präsidenten bekommen würden, den hätte ich für verrückt erklärt“, meint Ostendorf.
Ist der Rassismus verschwunden?
Was ist passiert? Ist der Rassismus verschwunden, mit dem die USA ständig in Verbindung gebracht werden? Schließlich wurde die Sklaverei erst 1865 abgeschafft.
„Verschwunden ist er nicht“, sagt Ostendorf, der sich mit dem Thema lange Jahre an der LMU befasste. „Aber seit den achtziger Jahren hat sich das Land verändert. Multikulti wurde erfunden“ sagt er. Mexikaner, Asiaten, Indianer sind selbstbewusstere Teile der Bevölkerung. „Der ausschließliche Gegensatz Schwarz gegen Weiß ist aufgehoben“, sagt Ostendorf. „Heute sind Oprah Winfrey und Tiger Woods die größten Stars – und eben Obama.“
„Seit neun Monaten beantworte ich Fragen, ob die Amerikaner einen Schwarzen wählen“, sagt Gary Smith, der behauptet: „Rasse oder ethnische Herkunft spielen in den USA eine weit geringere Rolle, als viele in Europa meinen.“ Es gebe zahlreiche schwarze Bürgermeister, Abgeordnete, auch im Süden: „Und die wären nicht im Amt, wenn sie nicht von Weißen gewählt würden.“ Ein Mann dunkler Hautfarbe war höchster Militär (Colin Powell), eine Schwarze ist die höchste Diplomatin (Condoleezza Rice). Die Durchlässigkeit der Gesellschaft ist größer geworden. Smith wird ein wenig maliziös: „Ich würde gerne das Land in Europa oder anderswo sehen, dass das von sich sagen kann.“ Smith weiter: „Wir haben nicht nur Erfolge, aber die USA haben sich der Rassenfrage früher gestellt als andere.“
Werden die USA wieder Vorbild für die Welt?
Werden also die USA wieder Vorreiter, gar ein Vorbild für die Welt? „Im besten Fall,“ meint Smith, „wird Obamas Sieg ein Umdenken auslösen, Es wird die afrikanischen Länder elektrisieren.“ Aber auch in den moslemischen und arabischen Staaten wird das Bild einer Macht, die ihre Interessen rücksichtslos durchsetzt, auf den Prüfstand kommen. Manche Experten glauben, dass der weltweite Anti-Amerikanismus mit einem Schlag um die Hälfte abnimmt, wenn Obama gewinnt.
Obama, der Zauberer? „Es wird mit Sicherheit Enttäuschungen geben“, sagt Ostendorf, und Smith meint: „In der gegenwärtigen Lage gibt es Probleme, für die es keine gute Lösung gibt.“ Die Finanzkrise kann auch Obama nicht lösen, und die Machtverhältnisse in der Welt ändern sich.
Kann es sein, dass der nächste Präsident der letzte der USA als Supermacht ist? „Der nächste Präsident wird wissen, dass militärische oder wirtschaftliche Macht wenig nützt, wenn sie nicht partnerschaftlich genutzt wird“, sagt Gary Smith. „Nach der Finanzkrise wird die Bezahlbarkeit der amerikanischen Kriege aufhören“, meint Ostendorf: „Die USA werden Frieden mit der Welt machen müssen.“ Obama traue er das zu. Jetzt muss er nur noch gewählt werden.
Matthias Maus