"Null vorbereitet": Politikprofessor Carlo Masala stellt der Bundesregierung ein vernichtendes Urteil aus

"Relativ blank, nicht kaltstartfähig": Experte Carlo Masala stellt der deutschen Verteidigungspolitik ein miserables Zeugnis aus. Deutschland sei in einem nicht verteidigungsfähigen Zustand.
von  Ralf Müller
Die Bundesrepublik mit 180 000 Soldatinnen und Soldaten verteidigen zu wollen, sei völlig illusorisch, sagt Masala.
Die Bundesrepublik mit 180 000 Soldatinnen und Soldaten verteidigen zu wollen, sei völlig illusorisch, sagt Masala. © Guido Kirchner/dpa

München - Der Politikprofessor Carlo Masala kommt zu einem geradezu vernichtenden Urteil über die Verteidigungspolitik der Bundesregierung. Die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ausgerufene Zeitwende sei nicht ins Stocken geraten, sondern habe nie angefangen, sagte der an der Bundeswehr-Hochschule lehrende Militärexperte auf einer Veranstaltung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) in München.

Carlo Masala.
Carlo Masala. © Marijan Murat/dpa

Wenige Monate nach der Ankündigung von Scholz sei die deutsche Verteidigungspolitik wieder vom Krisenmodus in den Friedenszeiten-Modus zurückgefallen "und da ist sie bis heute", sagte Masala. Seit Längerem werde in Berlin wieder Politik gemacht, als ob es den Ukraine-Krieg nie gegeben hätte. Der als "Lichtgestalt" gefeierte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) habe an Bedeutung und Rückhalt verloren. Die von Pistorius geforderten zusätzlichen zehn Milliarden Euro für die Bundeswehr seien weitgehend für die Tariferhöhungen bei Soldaten und Zivilbeschäftigten draufgegangen. Im kommenden Jahr werde die Bundesregierung wahrscheinlich erstmals das Ziel erreichen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Das werde aber nur durch "Taschenspielertricks" gelingen. Solcher Tricks bedienten sich auch andere Staaten wie Frankreich, wo die Kosten für die Pariser Feuerwehr in den Verteidigungsetat hineingerechnet würden.

Die Bundeswehr kann ihre Verpflichtungen in der Nato nicht erfüllen

Scharf kritisierte Masala die Beschaffungspolitik des Verteidigungsministeriums, die nach wie vor langsam und schwerfällig und nach wie vor "auf Friedenszeiten angelegt" sei. Die bisherigen Reformen seien nicht ausreichend, um die Beschaffungsprogramme zu beschleunigen. Die Bundesrepublik mit 180 000 Männern und Frauen verteidigen zu wollen, sei "völlig illusorisch", sagte Masala. In Berlin würden zudem die Folgekosten nicht erkannt, die bei den 100-Milliarden-Euro-Investitionen des "Sondervermögens" unweigerlich entstünden. Die Bundeswehr sei überdies "nicht kaltstartfähig" und habe Probleme, ihre Verpflichtungen innerhalb der Nato zu erfüllen. Die Verlegung einer Brigade nach Litauen bringe sie schon an den Rand ihrer Fähigkeiten. In Sachen Luftverteidigung sei Europa überdies "relativ blank". Auf einen russischen Angriffskrieg sei man in Deutschland insgesamt "null vorbereitet".

Carlo Masala: Keine Verhandlungsbereitschaft bei Wladimir Putin

Masala glaubt derzeit nicht auch nur an den Hauch einer Verhandlungsbereitschaft bei Kreml-Herrscher Wladimir Putin. Der russische Präsident gehe davon aus, dass er gewinne, und spiele auf Zeit, zumal die westliche Ukraine-Hilfe "langsam am Versiegen" sei. Nach einer russischen Erholungs- und Aufrüstungspause, die Masala auf sechs bis acht Jahren schätzt, werde sich Putin nach einem Erfolg in der Ukraine den baltischen Staaten zuwenden, da ist sich der Militärexperte relativ sicher. "Und dann", so Masala, "denken wir nicht mehr über Zwei-Prozent-Ziel und Sondervermögen nach." Befördert werden könnte die krisenhafte Zuspitzung durch einen Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen im November 2024. Aber auch bei einem Erfolg der republikanischen Bewerberin Nikki Haley seien ein Nachlassen der Ukraine Unterstützung sowie Differenzen in der Nato zu erwarten, der bis zum Bruch führen könne.

Vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt kritisierte ebenfalls das Beschaffungswesen der Bundeswehr, dessen Beharrungskräfte "enorm" seien. Bei den bayerischen Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sei die Zeitenwende "noch nicht in ausreichendem Umfang angekommen". Leider setze die Bundesregierung stark auf "Government-to-Government-Geschäfte", was bedeute, dass sie verstärkt bei ausländischen Anbietern einkaufe. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro stehe wegen Inflation und Zinsen gar nicht mehr in vollem Umfang zur Verfügung, bedauerte Brossardt. Zudem gebe es Überlegungen, Ausgaben, die eigentlich aus dem Kernhaushalt zu bestreiten seien, in das Sondervermögen zu verlagern.

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