NSU-Prozess verschoben: Die Reaktionen

Das Münchner Oberlandesgericht zieht nach wochenlangen Querelen um die Medienplätze die Notbremse: Der Prozess wird verschoben. Dafür gibt es Zustimmung - aber auch scharfe Kritik: „Das ist eine mittlere Katastrophe".
von  dpa
Margarete Nötzel, Pressesprecherin am Oberlandesgericht München, gibt am 15.04.2013 in München bekannt, dass der Beginn des NSU-Prozesses vom 17. April auf den 6. Mai verschoben wird.
Margarete Nötzel, Pressesprecherin am Oberlandesgericht München, gibt am 15.04.2013 in München bekannt, dass der Beginn des NSU-Prozesses vom 17. April auf den 6. Mai verschoben wird. © dpa

Das Münchner Oberlandesgericht zieht nach wochenlangen Querelen um die Medienplätze die Notbremse: Der Prozess wird verschoben, das Akkreditierungsverfahren beginnt von vorn. Dafür gibt es Zustimmung - aber auch erneut Kritik.

München – Nach dem erbitterten Streit über die Beteiligung von Medien und Öffentlichkeit hat das Oberlandesgericht (OLG) München den Start des NSU-Prozesses kurzfristig um knapp drei Wochen verschoben. Statt an diesem Mittwoch beginnt das Verfahren um die Morde der rechtsextremen Terrorzelle NSU nun erst am 6. Mai.

Die Journalistenplätze im Gerichtssaal müssten neu vergeben werden, teilte das Gericht am Montagmittag überraschend mit. „Dies ist bis zum geplanten Hauptverhandlungsbeginn am 17. April 2013 zeitlich und organisatorisch nicht mehr möglich“, heißt es in dem OLG-Beschluss.

Die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe muss sich in München wegen Mordes verantworten, zudem sind vier mutmaßliche Helfer angeklagt. Das Bundesverfassungsgericht hatte am Freitag angeordnet, dass im Gerichtssaal Plätze für Journalisten türkischer und griechischer Medien reserviert werden müssen. Diese waren bei der Vergabe der 50 festen Plätze zunächst nicht berücksichtigt worden. Acht von zehn Mordopfern der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) stammten aus der Türkei. Ein weiteres Opfer war griechischer Herkunft.

Die türkische Tageszeitung „Sabah“ hatte in Karlsruhe gegen die Platzvergabe geklagt. Wie das Gericht die Plätze nun konkret vergeben will, war am Montag noch unklar. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, nach welchen Kriterien der Senat das neue Akkreditierungsverfahren machen wird“, sagte Gerichtssprecherin Margarete Nötzel. „Ich habe noch keine Informationen, wie das ablaufen wird.“ Die Entscheidung des Gerichts stieß auf geteilte Reaktionen. „Das ist eine souveräne Entscheidung der Justiz. Ich habe volles Vertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit, dass hier richtig entschieden wird“, sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP).

„Das ist die richtige Konsequenz aus der viel diskutierten Pannenserie der letzten Wochen“, so der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Michael Konken. Ähnlich äußerte sich die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte der Zeitung „Die Welt“, er könne die Entscheidung nachvollziehen. „Das Gericht hat viele Fehler gemacht, die nun zu diesem Schritt geführt haben.“

Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer und deren Angehörige, Barbara John, reagierte hingegen mit scharfer Kritik. „Das ist eine mittlere Katastrophe“, sagte John der „Berliner Zeitung“ (Dienstag). Viele Angehörige hätten sich emotional auf den Prozessbeginn eingestellt, Fahrkarten gekauft und teils Urlaub genommen. Viele Nebenkläger könnten nun am neuen Termin nicht mehr teilnehmen. „Auf diesen Kosten dürfen sie nicht sitzenbleiben. Die muss das Oberlandesgericht München übernehmen“, sagte John der „Welt“ (Dienstag).

Auch Anwälte von Angehörigen kritisierten die OLG-Entscheidung. „Es ist mehr als ärgerlich, dass der Prozessauftakt verschoben wird“, teilten die Nebenklagevertreter Stephan Lucas und Jens Rabe – sie vertreten Kinder des ersten Mordopfers Enver Simsek. „Es bleibt zu hoffen, dass es dem Gericht fortan gelingt, das Verfahren so zu moderieren und zu organisieren, dass es den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht wird.“

Auch die Kläger gegen das Gericht sind nicht rundum glücklich mit der Münchner Entscheidung. „Das OLG hat sich für eine komplette Neudurchführung entschieden. Das ist zwar bedauerlich, aber wir müssen die Entscheidung respektieren und hoffen, dieses Mal von Anfang an dabei zu sein“, sagte der stellvertretende Chefredakteur der „Sabah“, Ismail Erel, der dpa. Anwalt Ralf Höcker sprach von der zweitbesten Lösung. „Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wäre es nicht unbedingt notwendig gewesen, das Akkreditierungsverfahren zu wiederholen.“

Wie die Platzvergabe konkret geschehen soll, hatten die Verfassungsrichter offen gelassen und nur angeordnet, „eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben“. Dies sei – so der Karlsruher Beschluss – beispielsweise mit einem Zusatzkontingent von mindestens drei Presseplätzen möglich. „Die Schaffung eines zusätzlichen Platzkontingents wäre ohne einen nicht ganz unbeträchtlichen organisatorischen Aufwand nicht möglich gewesen“, sagte OLG-Sprecherin Nötzel. Auch dabei hätten alle die selben Chancen haben müssen.

Die Verteidigung der Hauptangeklagten Zschäpe bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als folgerichtig. „Nachdem unter anderem wegen technischer Fehler einige Medien später von der Akkreditierungsfrist erfahren hatten, stand das gesamte Verfahren infrage“, sagte Anwalt Wolfgang Stahl der dpa. „Hätte das Gericht anders entschieden, hätten wir in der Hauptverhandlung beantragt, das Verfahren auszusetzen und ein neues Akkreditierungsverfahren durchzuführen.“ Die Verschiebung bedeute allerdings auch „eine Verzögerung zu Lasten unserer Mandantin“.

 

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