NSU-Prozess: Der Richter macht Tempo
Beate Zschäpe ist schon lange nicht mehr im Gericht – zumindest gedanklich scheint sich die Neonazi-Terroristin verabschiedet zu haben.
MÜNCHEN - Sie starrt auf den Boden, an die Decke, auf den Laptop, manchmal zu den Zuschauern und Journalisten. Nie zu den Familien der Opfer, denen sie und ihre Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos so viel Leid zugefügt haben. Die 38-jährige Zschäpe scheint mehr Wert darauf zu legen, dass der stramme Pferdeschwanz sitzt und die Bluse einen frühlingshaft-violetten Akzent setzt. Und sie schweigt.
Ganz anders wirkt da Carsten S.: Dunkle Haare, schmal geschnittenes Gesicht, das er vor den Fotografen unter einer Kapuze versteckt. Der 33-Jährige verfolgt den zähen vierten Verhandlungstag in erstarrten Posen.
Wer seine Geschichte kennt, glaubt Verzweiflung in seinen Augen lesen zu können: Der Neonazi-Aussteiger soll dem NSU die Waffe besorgt haben, mit der sie ihre rassistisch motivierten Morde begangen haben. Damals war er 20 Jahre alt und NDP-Funktionär. Dann stieg er aus.
Bis zu seiner Festnahme am 1. Februar 2012 lebte er mit seinem Freund zusammen und arbeitete als Sozialpädagoge in der Aids-Hilfe. Er ist heute im Zeugenschutzprogramm und geständig. Das erklärt er mit belegter Stimme.
Über zwei Stunden dauert die Mittagspause, da der Senat in dieser Zeit berät, ob das Nagelbomben-Attentat in der Kölner Keupstraße ausgegliedert wird. Nach der Mittagspause heißt es zur Erleichterung vieler Nebenklagevertreter, dass es weiterhin Teil des Verfahrens sein wird: „Der Senat beabsichtigt derzeit nicht, eine Abtrennung des Komplexes Keupstraße vorzunehmen“, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl.
Bei dem Anschlag waren am 9. Juni 2004 insgesamt 22 Menschen zum Teil schwer verletzt worden. Kurz vor 16 Uhr explodierte eine mit fünf Kilogramm Schwarzpulver und zehn Zentimeter langen Nägeln gefüllte Gasflasche vor einem Friseurladen. „Etwa 250 Meter links und rechts der sogenannten Todeszone waren alle Menschen, die dort leben oder sich aufhielten, potenziell gefährdet“, sagt Nebenklageanwalt Khubaib-Ali Mohammed.
Er regt vor Gericht an, noch mehr Menschen aus der Keupstraße mit in das Verfahren einzubeziehen. Da platzt einigen Nebenklagevertretern die Hutschnur. Für ihre Mandanten, die Väter, Söhne, Ehemänner, Brüder verloren haben, ist der schleppende Fortgang des Verfahrens eine Zumutung.
Deshalb drückt Götzl aufs Tempo. Verteidigung und Nebenkläger haben diverse Anträge gestellt, unter anderem auf Einsicht in die Akten des NSU-Bundestags-Ausschusses. Das Gericht lehnt die Anträge nacheinander ab. Die Angeklagten Holger G. und Carsten S. kündigen an, im Prozess reden zu wollen. Damit endet der Verhandlungstag. Am 4. Juni geht es weiter. Dann kann endlich über die Vorwürfe der Anklage gesprochen werden.
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