NSU-Prozess: Das Rätsel um den Schalldämpfer
Es scheint fast so etwas wie Ferienstimmung in der Luft zu liegen an diesem 379. Verhandlungstag im NSU-Prozess, dem fünften Tag des Anklage-Plädoyers und letzten Sitzungstag vor der Sommerpause des Gerichts.
Beate Zschäpe trägt ein rot-orangenes Sommeroberteil, ein ungewohnt luftiges Outfit. Rechtsanwalt Wolfgang Stahl erscheint in weißer Hose unter seriösem Jackett.
Und auch die Ehefrau des mutmaßlichen Waffenbeschaffers, Ralf Wohlleben, da: Sie betritt den Saal, nachdem die Fotografen ihn verlassen mussten, schlängelt sich an den Plätzen der Verteidiger vorbei, streichelt ihrem Mann über die Schulter, küsst ihn zur Begrüßung auf den Mund.
Wohlleben steht im Fokus dieses Verhandlungstages. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft hat er zusammen mit Carsten S. bewusst eine Pistole mit Schalldämpfer beschafft - für die Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Mit dieser Waffe wurden ab September 2000 neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft in ganz Deutschland ermordet.
Die Aussagen von Wohlleben und Carsten S., der Schalldämpfer sei nicht bestellt gewesen und nur zufällig mitgeliefert worden, sei angesichts der Angaben eines weiteren Zeugen widerlegt.
Wie geht der Prozess nun weiter, welche Bilanz kann man vor der Sommerpause ziehen? Einige Fragen und Antworten:
Warum geht der Prozess mitten im Plädoyer der Bundesanwaltschaft in die Pause? Die Prozesstage werden vom Gericht schon viele Monate im Voraus festgelegt - inklusive der vierwöchigen Verhandlungspause. Kurzfristig sind an dem Plan keine Änderungen möglich.
Ab 12. September wird wieder dreimal in der Woche verhandelt
Wie geht es nach den Gerichtsferien mit dem Plädoyer weiter? Die nächsten Verhandlungstage sind der 31. August und der 1. September. Diese beiden Tage sind nötig, um die Maximallänge einer Prozessunterbrechung nicht zu überschreiten. Anschließend ist wieder eine kurze Pause, bevor es am 12. September weitergeht, dann wieder an drei Tagen pro Woche.
Wann kommt die Strafmaß-Forderung der Bundesanwaltschaft? Erst ganz am Ende des Plädoyers. Zunächst will sich die Anklage noch den zwei verbleibenden Mitangeklagten André E. und Holger G. widmen, dann den Raubüberfällen des NSU. Danach will Bundesanwalt Herbert Diemer das Plädoyer mit den Strafmaß-Forderungen zu Ende bringen.
Das Urteil könnte im Dezember oder Januar fallen
Und was kommt danach? Nach der Bundesanwaltschaft ist die Nebenklage an der Reihe: die 95 Opfer oder Hinterbliebenen der Opfer der NSU-Morde und -Anschläge, die von 60 Anwälten vertreten werden. Ein Großteil der Anwälte will auch tatsächlich sprechen. Schätzungen zufolge könnte dies mehrere Wochen dauern. Anschließend sind die Verteidiger der fünf Angeklagten dran - auch das dürfte mehrere Wochen in Anspruch nehmen.
Wann könnte ein Urteil fallen? Schwer zu sagen. Die Erfahrung nach mehr als vier Jahren NSU-Prozess lehrt, dass jegliche Prognosen schwierig und immer mit größter Vorsicht zu genießen sind. Dennoch: Sollte der Zeitplan zu halten sein und es keine unplanmäßigen Unterbrechungen geben, könnte im Dezember oder Januar das Urteil kommen.
Wie fällt das Zwischenfazit des bisherigen Plädoyers aus? Bundesanwalt Herbert Diemer hat schon zu Beginn betont, die Vorwürfe gegen alle fünf Angeklagten hätten sich in allen wesentlichen Punkten bestätigt. Insbesondere die gegen Beate Zschäpe: Die 42-Jährige sei Mittäterin an allen Morden und Anschlägen. Sie habe diese gewollt, unterstützt und anschließend dokumentiert. Sollte das Gericht dieser Argumentation folgen, droht ihr lebenslange Haft.
Und was ist mit den anderen vier Angeklagten? Auch die Vorwürfe gegen die mutmaßlichen Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben und Carsten S. sieht die Anklage "in vollem Umfang bestätigt". Die Angeklagten André E. und Holger G. sind erst nach den Gerichtsferien dran.