Nordkorea: Bluff oder Wahn?
PJÖNGJANG Was plant der junge Diktator? Jeden Tag folgt eine neue Provokation. Gestern verkündete Kim Chongun dass der Atomreaktor Yongbyon wieder hochgefahren wird – ein Bruch internationaler Vereinbarungen. In der Anlage hatte Nordkorea waffentaugliches Plutonium produziert. Die entscheidende Frage ist, ob Kim Chongun mit seinem Säbelrasseln nur blufft – gewagter als je zuvor – oder ob er ernsthaft einen Waffengang erwägt. Dazu stellt sich auch die Frage, wie viel er von der Realität mitbekommt: ob er tatsächlich glaubt, ihn gewinnen zu können.
Die Regierung in Pjöngjang kündigte an, sämtliche Anlagen in Yongbyon sollten „angepasst und neugestartet“ werden. Die Atomstreitmacht solle in „Quantität und Qualität“ verstärkt werden, zudem die akute Stromknappheit behoben werden. Im Rahmen des Abkommens mit der Sechser-Gruppe von 2007 war die Stilllegung vereinbart worden, Teile der Anlage wurden damals unter internationaler Aufsicht stillgelegt.
Gleichzeitig veröffentlichte das Regime eine Rede des Diktators, in der er die KP auf Atomwaffen einschwört. Sie seien der Garant für die Souveränität eines Landes und Grundlage für Wohlstand. Das könnte auch finanzielle Hintergründe haben: Die riesige konventionelle Armee wird dem bitterarmen Land allmählich zu teuer, da könnten Atomwaffen für weniger Geld ein größeres Schreckens-Szenario darstellen. Aus diesem Grund vermutet auch der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz, dass sich Nordkorea kaum noch vom Weg zur Nuklearmacht abhalten lassen wird.
Die Ankündigung, Yongbyon wieder hochzufahren, ist nur ein weiteres Kapitel im Säbelrasseln. Über Ostern hatte Kim den Kriegszustand ausgerufen und von der „finalen Schlacht“ gesprochen. Die USA nehmen die Drohungen sicherheitshalber ernst: Sie verlegten den Zerstörer „USS McCain“ vor Korea und beließen die „USS Fitzgerald“ nach dem Ende des Frühlingsmanövers dort. Beide können Raketen abfangen. Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye sprach von einem möglichen präventiven Erstschlag ihres Militärs und kündigte für den Fall, dass es „irgendeine Provokation“ gibt, eine „starke Vergeltung ohne Rücksicht auf jede politische Abwägung“ an.
Weiß Kim, dass ein Krieg das Ende seines Regimes wäre?
Die USA versuchten auch, die Stimmung etwas zu beruhigen. Es gebe keinerlei Hinweise, dass Nordkorea Truppen mobilisiere. Auch sei die Lage in der Sonderwirtschaftszone Industrieregion Kaesong – wo 53000 nordkoreanische Billigarbeiter unter Aufsicht von 800 südkoreanischen Chefs Produkte fertigen – ganz normal, alle Südkoreaner reisten gestern wie üblich ungehindert ein.
Was Kim Chongun, der 30 Jahre alte Diktator, seit gut einem Jahr im Amt, antreibt, ist jetzt die zentrale Frage. Noch hat kein westlicher Diplomat mit ihm gesprochen, er kann nur schwer eingeschätzt werden. Und die Chinesen – die einzigen, die Zugang haben – wirken zunehmend ratlos bis frustriert. Die übliche Lesart wäre, dass Kim versucht, wie sein Vater und Großvater mit solchen Provokationen internationale Hilfen, Zugeständnisse oder Aufwertungen zu erreichen. Doch bisher blieben solche Signale aus.
Die zweite Variante ist, dass der dickliche junge Mann, der sich gerne auch in Vergnügungsparks ablichten lässt, ohnehin nur ein Strohmann mächtiger Militärs ist. Und die dritte, immer häufiger vorgetragene, dass Kim in der Propaganda des eigenen Regimes gefangen ist: Vielleicht glaubt er wirklich an seine Großmacht. Nordkorea könnte in der Tat technisch in der Lage sein, einen nuklearen Sprengkopf zu zünden – doch das wäre angesichts der militärischen Übermacht der USA das sichere Aus des Regimes. Aber weiß Kim das? Was erzählen ihm seine Hofschranzen, Speichellecker und interessierte Intriganten? Wie ist seine Eigen-Wahrnehmung in einem Land, das seit 65 Jahren vom Führer-Kult um die Kims geprägt ist? Wie gefährlich die Lage werden kann, hängt – auch – an der Psyche des Jung-Diktators.