Norbert Röttgens Atom-Problem
Die Regierung will alle Atommeiler auf den Prüfstand stellen. Möglich ist die Abschaltung älterer Anlagen. Es könnte das Thema des Norbert Röttgen werden. Er hält die Atomenergie für ein Auslaufmodell. Doch bisher ist er nicht als Akw-Sicherheitsfanatiker aufgefallen.
Berlin – Es ist der 29. September 2010, als Norbert Röttgen im Bundestag wieder und wieder von der Opposition gefragt wird, wie er es mit den Nachrüstungen bei den Atomkraftwerken halte. Es gebe keine Abstriche bei der Sicherheit, so lassen sich die Antworten des CDU-Umweltministers zusammenfassen. Die Auflagen für die Betreiber würden sogar noch erhöht, sagt der 45-Jährige. Wie, sagt er nicht. Vorwürfe, über das reformierte Atomgesetz würde das Klagerecht von Bürgern auf Nachrüstungen ausgehöhlt, weist Röttgen zurück.
Doch er stemmte sich nicht dagegen, dass Meiler wie Biblis A und Neckarwestheim 1, die sich nur mit Drosselung und Stillstand in die Laufzeitverlängerung retteten, ohne Nachrüstung weiterlaufen. Eigentlich hätten sie spätestens Anfang 2011 abgeschaltet werden müssen. Greenpeace wirft Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) vor, seit 2007 notwendige Nachrüstungen bei der Anlage in Neckarwestheim verschleppt zu haben.
Dabei hatte Rot-Grün schon mit den Betreibern beim Atomausstieg vor zehn Jahren vereinbart, dass wegen der spätestens binnen 20 Jahren erfolgenden Abschaltung bei den Meilern nur noch das nötigste nachzurüsten sei. Wenn Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nun die Regelungen zur Laufzeitverlängerung aussetzen will, müssten Biblis A und Neckarwestheim eigentlich sofort vom Netz.
In Berlin und den fünf Ländern mit Atomkraftwerken überschlugen sich am Montag die Entwicklungen, auch weil die wichtige Landtagswahl am 27. März in Baden-Württemberg vor der Tür steht. Röttgen muss jetzt rasch darlegen, was konkret bei den Meilern nachgerüstet werden soll und ob die Kühlsysteme sowie die Notstromversorgung sicher genug sind.
Ursprünglich veranschlagte sein Ministerium 50 Milliarden Euro für die Nachrüstkosten bei einer Laufzeitverlängerung. Durch den Atom-Vertrag wurden die Kosten dann aber auf 500 Millionen Euro pro Akw gedeckelt (insgesamt 8,5 Milliarden Euro). Wird es teurer, dürfen die Konzerne die Summe von ihren Zahlungen in den Fonds zur Förderung der Ökoenergie abziehen. Auch ein Schutz für alle Meiler gegen Abstürze von Passagierflugzeugen, die sogenannte dicke Haube, ist vom Tisch. Die Regierung verbucht dies bisher unter einem vertretbaren Restrisiko. Aber nach Fukushima ist auch Röttgen beunruhigt, da ein solches Szenario auch niemand auf der Rechnung hatte.
Röttgen sagt mit Blick auf das Drama in Fukushima, die Kernenergie sei ein Auslaufmodell. Und je schneller der Ausstieg gelingt, desto besser sei dies. Doch im Herbst war noch alles anders: Union und FDP ermöglichten der Atomkraft in Deutschland eine Zukunft bis etwa 2040, mit einer Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre. Japan habe immer sehr hohe Sicherheitsanforderungen an den Betrieb von Kernkraftwerken gestellt, sagt ein nachdenklicher Röttgen. „Und trotzdem ist das alles passiert.“ Für ihn könnte die Atombrücke in das Ökoenergie-Zeitalter ruhig etwas kürzer ausfallen.
Jetzt muss er erst einmal zeigen, wie die von der Kanzlerin angekündigten Sicherheitschecks aussehen sollen – und dass dies nicht mit den Konzernen ausgekungelt und Augenwischerei betrieben wird. Denn eines ist auch klar: Eine umfassende Nachrüstung würde viele Milliarden kosten und ist nach Meinung von Grünen-Fraktionschef Jürge Trittin eigentlich unbezahlbar. Dann würden die Konzerne abwägen und von sich aus wohl einzelne Meiler vom, Netz nehmen.
Seit Wochen werden die Nachrüstlisten für die 17 deutschen Meiler erstellt, von denen einige wie der Pannenmeiler in Krümmel nach bisherigen Planungen bis zu 50 Jahre laufen sollen. Doch nun ist die Atomindustrie in Erklärungsnot, in den Konzernzentralen jagt eine Krisensitzung die nächste. Die abgeschriebenen Meiler waren bisher Gelddruckmaschinen, bis zu eine Million Euro bringen sie pro Tag. Nach Ansicht von Fachleuten besteht die Gefahr, dass Ausgaben in die Sicherheit auf die lange Bank geschoben werden, weil unklar ist, ob das Laufzeitplus vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird und wie viele Meiler jetzt überhaupt am Netz bleiben dürfen.
Umstritten ist, dass die für die Nachrüstverhandlungen zuständige Abteilung für Reaktorsicherheit im Umweltministerium von Gerald Hennenhöfer geleitet wird, der zuvor beim Akw-Betreiber Eon sein Geld verdiente. „Hennenhöfer ist quasi der Agent der Atomwirtschaft in der Bundesregierung“, findet etwa Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe.
Hennenhöfer, der die Position bis 1998 schon einmal unter der Umweltministerin Bundeskanzlerin Angela Merkel bekleidete, findet solche Beschuldigungen etwas ehrenrührig und betont seine Unabhängigkeit. SPD-Vize Ulrich Kelber kritisiert, dass 2009 ein neues und nicht mehr am Stand der 80er Jahre orientiertes kerntechnisches Regelwerk mit strengeren Sicherheitsstandards vorgelegen habe, dass aber von Röttgen und Hennenhöfer nicht umgesetzt worden sei. Die Atomwirtschaft habe dies angesichts der Kosten torpediert.
Hinzu kommt, dass in Deutschland sechs Atommeiler wie Fukushima Siedewasserreaktoren sind, wo Reaktorbehälter und das Turbinengebäude über der Wasser-Dampf-Kreislauf direkt miteinander verbunden sind, bei Unfällen also leichter Radioaktivität entweichen kann. „Diese müssen sofort vom Netz“, fordert der Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena), Stephan Kohler. Es ist bemerkenswert, dass der Regierungsberater eine Rückkehr zum Atomausstieg empfiehlt.
Röttgen, der als CDU-Landeschef nun auch noch mögliche Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen fürchten muss, und dem SPD-Chef Sigmar Gabriel vorwirft, nur noch mit halber Kraft sein Amt auszuüben, hat selbst einmal gesagt, dass auf Atomkraft wohl verzichtet werden kann, wenn es einen 40-prozentigen Ökostrom-Anteil gibt. Das könnte schon bis 2020 der Fall sein. Schon im ersten Quartal 2010 gab es durch viel Windkraft einen Stromüberschuss, der in etwa so hoch war, wie die Stromproduktion in fünf deutschen Atomkraftwerken in diesem Zeitraum.