Nichts gewusst?

Das US-Spähprogramm sorgt für tiefe Gräben zwischen Berlin und Washington – wobei immer fraglicher wird, ob die deutschen Behörden wirklich so ahnungslos waren
von  tan

Das US-Spähprogramm sorgt für tiefe Gräben zwischen Berlin und Washington – wobei immer fraglicher wird, ob die deutschen Behörden wirklich so ahnungslos waren

BERLIN Die offizielle Empörung in Berlin über das US-Spähprogramm Prism ist immer noch groß – gerade vor den heute beginnenden Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA. Diese Woche macht sich ein Tross deutscher Politiker wegen der Affäre nach Washington auf. Doch gleichzeitig mehren sich die Zweifel, ob die deutsche Regierung wirklich so wenig von den Schnüffeleien gewusst hat.

Einer der Hinweise kommt von Edward Snowden selbst. „Die NSA-Leute stecken mit den Deutschen unter einer Decke“, sagte der 30-Jährige in einem Interview. Es war kurz vor Bekanntwerden des Whistleblowers von zwei seiner Kontaktleuten mit ihm geführt worden und wird jetzt im Spiegel veröffentlicht. Darin schildert er die Foreign-Affairs-Abteilung der NSA, zuständig für die Kooperation mit anderen Ländern. Die Zusammenarbeit sei so organisiert worden, dass andere Länder „ihr politisches Führungspersonal vor dem ,Backlash’ schützen“ können, wenn herauskommen sollte, wie „massiv die Privatsphäre der Menschen missachtet wird“, so Snowden. Nach Spiegel-Recherchen ist die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA viel intensiver als bisher bekannt. So sollen die US-Dienste den Deutschen extra Analyse-Tools und Spezialprogramme geliefert haben.

Österreich jedenfalls wusste von dem Späh-Programm

Aber auch von anderer Seite gibt es Hinweise, dass die Deutschen nicht so ahnungslos waren, wie es die politischen Reaktionen jetzt nahelegen. Der frühere österreichische Verfassungsschutz-Chef Gert René Polli sagte der „FAS“, ihm jedenfalls sei das Programm „Prism“ – wenn auch unter anderem Namen – bekannt gewesen. „Es wäre widersinnig, wenn die Deutschen nichts gewusst hätten.“
Der SPD-Abgeordnete Fritz Rudolf Körper, Mitglied im für die Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium: „Ich bin überrascht, dass manche überrascht sind von den Enthüllungen.“ Ähnlich äußerte sich Josef Froschepoth, Autor des Buchs „Überwachtes Deutschland“, das 2012 erschienen ist. Nach seinen Recherchen gibt es jahrzehntealte, aber nie aufgehobene Verträge, die es den USA erlauben, die deutsche Telekommunikation zu überwachen. Auch der deutsche Datenschutzbeauftragte Peter Schaar sagte am Wochenende, er gehe davon aus, dass in deutsche Behörden „durchaus sehr viele Informationen über die US-Aktivitäten vorliegen“.

Aber wie weiter? 63 Prozent der Deutschen finden, dass durch die Prism-Affäre das Verhältnis zu den USA beschädigt ist, selbst schwarz-gelbe Minister wie Dirk Niebel sprechen dies offen aus. US-Botschafter Phil Murphy räumt ein: „Jetzt ist es an uns, konkrete Schritte zu unternehmen, um Vertrauen wiederherzustellen.“ Heikel wird schon heute der Auftakt der Freihandels-Gespräche. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier fordert, dass die USA zuvor garantieren müssten, dass es keine neuen Ausspäh-Aktionen gibt. Merkel sagte abwägend, es müsse ein Ausgleich gefunden werden zwischen Sicherheit und Datenschutz.

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