"Nicht den Radikalen überlassen": Was tun gegen die Dominanz der AfD in Sozialen Medien?

Die Bundesregierung auf Tiktok? Regierungsarbeit mal eben in einem humorvollen Kurzclip erklären? Kann man sich kaum vorstellen, gerade bei einem oft recht emotionslos wirkenden Bundeskanzler Olaf Scholz, der den Spitznamen "Scholzomat" nicht von ungefähr verliehen bekam, der gerne technisch spricht und allenfalls mal verschmitzt lächelt. Und doch hat der SPD-Politiker genau das in Aussicht gestellt. Bei einem Bürgerdialog in Dresden sagte er jüngst: "Auch die Bundesregierung diskutiert das und ich halte das auch für richtig."
Diese Diskussion kommt nicht von ungefähr. Sie wird befeuert von dem Erfolg, den vor allem eine Partei auf Sozialen Medien hat: die AfD. Laut einer Untersuchung des Politikberaters Johannes Hillje wurde jedes Video der AfD-Bundestagsfraktion aus den Jahren 2022 und 2023 im Schnitt fast 450.000 Mal aufgerufen. Auf Platz zwei lag die Fraktion von CDU und CSU mit knapp 90.000 Aufrufen. Auf Youtube ist das Bild ähnlich. Hillje schreibt gar von einer "digitalen Dominanz der AfD".
Na und? Könnte man fragen. Spielt sich nicht immer der Hauptteil der politischen Auseinandersetzung im Analogen ab, also der traditionellen Welt da draußen? Auf Vereinsfesten, Vor-Ort-Terminen, im Haustürwahlkampf, wo die traditionellen Parteien mit ihren gewachsenen und ausdifferenzierten Apparaten wiederum Vorteile haben? Ja und nein. "Menschen lassen sich am ehesten im persönlichen Gespräch überzeugen", schreibt Hillje auf AZ-Anfrage, die Qualität der Begegnung sei höher. Auf den Sozialen Medien erreiche man dagegen einfacher viele Menschen.
Parteien müssen Wahlkampf bei den Zielgruppen machen
"Politiker werden von Bürgern gewählt, also müssen sie auch dort hin gehen, wo die Bürger sind", sagt Giulia Fioriti im Gespräch mit der AZ. Vor ein paar Jahren hat sie die Social-Media-Agentur "mecoa" mitgegründet und berät seitdem Politikerinnen und Politker. Es sei auch eine Frage der Zielgruppe: Wer ältere Bevölkerungsgruppen erreichen möchte, ist mit einem Stand auf dem Wochenmarkt natürlich gut bedient. Aber gerade die jüngeren Zielgruppen, die Erstwähler bis hin zu den Mitte-40-Jährigen, verbringen viel Zeit am Smartphone und sind stark in den sozialen Median unterwegs. "Wenn man diese jüngeren Zielgruppen erreichen möchte, kommt man um die Sozialen Medien nicht herum", sagt Fioriti.

Der AfD gelingt diese Ansprache der Jüngeren offenbar sehr gut. Bei der Bundestagswahl 2021 kam sie bei den Erstwählenden auf etwa sechs Prozent. Seitdem seien auf Bundes- und Landesebene die Tiktok-Aktivitäten deutlich ausgebaut worden, die AfD habe auch viel Geld in mehr Mitarbeiter und Expertise investiert, hält Hillje in seiner Untersuchung fest. Das habe mutmaßlich zu den besseren Ergebnissen und Jungwählern bei den Landtagswahlen 2023, etwa in Bayern und Hessen, geführt. Wie das geklappt hat, wie die Strategie aussieht, und ob die Partei dazu intern mit bei ihren Mitgliedern Schulungen anbietet, dazu möchte man sich nicht äußern. "Wir wollen uns ganz einfach nicht in die Karten schauen lassen", teilt die AfD-Pressestelle auf Anfrage der AZ mit.
Auf den Kanälen der AfD ist Deutschland im Krisenmodus
Nun kann man der Partei zwar nicht in die Karten schauen. Doch wie sie ihr Blatt ausspielt, tritt auf den Social-Media-Kanälen offen zutage. Auf denen der AfD scheint sich Deutschland konstant im Krisenmodus zu befinden, wahlweise am Abgrund zu stehen. Alles wird emotionalisiert, teils wird auch mit unwahren Behauptungen Panik geschürt.
Der Erfolg der AfD im Digitalen ist auch auf eine "Wesensverwandtschaft" von Populismus und Sozialen Medien zurückzuführen, schreibt Politikberater Hillje. Die Algorithmen einer Plattform bevorzugen und belohnen gerne polarisierende und provozierende Inhalte, denn diese lösen viel häufiger Reaktionen aus und werden häufiger geteilt.
Davor schrecken traditionelle Parteien zurück. Beziehungsweise ist ihnen ganz oft nicht klar, wie sie eine ähnlich emotionale Ansprache finden sollen, die nicht im ständigen Krisenmodus operiert. "Emotionalisierung wird häufig als Entsachlichung verstanden", schreibt Hillje an die AZ. Jedoch: "Man darf die Emotionen nicht den Radikalen und Populisten überlassen."

Menschen empfänden Politik auch immer emotional, nicht nur rational. Es brauche auch Emotionen für Demokraten, die stark auf wertebasierter Kommunikation beruhen sollte. Denn auch Werte, so Hillje, gehören zum emotionalen Denken und spielen eine wichtige Rolle bei der politischen Einstellungsbildung. "Politiker sollten erklären, welche Werte sie mit ihrer Politik verwirklichen." Als gutes Beispiel nennt er etwa das Video von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zum Nahostkonflikt.
Auch Giulia Fioriti nimmt bei Politikerinnen und Politikern viel Zurückhaltung wahr. Emotionen werden vermieden. "Viele tun sich sehr schwer, klare Kante zu zeigen, und wollen alles neutral beschreiben", sagt sie. Immer in der Hoffnung, dass sich die überzeugenderen Fakten, die überzeugendere Argumentation schon durchsetzen werde. Am Ende würden sich aber die unterschiedlichen Parteien in ihrem Agieren immer ähnlicher.
Auch sie empfiehlt: emotionaler werden. Das fange schon bei der Bild- und Videosprache an. Ein simples Gruppenbild, dazu ein mit Fakten überladener Text, reichten nicht aus. "Besser schreibt und spricht man so, dass die Bürger das verstehen, dass sie sich nicht erst einlesen müssen." Dazu eine lockere Optik, die nicht spießig daherkommt. Unabhängig von den jeweiligen politischen Inhalten, findet sie, das gelinge dem Bundestagsabgeordneten Muhanad Al-Halak (FDP) oder dem thüringischen SPD-Politiker Lutz Liebscher gut.
Jede Thematisierung verbreitet AfD-Inhalte weiter
Und inhaltlich? Viele Politiker, Parteien und Journalisten arbeiten sich an der AfD ab. Wie geht man mit dem Problem um, dass mit jeder Thematisierung und Einordnung etwaiger Ungenauigkeiten oder Falschaussagen eben diese problematischen Inhalte doch auch wieder weiter verbreitet werden? "Je mehr Kommentare ein Video der AfD bekommt, umso mehr wird es wieder vom Algorithmus ausgespielt", erklärt Fioriti. "Einerseits möchte man Stellung nehmen, andererseits die Inhalte aber nicht noch bekannter machen. Politiker sind da oft im Zwiespalt."
Allerdings gibt es Fälle, in denen sich eine Nicht-Reaktion von Vornherein verbietet, erklärt etwa Politikberater Hillje. Denn: Die AfD provoziere nach oben und diskriminiere nach unten. Gerade die Diskriminierung von Minderheiten erfordere aber eine Reaktion. "In diesen Fällen hat die Mehrheitsgesellschaft eine Schutzfunktion", sagt Hillje.
"Fakten-Sandwich" gegen Desinformation einsetzen
Desinformationen sollten dann mit Hilfe des sogenannten "Fakten-Sandwichs" widerlegt werden: Erst wird der Fakt benannt, dann weist man auf eine Falschaussage oder Lüge hin und zuletzt wiederholt man nochmals den Fakt. "Es ist kognitionswissenschaftlich belegt, dass bei einer solchen Argumentationskette der Fakt hängen bleibt", so Hillje.
Abgesehen von diesen Fällen, die eine Reaktion erfordern empfiehlt Fioriti, den Fokus gar nicht so sehr auf andere zu legen, sondern zu schauen, dass man selbst Inhalte setze. Ein guter Account in den Sozialen Medien, der Inhalte gut und verständlich kommuniziert und den Ton selbst angibt. "Man kann schauen, dass man nicht alles in Bezug zur AfD setzt und den Ton selbst angibt", sagt sie. Man müsse nicht auf die Themen der anderen aufspringen.
"Die Parteien der Mitte dürfen da gerne auch ein bisschen mutiger sein", findet Fioriti. Man müsse vom klassischen Regelwerk abkommen, mit seinen vielen Korrekturschleifen und der Angst, etwas falsch zu machen. "Es wird immer jemanden geben, der so einen Tiktok-Kanal erst mal nicht toll findet", sagt sie. Davon müsse man wegkommen. "Das ist einfach die Kommunikation der Zukunft."